Donnerstag, 25. April 2024

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Erinnerungskultur
"Deutscher Sport war Wegbereiter der Arisierung"

Die deutsche Turn- und Sportbewegung sei der Wegbereiter der Arisierung innerhalb der deutschen Gesellschaft gewesen", sagte der Sporthistoriker Lorenz Peiffer im Dlf. Im vorauseilenden Gehorsam hätten die Vereine ihre jüdischen Mitglieder rausgeworfen und sie gezwungen, sich selbst zu organisieren.

Lorenz Peiffer im Gespräch mit Astrid Rawohl | 04.08.2019
Jüdische Leichtathletinnen um 1930
Jüdische Leichtathletinnen um 1930 (picture alliance / IMAGNO/Austrian Archives)
Der Sporthistoriker der Uni Hannover hat ein historisches Handbuch für Nordrhein-Westfalen herausgegeben über Juden im Sport in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. In mühsamer Sisyphusarbeit durchforstete Peiffer die deutsch-jüdischen Zeitungen der 1920er- und 1930er-Jahre sowie Synagogen-Blättern nach Sportmeldungen.
Doch er stellte fest, bis 1933 waren diese äußerst rar. Warum sei eigenglich klar: "Weil es bis zu diesem Zeitpunkt mit dieser Ausnahmen Westfalen, kaum jüdische Vereine gegeben hat, die wirklich sportliche Leistungen zu verzeichnen hatten. Die jüdischen Sportler und Sportlerinnen, die leistungsstark waren, die waren in den normalen bürgerlichen Verein", erläutert der Sporthistoriker im Dlf-Sportgespräch.
"Deutscher Sport war Wegbereiter der Arisierung"
Doch das sollte sich ändern. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 begannen deutsche Vereine ab dem Frühjahr mit dem Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder. "Man muss deutlich sagen, dass die deutsche Turn- und Sportbewegung Wegbereiter der Arisierung innerhalb der deutschen Gesellschaft gewesen ist - und zwar ohne, dass von der neuen nationalsozialistischen Regierung Wegmarken gesetzt worden sind", sagte Lorenz Peiffer im Dlf.
Antisemitismus sei eine konstante innerhalb der Turnbewegung gewesen. Es sei bekannt gewesen, dass die Nazis eine Volksgemeinschaft begründen wollten. Wer zu dieser Volksgemeinschaft noch dazu gehören durfte, sei auch sehr klar definiert gewesen: "Das sind die Orientierungsmarken, die die Turn- und Sportvereine und auch vor allen Dingen die Verbände für sich in Anspruch genommen haben - im vorauseilenden Gehorsam, ihre jüdische Mitglieder rauszuwerfen. Für viele junge jüdische Sportler sei dieser Rauswurf aus dem deutschen Turnverein, aus ihrem Verein, aus ihrer sozialen Gemeinschaft zur damaligen Zeit, das einschneidendste Erlebnis ihrer Jugendzeit gewesen, weiß Peiffer aus Gesprächen mit Zeitzeugen.
Aufarbeitung - wichtig und richtig
Die Aufarbeitung hält Peiffer für sehr wichtig - gerade auch in der heutigen Zeit. Umso bedauerlicher sei es, dass der deutsche Sport an diesen Forschungsprojekten wenig Interesse habe - dies gelte insbesondere auch für das Projekt in Nordrhein-Westfalen.
"Ich habe weder die beiden Turnverbände, noch den Landessportbund Nordrhein-Westfalen um finanzielle Unterstützung gebeten, sondern ich habe sie informiert über dieses Projekt und um ideelle Unterstützung gebeten. Wir haben nicht mal eine Antwort bekommen", sagte der Historiker im Dlf. Und: Auch auf die Information über die Ergebnisse reagierte sie laut Peiffer nicht: "Es herrscht großes Desinteresse."
Diskriminierung und Ausgrenzung
Rassismus und Antisemitismus seien heute keineswegs verschwunden, sondern an der Tagesordnung. Dies kämen mitten aus der bürgerlichen Gesellschaft. Gerade auch deshalb wünscht er sich mehr Aufmerksamkeit für das Thema. "Da haben auch die Sportvereine die Aufgabe, die Probleme, die wir in den 20er-Jahren und dann vor allen Dingen ab 1933 hatten, zu thematisieren und sich darauf zu verständigen, welche Rolle sie damals gespielt haben, dass sie nämlich eine Vorreiterfunktion gehabt haben." Die Sportverbände müssten sich an der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit messen lassen.
DFB hat Konsequenzen gezogen
Lorenz Peiffer nannte als Beispiel für vorbildliche Aufarbeitung den Deutschen Fußballbund. Der DFB habe natürlich auf öffentlichen Druck seine Geschichte des Fußballs im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Aber so Peiffer: "Er hat die Konsequenzen daraus gezogen." Der Sporthistoriker sprach diesbezüglich von einer Vorreiterrolle und erinnerte an die zahlreiche Veranstaltungen, wie den jährlich vergebenen Julius-Hirsch-Preis sowie Fahrten von Nachwuchsmannschaften nach Israel, die dort an Turnieren teilnehmen.
Mit Blick auf eine mögliche Olympia-Bewerbung Nordrhein-Westfalens äußerte er den Wunsch einer Ausstellung über jüdische Sportler. "Es wäre schön, wenn es eine Ausstellungen und Veranstaltungen geben würde, in der diese Multiperspektivität und Multiethnizität dieses Sports dann mal deutlich gemacht wird und auch Jugendlichen vor Augen geführt wird, welche jüdischen Sportstars wir in den 20er- und 30er-Jahren gehabt haben."
Olympia-Bewerbung Berlins 2036
Bundesportmister Horst Seehofer (CSU) Schloss unlängst eine Olympia-Bewerbung Berlins für das Jahr 2036 aus, falls es vier Jahre zuvor nicht klappt. Sporthistoriker Peiffer findest dies richtig: "Also ich hätte es für fatal gehalten diese Spiele 2036 überhaupt anzugehen für Deutschland, weil diese Nazi-Spiele sind in Erinnerung."
Am 1. August 1936 wurden in Berlin die XI. Olympischen Spiele eröffnet
Am 1. August 1936 wurden in Berlin die XI. Olympischen Spiele eröffnet (picture alliance/dpa)
Die Spiele seien nicht nur von den Nazis instrumentalisiert worden. Wir seien nicht nur zufällig hineingeraten: "Nein, der Deutsche Sport hat ganz systematisch daraufhin gearbeitet. Ausgerechnet an dem Datum 100 Jahre Spiele in Berlin - davon sollte man gefälligst die Finger lassen."
Peiffer forderte endlich einmal klare Worte. Man müsse einmal deutlich sagen, diese Spiele 1936 Nazi-Spiele gewesen seien, die vom Sport getragen, mit initiiert und organisiert worden seien.