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Erinnerungen
Meinungsumschwung auf Knopfdruck

Neurowissenschaften. - Die Erinnerung an den Strandurlaub dürfte meist positive Gefühle wecken, der Gedanke an eine schwere Prüfung eher negative. Die Verbindung Sachverhalt-Emotion wirkt stabil, doch es ist möglich, sie zu verändern. Was dabei im Gehirn passiert, haben Forscher in den USA studiert. Zumindest bei Mäusen können sie die Emotionen rings um Erinnerungen fast per Knopfdruck verändern, berichten sie in der heutigen Ausgabe von "Nature".

Von Volkart Wildermuth | 28.08.2014
    Ein Mann blickt ängstlich durch seine Hände, die er vor das Gesicht geschlagen hat.
    Die Erinnerung an Schlimmes kann man verändern. (dpa / picture alliance / Patrick Sheàndell O' Carroll)
    Mäuse machen keinen Strandurlaub und legen keine Prüfungen ab. Aber männliche Mäuse erinnern sich sehr gut, ob sie in einem bestimmten Käfig einen leichten elektrischen Schock erhalten haben.
    "Dabei speichert der Hippocampus die Sachinformation ab: wo ist es passiert. Das negative Gefühl bei dem Schock wird aber in einer anderen Hirnregion abgelegt, der Amygdala."
    Susumu Tonegawa und seine Mitarbeiter am Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge wollten das Zusammenspiel zwischen Information und Gefühl verstehen. Dazu haben sie gezielt eine Erinnerung der Maus mit Hilfe der Optogenetik manipuliert, erklärt Roger Rodondo.
    "Dieses Werkzeug erlaubt es uns Hirnforschern, mit Hilfe von Laserlicht ganze Gruppen von Nerven zu steuern."
    Roger Rodondo hat in die Nerven aus der Erinnerungsspur an den Elektroschock ein Protein eingebaut, das eigentlich aus dem Auge stammt. Wenn ein Laser über eine Glasfaser Licht in die entsprechende Hirnregion strahlt, dann sorgt dieses Protein dafür, dass ausschließlich diese Nervenzellen aktiv werden. Nun kann man eine Maus nicht fragen, ob der Lichtimpuls wirklich die Erinnerung an den Elektroschock heraufbeschwört. Aber die Tiere zeigten bei jedem Laserblitz Angst, wollten weglaufen. Es sieht so aus, als ob Robert Rodondo tatsächlich zumindest wichtige Aspekte der Erinnerung gezielt kontrollieren kann.
    Erinnerungen lassen sich manipulieren
    Das war die Voraussetzung für den nächsten Schritt des Versuchs. Roger Rodondo wollte den Gefühlsgehalt der Erinnerung verändern, den Käfig des Elektroschocks mit positiven Emotionen verbinden. Das ist grundsätzlich möglich, weil das Gedächtnis flexibel ist. Sobald eine Erinnerung aufgerufen wird, passt sie das Gehirn an neue Informationen an. Diese neuen Informationen waren für die männlichen Versuchsmäuse ausgesprochen positiv. Sie waren in Gesellschaft von Weibchen, als der Laser im Hippocampus die Erinnerungsspur an den Elektroschock aktivierte.
    "Nerven die gleichzeitig aktiv sind, verknüpfen sich miteinander. Wir sorgen dafür, dass sich die optogenetisch aktivierten Nerven aus der negativen Erinnerungsspur, mit Nerven für Vergnügen zu verbinden, die auf die Weibchen reagieren."
    Das funktioniert tatsächlich. Als die Erinnerungsspur einen Tag später noch einmal per Licht aktiviert wurde, liefen die Mäuse nicht weg, sie schnüffelten, als ob sie ein Weibchen riechen könnten. Weitere Versuche zeigten: der emotionale Gehalt der Erinnerung hatte sich nicht völlig verändert, er war eher erweitert worden. Dank der neuen positiven Erfahrung aktiviert die alte Erinnerungspur jetzt zwei Typen von Zellen in der Amygdala. Solche, die zur Flucht drängen, genauso wie solche, die ein Wohlbefinden signalisieren.
    Redondo: "Die Nerven im Hippocampus sind neutral. Sie können sich mit Furcht oder Vergnügen verbinden."
    Verknüpfung von Erfahrung und Bewertung lokalisiert
    Genau auf diese Flexibilität setzen Psychotherapeuten. In langen Gesprächen verschieben sie nach und nach die emotionalen Reaktionen auf Erinnerungen und helfen so Patienten mit einer Depression oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Prozess lässt sich mit Medikamenten unterstützen, die zum Beispiel die körperliche Stressreaktion dämpfen. Die Experimente von Susumu Tonegawa und Roger Redondo konnten nun wohl den konkreten Ort im Gehirn eingrenzen, an dem die Psychotherapie wirkt: die Verbindungen zwischen Hippocampus und Amygdala.
    Tonegawa: "Wir kennen jetzt die Prinzipien. Das könnte den Weg weisen für neue Medikamente oder optische oder elektrische Therapien. Die liegen noch weit in der Zukunft. Aber die Technik entwickelt sich so schnell, dass ich optimistisch bin. So etwas wird irgendwann kommen."
    Das wäre gut für ernste Krankheiten, aber auch ein wenig unheimlich. Schließlich könnten theoretisch auch andere Gedächtnisinhalte manipuliert werden. Dabei will wohl jeder seine schönen Urlaubstage und vielleicht sogar stressige Prüfungen in etwa so erinnern, wie sie gewesen sind. Da ist es beruhigend, dass wenn es um die Manipulation von Erinnerung geht, das Wort der Optogenetik noch lange überlegen sein wird.