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Erler: Enthaltung im Sicherheitsrat war "Akt der Selbstisolierung"

Laut Außenminister Westerwelle hat Deutschland mit der Enthaltung bei der UN-Resolution zu Libyen einen Beitrag zur Niederlage des Gaddafi-Regimes geleistet. Diese Aussage sei ein "peinlicher Versuch", sich hinterher auf die Seite der Sieger zu stellen, kritisiert SPD-Fraktionsvize Gernot Erler.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.08.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi, immer noch haben die Rebellen ihn nicht ergriffen, und trotzdem senden die Medien seit Montag politische Nachrufe, denn eines scheint klar: Auch wenn weiterhin heftige Kämpfe gemeldet werden, der Übergangsrat noch keine volle Kontrolle über das Land hat, Gaddafi wird es wohl kaum mehr gelingen, das Blatt noch einmal zu wenden.
    Dazu begrüße ich jetzt Gernot Erler von der SPD, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, ehemals Staatsminister im Auswärtigen Amt. Schönen guten Morgen, Herr Erler.

    Gernot Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Heckmann: Außenminister Guido Westerwelle hat hier im Deutschlandfunk Kritik an der Linie der Bundesregierung zurückgewiesen, Kritik an der deutschen Enthaltung im UNO-Sicherheitsrat zur Libyen-Resolution. Die Bundesregierung habe mit ihrer Sanktionspolitik ihren Beitrag dazu geleistet, dass sich in Libyen mehr und mehr der Weg in Richtung Demokratie ebne. Hat Deutschland also am Ende doch alles richtig gemacht, oder betätigt sich Westerwelle als Trittbrettsieger, wie die "Frankfurter Rundschau" gestern formuliert hat?

    Erler: Ja also dieser Auftritt ist allgemein als ziemlich skurril angesehen worden, weil Herr Westerwelle doch sehr alleine steht mit dem Versuch, jetzt teilzuhaben an den Gefühlen, es richtig gemacht zu haben, die vor allen Dingen in den westlichen Hauptstädten, in Paris, in Washington, in London, natürlich eine wichtige Rolle spielen, und es ist zum Teil als peinliche Libyen-Show angesehen worden, was er da gemacht hat, denn ...

    Heckmann: Auch von Ihnen?

    Erler: Na ja, also ich meine, wie soll man denn das verstehen, dass er jetzt hier Sanktionen und politische Maßnahmen als ausschlaggebend für den Erfolg ansieht, wenn damit doch die Menschenleben etwa in Bengasi am 19. März keineswegs hätten gerettet werden können, und dann hätte ja das Ganze einen völlig anderen Verlauf genommen, wenn die Hochburg der Rebellen zusammengeschossen worden wäre. Das war ja die konkrete Drohung, dass dort in einer 700.000 Einwohner-Stadt ein Krieg stattfindet, angezettelt von Gaddafis Truppen.

    Heckmann: Aber die Kritik ist doch ein bisschen wohlfeil, Herr Erler, denn Sie hatten ja auch nicht dafür plädiert, für ein Ja zu der Libyen-Resolution im Sicherheitsrat, und auch nicht dafür plädiert, deutsche Soldaten dort hinzuschicken.

    Erler: Na ja, das ist ja immer wieder durcheinandergebracht worden. Von dem Außenminister ist nachweisbar, dass Deutschland schon an mehr als zehn verschiedenen Maßnahmen der Vereinten Nationen eine Zustimmung gegeben hat, ohne sich dann hinterher zu beteiligen. Also die Behauptung, man hätte, wenn man zugestimmt hätte, auf jeden Fall auch selber sich militärisch beteiligen können, ist nachweislich falsch und insofern war es schon ein Akt der Selbstisolierung Deutschlands, und das ist nun ein peinlicher Versuch, jetzt hinterher sich auf die Seite der Sieger zu stellen.

    Heckmann: Aber noch einmal: Das wäre mit der SPD in der Regierung nicht viel anders gewesen. Man hätte dort zwar das Ja gehabt im Sicherheitsrat, aber einen Anteil an der Entwicklung in Libyen hätte man auch so nicht gehabt.

    Erler: Ja, aber das wäre ja auch nicht weiter schlimm gewesen. Das Problem war ja, dass es dieses Ja nicht gab, nicht, dass es keine deutschen Lenkwaffen gab. Es gab da genügend andere, die sich da beteiligt haben. Aber die Tatsache, dass man nicht mit Frankreich und nicht mit den Vereinigten Staaten und nicht mit Großbritannien wenigstens zugestimmt hat zu dieser Maßnahme, das ist der Punkt gewesen, der Deutschland isoliert hat.

    Heckmann: Es gab genug andere, die sich beteiligt haben, ist das eine Haltung, mit der man Politik machen kann?

    Erler: Man muss jedes Mal abwägen in so einem Fall, ob man die Maßnahme für richtig hält, oder sich auch imstande sieht, selber einen aktiven Anteil zu nehmen, und es ist wie gesagt schon öfter vorgekommen, aus guten Gründen schon öfter vorgekommen, dass Deutschland Ja gesagt hat für eine Mission der Vereinten Nationen, aber sich dann selber nicht beteiligt hat.

    Heckmann: Pardon, Herr Erler. Man hätte doch die Rebellen, die Opposition stärker unterstützen müssen. Meinen Sie das nicht?

    Erler: Na ja, gut, ich meine, stärker unterstützen, da gibt es natürlich verschiedene Wege, und ich meine, dass Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime auch eine Unterstützung der Rebellen sein können, ist richtig. Nur hätte es diese Rebellen eben gar nicht mehr gegeben, wenn es dieses militärische Eingreifen dieses Bündnisses, dieses Ad-hoc-Bündnisses nicht gegeben hätte.

    Heckmann: Guido Westerwelle sieht eine deutsche Schlüsselrolle beim Wiederaufbau in Libyen. Wir stehen mit Rat und Tat bereit, wenn das gewünscht sei. Denken Sie, dass das von der libyschen Seite nach der Vorgeschichte überhaupt gewollt ist?

    Erler: Das ist völlig offen. Dazu gibt es auch noch keine belastbaren Äußerungen von dieser Seite. Aber eines ist natürlich klar: Nach der Vorgeschichte, die wir eben besprochen haben, geht man in der westlichen Welt davon aus, dass Deutschland jetzt eine sehr wichtige Rolle übernehmen wird und damit natürlich auch ein Land sein wird, das die Hauptlast jetzt übernimmt bei diesen Aufbauhilfen, denn da argumentiert man so ein bisschen nach dem Motto, wir haben jetzt unseren Anteil vor allen Dingen in den letzten fünf Monaten durch das militärische Geschehen gemacht und jetzt ist Deutschland dran und hat auch die Verantwortung dafür, dass jetzt hier etwas passiert von westlicher Seite.

    Heckmann: Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der hat ja auch deutsche Soldaten in Aussicht gestellt, um den Aufbau der Demokratie in Libyen sicherzustellen, wenn es denn mal so weit ist. Dieses etwas vorschnelle Angebot, ist das Ausdruck eines schlechten Gewissens der Bundesregierung und Folge der Irritation der Verbündeten? Zahlen wir jetzt also einen Preis für frühere Fehlentscheidungen?

    Erler: Ja. Also ich habe immer gesagt, dass dieser Preis kommen wird und dass der uns präsentiert wird. Aber das Verhalten von Verteidigungsminister de Maizière ist vor allen Dingen so zu erklären, dass er auch mit seinen internationalen Kontakten, die er natürlich hat, besonders stark spürt, wie das Ansehen Deutschlands lädiert ist durch diese Fehlentscheidung vom 17. März, und er versucht deswegen etwas verwunderlich, jetzt schon deutsche Soldaten oder eine Beteiligung an einer UN-Mission ins Spiel zu bringen, die es noch gar nicht gibt, die auch noch gar nicht in Vorbereitung ist, mal abgesehen von bestimmten Planungen, die in New York da gemacht worden sind, für die vor allen Dingen noch gar kein Bedarf, oder kein Antrag gestellt worden ist. Und das ist schon ein bisschen auffällig, weil de Maizière wohl den Eindruck hat, wenn wir ein solches Angebot nicht machen, werden wir aus dieser Sondersituation, aus dieser Sonderstellung nicht herauskommen.

    Heckmann: Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland an der Beteiligung einer Blauhelm-Mission vorbei kommt?

    Erler: Also es ist eher im Augenblick gar nicht absehbar, dass eine solche Bitte auf Deutschland zukommt, denn ...

    Heckmann: Sie glauben das also eher nicht?

    Erler: Also ich sehe es jedenfalls nicht konkret in der Vorbereitung in New York. Man plant dort im Augenblick so etwa in dem Bereich von 200 Blauhelmen als Militärbeobachter, um eventuell, wenn sich die Kämpfe weiterentwickeln, dort eine Möglichkeit zu haben vor Ort. Das ist aber so, dass, was die Besetzung dieser 200 Blauhelme angeht, man nicht an westliche Länder denkt, sondern eher an Vertreter der arabischen Welt, was ja auch einen gewissen Sinn macht. Also man kann schon sagen, dass diese Diskussion, die Herr de Maizière angestoßen hat, im Augenblick ohne jede reale Grundlage ist.

    Heckmann: Wie groß ist die Gefahr, Herr Erler, dass es in Libyen zu einem langwierigen Bürgerkrieg kommt, dass Libyen zu einem gescheiterten Staat wird wie etwa Somalia?

    Erler: Also man kann das zumindest nicht ausschließen, sollte sich aber sicherlich nicht auf diese Drohung jetzt, die wir gerade auch gehört haben, vor Ort, die aus dem Umkreis von Gaddafi kommen, stützen. Das ist nicht das Problem, dass Gaddafi hier Drohungen ausstößt, sondern eher ist das Problem, dass wir nicht wissen, wie einig sich eigentlich die Rebellengruppen und die verschiedenen Stämme, die hinter ihnen stehen, über einen Zukunftsweg von Libyen sind. Und dass es da zu Auseinandersetzungen kommt, das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte nach einem solchen erfolgreichen Aufstand, und das ist das große Risiko. Und insofern wird es auch darauf ankommen, jetzt möglichst viele Kontakte zu nutzen, um auf diesen Diskussionsprozess innerhalb der neuen Eliten von Libyen Einfluss zu nehmen.

    Heckmann: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler war das hier im Interview im Deutschlandfunk. Herr Erler, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag.

    Erler: Ich danke Ihnen.

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