Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ernährungsbewusste US-Hauptstadt
Auf dem Bauernmarkt in Washington

Bio-Supermärkte in den USA machen große Gewinne - vielen Öko-Bauern geht es gut. Denn eine "Slow food"-Bewegung macht dem allgegenwärtigen Fast Food Konkurrenz. Vor allem in den Großstädten an der Ostküste findet man bewusste Esser. Ein Besuch auf dem "Freshfarm market" in Washington DC.

Von Jeanette Seiffert | 14.05.2017
    Ein Auswahl von Gemüse auf einem US-amerikanischen "Farmers market" - hier in Oregon. Verkauft werden dort biologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region.
    Ein Auswahl von Gemüse auf einem US-amerikanischen "Farmers market" - hier in Oregon. Verkauft werden dort biologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region. (imago/Danita Delimont)
    Sonntagmittag in Foggy Bottom, einem historischen Stadtviertel im Zentrum von Washington. Auf einem kleinen Platz vor der George-Washington-University sind ein paar Verkaufsstände aufgebaut.
    Ein Schwarzer, grauer Bart, brauner Schlapphut, preist seine selbst gebackenen Kuchen an: "mit Äpfeln aus dem eigenen Garten" steht auf dem Schild daneben – die Blumen, die sein Standnachbar verkauft, sind explizit ohne Pestizide. Aus dem "Wholefood Market" ein paar Meter weiter kommen Kunden, bepackt mit zwei, drei Papiertüten voller Lebensmittel: Sonntag ist hier ein klassischer Einkaufstag. Die Preise in dem Bio-Supermarkt sind gesalzen, dafür ist sogar das Waschmittel "organic", wie man hier sagt – also aus rein pflanzlichen Rohstoffen. Für die nicht ganz so zahlungskräftige Kundschaft gibt es ein paar Blocks weiter "Trader Joe’s" – eine Art Bio-Discounter, verbandelt mit dem deutschen Aldi-Konzern.
    Wer allerdings wirklich bewusst einkaufen will, geht auf den "Freshfarm market" etwa eineinhalb Kilometer entfernt am Dupont Circle. Mehrere Dutzend Stände schlängeln sich rund um den Platz, die Holztische biegen sich unter Obst- und Gemüsesorten, duftenden Broten und Weckgläsern mit eingemachtem Gemüse. In einer Kühltheke Schweinehälften und riesige Schinken. David Ober, ein Farmer mit Halbglatze und grüner Schürze, verkauft sein Fleisch seit vielen Jahren hier.
    Seine "Cedarbrook farm" liegt in West Virginia, 75 Meilen norwestlich von Washington DC, erzählt David.
    Die Schweine, eine alte einheimische Rasse, werden ausschließlich auf der Weide gehalten – frei laufend. Bio-Qualität vom Feinsten also.
    Es hat leicht zu nieseln angefangen – trotzdem ist der Markt gut besucht. Juliet Glass, eine resolute Mittvierzigerin mit Hornbrille, läuft über den Markt, die Farmer grüßen sie schon von weitem.
    Juliet kümmert sich um die Vermarktung von Freshfarm. 2000 bis 3000 Menschen kommen im Schnitt jeden Sonntag hierher, erzählt sie. An schönen Sommertagen sind es sogar bis zu 6000. Vor 20 Jahren hat die gemeinnützige Organisation hier am Dupont Cirle den ersten Bauernmarkt gegründet – heute sind es 20 in und rund um Washington DC.
    Dahinter steht eine klare Mission, sagt Juliet: Man wolle eine nachhaltige Landwirtschaft in der Mittelatlantik-Region fördern.
    Es gibt ausschließlich saisonales Gemüse
    Direktvermarktung ist oberstes Gebot: Alles, was hier verkauft wird, stammt aus eigener Produktion. Auch die verarbeiteten Produkte, also Brot, Käse oder Saft, werden nur Zutaten aus der Gegend verwendet. Das heißt aber auch: Es gibt ausschließlich saisonales Obst und Gemüse. Zack Leicester, ein Farmer aus Virginia, hat den Salat und die Kräuter an seinem Stand erst am Abend zuvor geerntet.

    "Es gibt hier eine ganz neue Klientel – Menschen, die auf die Märkte kommen und mehr über saisonales Essen erfahren wollen. Wir sind hier in der Mittelatlantik-Region – es ist nicht so sehr kalt hier, damit haben wir bessere Möglichkeiten, das ganze Jahr über Gemüse zu ziehen, zum Beispiel in Gewächshäusern."
    "Season extended food" nennt er das: Salat, Brokkoli, Spinat, Mangold und Möhren gibt es praktisch das ganze Jahr über. Das "erweiterte" saisonale Gemüse wird ausschließlich mit natürlichen Mitteln produziert – ohne künstliche Wärme. Zack experimentiert mit besonders widerstandsfähigen europäischen Sorten und lässt sich von Anbaumethoden aus Frankreich inspirieren, die zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert stammen:
    Damals hatte man nur Glas, erklärt er lachend, heute gibt’s zum Glück Plastikfolie.
    Deb, eine sportliche junge Frau mit Yoga-Matte unterm Arm, wohnt um die Ecke und kommt jeden Sonntag hierher – aus Überzeugung.
    Es sei schön, lokale Farmer zu unterstützen, sagt sie – und die Produkte seien einfach toll. Die frischen Eier, die vielen verschiedenen Apfelsorten, die man hier finde – und in welchem Supermarkt könne man schon fermentierte Rüben kaufen?
    Armand, ein Student, will für seine Freundin, die noch im Bett liegt, etwas Leckeres einkaufen. Billig ist das Ganze nicht, gibt er zu, aber:
    "I think the price is worth the small-business-and-organic-feel that I get from it.”
    Ein kleines Glas Gurken für sechs Dollar
    Ihm sei es das Geld wert, sagt er, das gute Gefühl, das man bekomme, wenn man beim kleinen Bio-Erzeuger einkaufe. Steve, ein Mann mittleren Alters mit sorgfältig gestutztem Bart, schätzt besonders die Atmosphäre hier, den Umgang mit den Farmern.
    "I like the freshness, I like the interaction with the farmers.”
    Eine Marktfrau reicht ihm eine eingelegte Gurke zum Probieren. Ein winziges Gläschen eingelegtes Gemüse kostet stolze 6 Dollar, das sind rund 5 Euro.
    "It is – but I buy less. Especially for things like meat – I buy less but I am just as satisfied.”
    Das stimme schon, meint Steve – aber dafür kaufe er weniger, besonders Fleisch. Und sei am Ende genauso zufrieden. Trotzdem will Freshfarm kein Konzept für Besserverdienende sein, betont Juliet: Menschen mit geringem Einkommen können auf dem Markt auch "food stamps" einsetzen – Essensmarken, die sie als Beihilfe vom Staat bekommen.
    "It’s called snap, and we accept snap, and we match when people spend: For every dollar they spend, we give them an extra dollar.”
    "Snap” nennt man die Marken, erklärt Juliet, und für jeden Dollar, den Bedürftige hier ausgeben, bekommen sie in gleicher Höhe Waren kostenlos dazu. Ein Konzept, dass sich offenbar auch für die Farmer lohnt. Gemüsebauer Jo fährt jede Woche 150 Meilen aus Pennsylania hierher, das sind rund zwei Stunden Fahrt - einfach. Warum verkauft er seine Waren nicht auf einem Markt in seiner Nähe?
    "Dort sind viele Farmer, die Konkurrenz ist groß. Wenn ich ehrlich bin: Das Einkommen dort ist einfach nicht so hoch wie hier. Hier in DC gibt es eine Nachfrage für gute Produkte, und die Menschen sind bereit, dafür zu zahlen."
    Ein paar Stände weiter steht Sarah, eine junge Frau mit langen blonden Haaren, an riesigen Metalltöpfen. "Super grow" heißt ihr kleines Unternehmen. Das Konzept ist einfach: Sarah kauft Gemüse von den Bauern auf dem Markt und macht daraus Suppen. Zur Auswahl stehen heute Süßkartoffel-, Karotte-Dill-, Curry-Kürbis-Apfel- und Schwarze Bohnen-Suppe.
    "DC hat eine boomende vegane Szene"
    Alles selbst gekocht, versichert sie, nach Rezepten ihrer Mutter, ohne chemische Zusätze oder Konservierungsmittel – und natürlich vegan.
    "DC hat eine boomende vegane Szene. Noch nicht so wie in New York, aber wir sind auf dem Weg dahin. In den letzten Jahren haben jede Menge neue vegane Restaurants geöffnet, Ketten, aber auch kleine lokale Läden."
    Eine echte Bewegung, sagt Sarah: Immer mehr Menschen wollten wissen, wo ihr Essen herkommt, wie es geerntet wird, ob die Tiere schlecht behandelt werden oder die Arbeiter auf dem Feld.
    Abnehmer finden die lokalen Bauern auch zunehmend in den "Slow-food"-Restaurants Washingtons: Im Ausgehviertel Adam’s Morgan, etwa zwei Meilen nördlich vom Dupont Circle, schießen sie mittlerweile wie Pilze aus dem Boden. Busboys and Poets, ein beliebtes Szenelokal an der Ecke 14. Straße und V-Street, bietet ausschließlich Gerichte aus lokal erzeugten Zutaten an – auf Wunsch auch vegan, glutenfrei oder koscher. In der engen Küche hantiert ein halbes Dutzend Küchenmitarbeiter und bereitet sich auf die ersten Dinner-Bestellungen vor.
    Nicht viel Platz hier, meint Patrick Bonnisteel, einer der Mitarbeiter. Aber genug, um eine Menge Zauberei zu vollbringen. Das Lokal, benannt nach einem schwarzen Dichter, der als Busfahrer arbeitete, ehe er berühmt wurde, gibt es schon seit 2005 – und war damals ein echter Vorreiter mit seiner so genannte "Conscience Cuisine", auf Deutsch etwa "bewusste Küche".
    "Wir planen unser Menu saisonal, es wird zweimal pro Jahr angepasst, damit immer frische Zutaten verfügbar sind. Im Frühling gibt es andere Speisen als im Winter. Wenn wir neue Kreationen entwickeln, sollen sie möglichst einfach sein."
    Dahinter steckt eine ganzheitliche Philosophie, erklärt Patrick: Jeder soll hier willkommen sein und seine Bedürfnisse auf natürliche Weise befriedigen können.
    "Es geht darum, einen Ort zu schaffen, an dem Menschen gegenseitig ihr Bewusstsein erheben, ihren Geist, ihren Körper und ihre Seele zu stärken – einen Ort, um einen befreiten Weg zu gehen."
    Barack Obama im "Slow food"-Restaurant
    Besonders stolz ist man, dass sogar Barack Obama schon da war: Ein Video von seinem Besuch – noch während seiner Amtszeit – läuft in Endlosschleife über eine mannshohe Leinwand.
    "Er war ganz oben auf der Liste von Leuten, die wir hier haben wollten. Und dann kam er, und es war wirklich toll – für ihn und für seine Gäste, aber natürlich für alle anderen, die an diesem Tag im Restaurant gegessen haben."
    Viele Mitarbeiter, wie auch Patrick selbst, tragen schwarze T-Shirts mit dem Aufdruck "Resist" – gemeint ist der Widerstand gegen die Politik von Donald Trump. Dennoch sei hier jeder willkommen, betont Patrick. Am Tag der Inauguration habe sich sogar eine Gruppe Trump-Fans aus Texas in das Restaurant verirrt. Trotz aller Vorbehalte seien sie freundlich aufgenommen worden - und sie seien darüber so überrascht gewesen, dass sie am Ende 450 Dollar Trinkgeld gaben. Das war sogar der "Washington Post" eine Geschichte wert. Trump selbst ist ja eher bekannt für seine Vorliebe für fettige Burger und Steaks: Kommt er vielleicht trotzdem mal vorbei im Busboys and Poets?
    "Tough question – I don’t see him that open."
    Schwierige Frage, sagt Patrick nachdenklich. Trump sei vielleicht nicht so der offene Mensch. Nein, er denke nicht, dass er herkommen würde, es sei denn, man würde ihn explizit einladen. Und das sei doch einigermaßen unwahrscheinlich. Aber man wisse ja nie.
    "I don’t think he would come unless he would be asked by us, and I don’t think we would ever do that - but you never know."