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Ernährung
Wenn Fleischersatz giftig ist

Lebensmittel aus Soja sind eine beliebte Eiweißquelle. Neben Tofu stößt man immer häufiger auf Tempeh, ein Produkt aus fermentierten Sojabohnen. Doch Toxikologen warnen: Wird im Tempeh zusätzlich Getreide wie Mais beigemischt, können gefährliche Gifte entstehen.

Von Volker Mrasek | 18.09.2019
Verschiedene Pilze im Jugendstadium, die in einem Labor der Jena Microbial Resource Collection der Friedrich-Schiller-Universität in Petrischalen auf speziellem Nährboden wachsen (Foto vom 28.08.2010). Etwa 11.000 verschiedene Pilzisolate werden in rund 44.000 Probenbehältern in der Einrichtung gehalten.
Durch Beimischung von Getreide in Soja entstehen neue hochwirksame Schimmelpilzgifte - viele solcher neu entstehenden Substanzen sind noch nicht genügend erforscht (picture alliance / Jan-Peter Kaspar)
Ronald Maul hat das Lebensmittel, das ihn derzeit beschäftigt, einfach mal mit nach Dresden gebracht. Anschauungshalber:
"An der Oberfläche die geschälten, aber kompletten Sojabohnen, die dann in so einem Kuchen, in so einer teigartigen Struktur, gefangen sind. So ein kleiner Laib mit vielleicht so zwanzig mal acht Zentimetern."
Tofu kenne inzwischen jeder, sagt der Lebensmittelchemiker aus dem Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin:
"Nur in diesem Fall geht es eben um Tempeh, ein fermentiertes Produkt, ursprünglich aus Indonesien, wo Sojabohnen gekocht, fermentiert werden mit gewissen Pilzstämmen. Das wird mariniert, das kann gegrillt werden. Eben Fleischersatz im weitesten Sinne. Die Produkte gibt es hier. In Asia-Shops oder eben auch in Bioläden, wo es mehr und mehr verbreitet wird."
Getreide-Schimmelgift durch Beimischung auch in Soja
Ronald Maul ist Experte für Mykotoxine, also für Schimmelpilzgifte. Getreideprodukte enthalten fast immer Spuren dieser Schadstoffe. Denn Schimmelbefall auf dem Feld ist praktisch unvermeidbar. Für viele Mykotoxine bestehen deshalb Höchstwerte in Lebensmitteln, einige gelten sogar als krebserregend.
Mauls Arbeitsgruppe und Forscher der Universität Göttingen haben die Pilzgifte jetzt in Tempeh aufgespürt, was man nicht unbedingt erwarten würde:
"Wenn wir ein reines Soja-Produkt haben, ist nicht davon auszugehen, dass da große Mengen Mykotoxine drin sein werden. Aber vielfach kommen jetzt eben auch Produkte auf den Markt, wo Soja mit Getreide vermischt ist. Aus geschmacklichen Gründen, aber auch aus preislichen Gründen. Und diese Getreidezutaten sind eigentlich diejenigen, die die Mykotoxine dann enthalten."
Laut Maul kann Tempeh bis zu 30 Prozent Mais enthalten. Und Mais wiederum enthält fast immer Spuren von Zearalenon. In Tempeh fanden die Analytiker allerdings nicht dieses Schimmelpilzgift, sondern das eng verwandte Zearalenol:
"Klingt so ähnlich, ist aber etwas anderes. Und für eine Form dieses Zearalenols ist die entsprechende toxikologische Potenz deutlich höher. Das macht die Sache an dieser Stelle so außergewöhnlich und auch so spannend."
Umwandlung in ein 60 Mal stärkeres Umwelthormon
Von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA gibt es eine wissenschaftliche Stellungnahme zu dieser Gruppe von Mykotoxinen:
"Und dort hat man halt eben festgestellt, dass die toxikologische Potenz, die von Zearalenol ausgeht, ungefähr 60-fach höher ist als die der Ausgangsverbindung.
Das bedeutet: Das Umwandlungsprodukt ist ein 60 Mal stärkeres Umwelthormon. Denn darin besteht die schädliche Wirkung dieser Mykotoxine: Sie beeinflussen das Hormonsystem des Körpers, ganz ähnlich wie Östrogen.
Produkte zurzeit in Deutschland noch nicht auf dem Markt
Im Fall von Tempeh hat die Vergärung der Sojabohnen offenbar den Nebeneffekt, dass das Zearalenon aus dem Mais-Anteil umgewandelt wird, und heraus kommt dann ein noch problematischerer Schadstoff. Ronald Maul betont aber, dass sein Team bisher nur Sojaprodukte auf dem indonesischen Markt untersucht habe:
"Die Produkte, die wir in Deutschland auf dem Markt gefunden haben, sind alle rein aus Sojabohnen. Aber es ist davon auszugehen, da es sich in der Ursprungsregion schon klar durchgesetzt hat, Getreide zu der Sojabohne zuzugeben, dass es auch hier eigentlich nur eine Frage von sehr kurzer Zeit sein wird, dass dann eben auch solche gemischtfermentierten Lebensmittel in unseren Supermärkten erhältlich sind. Und dann ist davon auszugehen, dass auch dort Mykotoxine natürlich drin sein können."
Die EFSA beklagt, dass immer noch zu wenig Daten über solche modifizierten Mykotoxine vorlägen. Die Stoffe sind bisher ungeregelt, die Lebensmittel-Überwachung erfasst sie noch nicht. Inzwischen lassen sie sich aber analytisch nachweisen wie jetzt auch im Fall von Tempeh. Und das sollte auch zur Routine werden, sagt Alexander Cartus, Juniorprofessor für Toxikologie an der TU Kaiserslautern:
"Es ist wichtig, Mykotoxine in ihrer Gesamtheit zu analysieren. Insofern ist das ein wichtiger Schritt dahin, dass man nicht nur eine Muttersubstanz untersucht, sondern die Gesamtheit aller daraus resultierenden Stoffe, die – wie wir gesehen haben - stärkere Effekte hervorrufen können."

Anmerkung der Redaktion: Der Vorspann des Textes wurde neu formuliert, um zu verdeutlichen, dass die giftigen Stoffe nicht erst bei der Zubereitung entstehen.