Dienstag, 19. März 2024

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Ernährungsmedizin
Darmhormon Sekretin macht schneller satt

Forscher haben die sättigende Wirkung des Darmhormons Sekretin erstmals beim Menschen nachgewiesen. Sekretin als Medikament etwa bei Adipositas einzusetzen, sei aber unrealistisch, sagte Martin Klingenspor von der TU München im Dlf. Trotzdem könnten die Erkenntnisse für Ernährungswissenschaftler von Nutzen sein.

Martin Klingenspor im Gespräch mit Christiane Knoll | 23.06.2021
Eine Frau beißt in eine Scheibe Vollkornbrot.
Wissenschaftler haben einen Zusammenhang zwischen dem Hormon Sekretin und der Sättigung durch die Aktivierung des braunen Fettgewebes nachgewiesen (picture alliance / dpa | Uli Deck)
Wie kann Sättigung gesteuert werden? Forscher und Forscherinnen haben einen neuen Mechanismus entdeckt: Vom Darm führen viele Wege ins Gehirn. Einer davon beginnt mit dem Hormon Sekretin, läuft über das braune Fettgewebe und endet im Belohnungszentrum im Gehirn. Das Darmhormon Sekretin wirkt also auf das Belohnungssystem im Gehirn und macht satt.
Prof. Martin Klingenspor hat den Mechanismus an der Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit Forschern aus Finnland zum ersten Mal beim Menschen nachgewiesen. Probanden wurde eine Infusion von Sekretin gegeben, danach bekamen sie eine Mahlzeit vorgesetzt. Mit Hilfe der Magnetresonanztomographie entdeckten die Forscher dabei, dass Sekretin auch die Aktivität des Belohnungssystems im Gehirn verringerte.
"Wie das bei den Mäusen vorher auch schon gezeigt wurde, führt die Sekretinfreisetzung letztendlich dazu, dass im Gehirn Sättigungsgefühl entsteht und wir dann eben aufhören zu essen. Dass Sekretin auch beim Menschen zur Sättigung führt, also die Nahrungsaufnahme reguliert, das ist neu", sagte Klingenspor im Dlf. Weitere Forschung müsse zeigen, ob die Erkenntnisse für therapeutischen Ansätze genutzt werden können.

Das Interview in voller Länge:
Christiane Knoll: Was hat Ihre Arbeitsgruppe an Testessern genau herausgefunden?
Martin Klingenspor: Diese Aktivierung des braunen Fettgewebes, die war im Prinzip nicht so überraschend. Also dass bei einer Mahlzeit es zur Aktivierung des braunen Fettgewebes auch beim Menschen kommt, das hatten wir 2018 in der Kooperation mit unseren finnischen Partnern in Turku bereits rausgefunden, aber was überraschend war oder neu war, dass diese Aktivierung des braunen Fettgewebes bei einer Mahlzeit, dass das einhergeht mit einem Sättigungsgefühl bei den Probanden. Wie das bei den Mäusen vorher auch schon gezeigt wurde, führt nämlich diese Sekretinfreisetzung und Aktivierung des braunen Fettgewebes letztendlich dazu, dass im Gehirn Sättigungsgefühl entsteht und wir dann eben aufhören zu essen. Und dass Sekretin auch beim Menschen zur Sättigung führt, also die Nahrungsaufnahme reguliert, das ist neu.
Knoll: Das heißt, Sie haben einen neuen Weg gefunden, der zeigt, wie das Gehirn weiß, dass es aufhören soll zu essen.
Klingenspor: Genau, es gibt sicher nicht nur diesen Mechanismus, es gibt viele Faktoren, die beteiligt sind an der Regulation unserer Energiezufuhr und des Energieverbrauchs, aber das Sekretin, dieses Darmhormon, das man schon über hundert Jahre kennt, dass das auch bei Menschen Sättigung auslöst, das wusste man so noch nicht.

Aktivierung des Belohnungssystems wird gedämpft

Knoll: Ihre finnischen Kollegen haben die Wirkung auf das Gehirn außerdem noch mit bildgebenden Verfahren verfolgt. Was haben die denn rausgefunden?
Klingenspor: Die finnischen Kollegen haben nun ein anderes Experiment gemacht, die haben nämlich die Probanden in einem Magnetresonanztomographen untersucht und den Probanden während der Messung, also während der Vermessung der Hirnaktivität, Bilder von leckerem und weniger leckerem Essen gezeigt.
Knoll: Das war also Schokoladeneis oder Sauerkraut.
Klingenspor: Ja, also zum Beispiel ein leckeres Omelett oder ein rohes Ei oder Pommes Frites und eine nicht geschälte Kartoffel und so, also etwas, was man direkt essen kann, und etwas, was man halt erst noch zubereiten muss. Da kommt es eben dazu, dass das Anschauen von diesem leckeren Essen bestimmte Hirnareale im Gehirn aktiviert, die was mit dem Belohnungssystem zu tun haben und damit mit der sogenannten hedonischen Kontrolle unserer Nahrungsaufnahme. Also praktisch in Erwartung einer leckeren Mahlzeit kommt es da durch das Anschauen dieser Bilder zur Aktivierung. Und wenn man nun die Probanden vorher mit Sekretin behandelt, dann werden diese Aktivierungen des Belohnungssystems gedämpft. Das zeigt eben, dass diese sättigende Wirkung des Sekretins, von der ich vorhin gesprochen habe, durch Hemmung des Belohnungssystem sehr wahrscheinlich ausgelöst wird oder unter anderem dadurch ausgelöst wird.

Sekretin als Medikament nicht sinnvoll

Knoll: Da denkt man jetzt natürlich sofort an einen Appetitzügler, also wäre Sekretin geeignet, um daraus ein Medikament zu machen für Adipositas?
Klingenspor: Unser Darm produziert natürlich jede Menge Signale – neuronale und endokrine, also Hormone –, die letztendlich auf das Gehirn Einfluss nehmen, unter anderem dann eben auch während einer Mahlzeit, um die Nahrungszufuhr zu regulieren, und Sekretin ist sicher dabei nur einer von mehreren Spielern. Aus meiner Sicht wäre das jetzt eigentlich unrealistisch, dass man Sekretin als ein Medikament so direkt einsetzt – erstens Mal, weil es eine sehr kurze Halbwertzeit hat, Überlebenszeit wenn Sie so wollen, in der Blutbahn. Das hat also eine Halbwertzeit von zweieinhalb Minuten, das heißt, nach zweieinhalb Minuten ist die Hälfte abgebaut, es verschwindet also relativ schnell wieder, das hätte nur eine sehr kurze Wirksamkeit. Und außerdem hat dieses Sekretin auch ganz entscheidende Wirkung auf die Bauchspeicheldrüse, stimuliert dort die Produktion von Verdauungssäften, und eine chronische Behandlung, Stimulation der Sekretinrezeptoren jetzt im ganzen Körper, das wäre sicher nicht so sinnvoll.
Knoll: Schade eigentlich. Das heißt, Sie können jetzt mit dieser Grundlagenforschung gar nicht in Richtung Anwendung gehen?
Klingenspor: Das würde ich jetzt dann so auch wieder nicht sehen, denn wir glauben aus der Ernährungsforschungssicht her, dass man eventuell durch das, was man isst und welche Vorspeise man zum Beispiel konsumiert, einen Einfluss nehmen kann darauf, welche Sättigungshormone denn im Darm ausgeschüttet werden. Und das ist natürlich eine ganz konkrete Frage dann an den Ernährungsforscher, wie kann man denn jetzt mit welcher Speise sozusagen oder Vorspeise die Sekretinsekretion beispielsweise besonders gut anregen und damit vielleicht das Sättigungsgefühl früher stimulieren.

Zusammenhang zwischen Sekretinstoffwechsel und Appetit

Knoll: Das heißt, das wäre jetzt der nächste Forschungsansatz?
Klingenspor: Genau, das ist also einer der Forschungsansätze, die wir verfolgen, um rauszufinden, welche Komponenten in unseren Lebensmitteln möglicherweise die Sekretinsekretion besonders gut stimulieren. Aus der Literatur scheint es Hinweise zu geben, dass es vielleicht die Fette sind, und das wollen wir jetzt aufklären.
Knoll: Was Sie jetzt herausgefunden haben, wäre das vielleicht ein Hinweis darauf, warum manche Menschen mehr essen, als sie sollten, und andere nicht? Kann es daran liegen, dass irgendwas in diesem Sekretinstoffwechsel bei den einen besser als bei den anderen funktioniert?
Klingenspor: Ich bin überzeugt davon, dass es da einen Zusammenhang gibt. Was sehr stark dafür spricht, sind die Erkenntnisse, die man jetzt von so Operationen hat, wo also der Magen zum Beispiel verkleinert wird, wo mit solchen Eingriffen ein sehr guter Erfolg ist für die Gewichtsreduktion und auch langfristige Gewichtsreduktion bei stark fettleibigen Patienten. Mit diesen Operationen, weiß man, ändert sich auch diese Sekretion dieser gastrointestinalen Hormone, und eines davon ist eben Sekretin. Man weiß aus einigen wenigen Publikationen, dass das Sekretin verstärkt gebildet wird und es in höherer Konzentration im Blut zirkuliert bei bariatrischer Chirurgie.
Das ist natürlich ein interessanter Ansatz, rauszufinden, inwieweit die positiven Effekte vielleicht vermittelt sind durch diese gastrointestinalen Hormone, und Sekretin ist nur eines davon. Wenn man das Ganze biochemisch simulieren könnte, was über diese OP erfolgreich passiert, dann wäre das natürlich hoch interessant, aber da kann ich jetzt schlecht eine Prognose abgeben, wie schnell man da zum Erfolg kommen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.