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Ermordung Rafik al-Hariris
Einschnitt in die Geschichte Libanons

Er wollte als "Mr. Lebanon" in die Geschichte seines Landes eingehen - auf tragische Weise ist ihm das gelungen. Heute vor zehn Jahren fuhr der ehemalige Staatschef des Libanon Rafik al-Hariri auf dem Weg vom Parlament in seine Villa im Beiruter Stadtteil Qoreitem in eine Falle und starb durch eine Bombenexplosion.

Von Andreas Baum | 14.02.2015
    Der frühere libanesische Regierungschef Rafik al-Hariri. Archivbild von 1998.
    Der frühere libanesische Regierungschef Rafik al-Hariri. (imago/CHROMORANGE)
    Die Bombe, die Unbekannte am 14. Februar 2005 auf der Corniche, der luxuriösen Strandpromenade Beiruts, aus der Ferne zündeten, hatte eine Sprengkraft von 1000 Kilogramm TNT. Sie löste eine der stärksten Explosionen aus, die seit dem Bürgerkrieg auf libanesischem Boden gemessen wurden. Der Autokonvoi des ehemaligen Staatschefs des Libanon Rafik al-Hariri wurde präzise getroffen. Hariri starb, insgesamt forderte der Anschlag mehr als 23 Todesopfer, mehr als 100 Menschen wurden verletzt. Unzählige Gebäude im Umkreis wurden zerstört oder beschädigt.
    Stil einer Dampfwalze
    Rafik al-Hariri galt als lebendes Symbol für den Wiederaufbau des Libanon. Der Sohn einer sunnitischen Bauernfamilie aus Sidon im Süden des Landes wurde bewundert, weil er sich emporgearbeitet und seine einfache Herkunft hinter sich gelassen hatte. Als junger Mann studierte er Betriebswirtschaft, ging nach Saudi-Arabien und wurde dort zum Milliardär - auch wegen seiner engen Bande zum saudischen Königshaus. 1990 kehrte er in seine Heimat zurück. Er investierte, und Beirut fand zurück zu alter Pracht und Schönheit, an manchen Stellen ist die Stadt heute moderner und eleganter als je zuvor.
    "Er hatte den Stil einer Dampfwalze."
    So sagt es sein Biograf, der US-amerikanische Buchautor Nicholas Blanford.
    "Und er war auf saudische Weise korrupt: Das heißt, du hast ein Problem und bewirfst es solange mit Geld, bis es verschwindet."
    Nach dem Attentat glaubten mehr als 90 Prozent der Libanesen, dass Syriens Staatschef Bashar al Assad hinter dem Mord steckte. In Damaskus wies man die Anschuldigungen mit demonstrativer Empörung zurück. Rafik al-Hariri war zwei Mal in seiner Karriere wegen des Einflusses Syriens von höchsten Staatsämtern zurückgetreten - das letzte Mal wenige Monate vor seinem Tod. Obwohl er und seine Regierung als korrupt galten, stand er für die Eigenständigkeit des Libanon - Politiker wie der Ägypter Amr Mussa, Vorsitzender der Arabischen Liga, hatten große Hoffnungen in Hariri gesetzt - nicht nur für den Libanon.
    "Unser Verlust ist groß, die Lage ist ernst. Hariri war nicht allein ein libanesischer Politiker. Er war ein arabischer Führer mit vielen internationalen Beziehungen."
    Der Verdacht war klar formuliert
    Die internationale Untersuchung der Vereinten Nationen leitete der Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, der in den Achtzigerjahren in Westberlin beim Anschlag auf die Diskothek La Belle ermittelt hatte. In seinem Bericht war der Verdacht klar formuliert.
    "Ohne Zustimmung ranghoher syrischer Sicherheitskräfte und ohne die Mitwisserschaft ihrer Partner in den libanesischen Diensten kann die Anschlagsplanung nicht möglich gewesen sein."
    Letzte Beweise aber fehlten. Detlev Mehlis klang resigniert, als er kurz vor Weihnachten 2005 eingestehen musste, dass er als Ermittler fast nichts erreicht hatte.
    "23 Tote sind natürlich schon eine ganz schwere Bürde und eine ganz schwere Geschichte. Manche sagen, dass die politische Entwicklung im Libanon ja erst durch diese kriminelle Entwicklung eben bedingt war. Und viele sehen ja die politische Entwicklung im Libanon seit dieser Tat durchaus als positiv."
    Gemeint sind die vielen Demonstrationen, die auf das Attentat folgten, und die als Zedernrevolution in die Geschichte eingingen. Forderten die Libanesen anfangs nur eine unabhängige Aufklärung des Mordes, wollten sie am Ende mehr: den Abzug der Syrer aus dem Land, das Ende der Regierungen von Damaskus’ Gnaden und eine freie und gerechte Gesellschaft. Sami Ofeish, Professor für Politologie an der christlichen Universität von Balamand im Norden des Libanon, verglich die Zedernrevolution im März 2005 daher mit anderen historischen Ereignissen.
    Syrien zog sich zurück
    "Die Vergleiche zum Fall der Berliner Mauer oder den Ereignissen in der Ukraine oder Georgien sind durchaus angebracht. Die junge Generation, die heute auf dem Platz der Märtyrer demonstriert, ist eigentlich eine Generation, die resigniert hatte. Und was nun passiert, ist, dass ein großer Teil dieser Generation sich plötzlich politisch engagiert - das ist eine ganz wichtige Veränderung, die Folgen haben wird."
    Die Demonstrationen erreichten ihr Ziel wenige Monate später. Syrien zog sich zurück, die Damaskus-freundliche Regierung löste sich auf. Wer Rafik al-Hariri getötet hat, ist dagegen bis heute ungeklärt.