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Ernährungssicherheit
Städte der Zukunft als Selbstversorger

Was früher ein eigener Gemüsegarten war, das ist heute für manche Großstädter eine Parzelle am Stadtrand. Es ist eine Idee von vielen, die Produktion von Lebensmitteln näher an die Esser zu bringen. Und genau das sollte das Konzept der Zukunft sein, legt der Umweltjournalist Wilfried Bommert in seinem Buch "Brot und Backstein" nahe.

Von Stefan Maas | 30.06.2014
    Der Garten des Restaurants "Riverpark" in Manhattan (New York). Die Beete des Gartens wurden in Milchtragekästen aus Plastik angelegt. New York ist bekannt für Wolkenkratzer und Straßenschluchten, aber die Millionenmetropole ist auch überraschend grün - und wird immer grüner. Mit "Urban Gardening" kehren viele Einwohner zurück zur Natur - ob aus Gesundheitsbewusstsein oder purer Notwendigkeit.
    Urban Gardening New York (picture alliance / dpa / Christina Horsten)
    Die Städte der Zukunft wachsen schneller als je zuvor. Im Jahr 2030 werden sieben von zehn Menschen in Städten leben, insgesamt fünf Milliarden. Auf der Südhalbkugel wachsen alle 12 Monate fünf neue Städte von der Größe Pekings heran. Das schafft viele Probleme. Das grundlegendste aber steht bislang selten auf der politischen Agenda vor Ort, sagt Wilfried Bommert: Hunger.
    "Diese Städte haben kein Ernährungskonzept. Das wären alle x-Millionenstädte, bei denen der größte Teil der Bevölkerung arm ist. Während auf dem Land die Mehrheit der Armen noch Land unter den Füßen hatte, das sie jedenfalls einen Teil des Jahres versorgen konnte, hat das wachsende städtische Proletariat keine gesicherte Ernährungsgrundlage mehr, ist also auf das angewiesen, was auf den Märkten angeboten wird oder was auf Niemandsland, Brachflächen, Müllhalden, Straßenrändern und Bahndämmen geerntet werden kann."
    Ausreichend Nahrungsmittel in die Städte zu bringen, ist gar nicht so einfach. Und das gilt längst nicht nur für die Städte in den armen Ländern der Südhalbkugel, wo vor allem die Slums wachsen. Wo das Klima ungünstig ist, Fluten oder Dürre den Boden ausgelaugt haben und jeder Tropfen Wasser in den Flüssen, die sich durch die Städte ziehen, oft mehr als einmal gebraucht worden ist, bevor er verdreckt die Mündung erreicht.
    Auch die Städte auf der nördlichen Halbkugel, in den wohlhabenden Ländern sind schlecht auf das vorbereitet, was passieren würde, wenn plötzlich der ständige Nachschub an Nahrungsmitteln versiegt.
    "Weil die Städte so gut wie keine Reserven haben. Städte wie Berlin, London oder Paris haben höchstens für drei Tage Nahrungsmittelreserven. Wenn drei Tage lang der Nachschub ausfällt oder schwächer wird, da sind plötzlich Millionen von Haushalten von betroffen."
    Ein unterernährter Junge sitzt in einem Flüchtlingscamp in Tchomia im Osten der Demokratischen Republik Kongo
    Ein unterernährter Junge sitzt in einem Flüchtlingscamp in Tchomia im Osten der Demokratischen Republik Kongo (picture alliance / dpa / Stephen Morrison)
    Leere Regale - ein extremes Szenario. Und doch geeignet, um zu zeigen, wie verwundbar das System ist, an das sich westliche Gesellschaften gewöhnt haben. Just-in-Time Produktion und -Lieferung, um Lagerkosten zu sparen. Früchte vom anderen Ende der Welt, eine hochindustrialisierte Agrarindustrie, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für steigende Ernteerträge gesorgt hat. All das könnte sich in Zukunft zur Achillesverse unseres Versorgungssystems entwickeln, ist der frühere WDR-Redakteur Bommert überzeugt, wenn er auf die Landwirtschaft schaut:
    "Die Schwächen zeigen sich darin, dass es keine zusätzlichen Erträge mehr gibt. Das Wachstum der Erträge liegt bei ungefähr einem Prozent in der Landwirtschaft, früher hatten wir drei Prozent. Das Wachstum des Bedarfs liegt aber bei 1,8 Prozent. Die Menschen wollen mehr Getreide, wollen mehr Fleisch, wollen unter Umständen auch Biosprit. Die Erwartung, was vom Acker kommen soll, steigt und der Acker in den System, wie wir es führen, kann das nicht mehr leisten."
    "Vertikale Landwirtschaft" soll das Ernährungsproblem lösen. Weil immer weniger Ackerland für immer mehr Menschen zur Verfügung steht, gibt es für die Wissenschaft nur einen Weg: nach oben: "Wenn es nach ihr geht, findet die urbane Landwirtschaft im industriellen Ausmaß künftig in Industriegebieten statt, auf Hallendächern, in Hochhäusern, in schwebenden Gärten und verglasten Farmen."
    Was so vielversprechend klingt, dürfte nach Einschätzung Bommerts aber gerade für diejenigen unerschwinglich sein, die am stärksten unter dem Ernährungsproblem leiden. Die Tomaten und Kartoffeln aus der hochtechnisierten Hochhausfarm werden sich vermutlich nur die reichen Städter leisten können.

    Städte müssen sich selbst versorgen können
    Eine junge Frau verkauft Gemüse auf dem Markt von Lagos, Nigeria
    Eine junge Frau verkauft Gemüse auf dem Markt von Lagos, Nigeria (AP)
    Der Punkt ist, in den Städten wird sich auch die Armut ansammeln. In Paris, Berlin und London. Und die Frage ist: Wie wird diese Armut ernährt?
    Der Ansatz sei zwar richtig: Die Städte müssten sich wieder selbst versorgen können. Doch sollte der Blick nicht nur zu den Spitzen der Agrarwolkenkratzer gehen, sondern auch auf den Boden unter den eigenen Füßen, schreibt Bommert, denn dort liegt der Schlüssel zur Ernährung der Städte.
    Für den Leser beginnt eine faszinierende Reise rund um die Welt, zu Industriebrachen in Detroit, auf denen heute Gemüse wächst. Zu den Dachgärten in Kairo und den Sackgärten in Kibera, einem Slum von Nairobi. Dort wird mit ein bisschen Erde aus einem alten Plastiksack neben der Hüttentür ein Garten, der nicht nur die Familie mit Gemüse ernährt, sondern auch ein zusätzliches Einkommen ermöglicht. Bommert berichtet von Fischern, die ihre Tiere in den Abwässern der Stadt großziehen und von einer Aktivistin, die Gemüsesamenbomben auf die Flachdächer Kairoer Häuser wirft, um die Bewohner vom Vorteil eines eigenen Dachgartens zu überzeugen.
    Bei der Lektüre ist deutlich zu merken, dass hier die Sympathie den kleinen lokalen Projekten gilt. Nicht den Konzernen. Die werden, schreibt Bommert, die Ernährung der Welt in Zukunft nicht sichern können. Zumindest nicht in einer für alle bezahlbaren ethisch und ökologisch vertretbaren Weise:
    "Das ist ein grundsätzliches Umdenken. Das ist nicht mehr die Globalisierungsdiskussion wie wir sie vor 15 Jahren geführt haben. Wo alles nur global verstanden werden konnte. Wir werden regional wirtschaften, uns aber global über unsere Erfahrungen austauschen."
    Diese Art der Lebensmittelversorgung ist für Bommert auch gesellschaftlich wünschenswert. Menschen, auch arme Menschen, werden vom abhängigen Konsumenten zum Produzenten. Dass das nicht immer einfach ist und weit davon entfernt, den Gesamtbedarf zu decken, auch das zeigt das Buch. Der vergebliche Kampf gegen Bodenspekulanten, Startschwierigkeiten, gescheiterte Projekte, auch das ist Teil der Reise. Und natürlich geht es auch ums Geschäft. Finanziert werden viele dieser Projekte durch Crowdfunding, durch Bürger, denen eine gute Ernährung wichtig ist. Und ja, manchmal sogar durch die Politik. Nicht nur in Afrika und Asien:
    "Gehen wir ins Nachbarland Holland, da ist es lokale Politik. Amsterdam hat ein Selbsternährungskonzept entwickelt und versucht das gerade durchzusetzen. Und es gibt daneben eine Stadt, die ganz neu gebaut wird. Die wird so gebaut, dass diese Stadt sich selbst ernähren kann."
    Und Deutschland? Hier sieht Bommert noch eher Symbolik als relevantes Handeln. Doch auch hierzulande nehmen immer mehr Menschen ihre Ernährung selbst in die Hand. Schrebergärten und Gemüsebeete gelten längst nicht mehr als spießig. Berlin, München, Andernach. Das sind einige der Stationen in Deutschland, die Bommert für sein spannendes und gut geschriebenes Buch besucht hat. Manches wird man nach der Lektüre anders betrachten: das Gemüseangebot im Supermarkt ebenso wie die Obstbäume, die im Herbst prallvoll und ungeerntet am Wegesrand stehen.
    Wilfried Bommert: "Brot und Backstein. Wer ernährt die Städte der Zukunft?"
    Ueberreuter Verlag hat die 256 Seiten herausgebracht, 19,50 Euro.