Donnerstag, 28. März 2024

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Erneuerbare Energien
Power-to-X für die Energiewende

Ökostrom aus Sonne und Wind ist klimaneutral und unbegrenzt verfügbar - aber leider nicht unbedingt zu den Zeiten und an den Orten, an denen man gerade viel Strom benötigt. Ein möglicher Ausweg: Chemische Energieträger als Zwischenspeicher nutzen. Die Technik dafür ist da - nur sie rechnet sich bislang nicht.

Von Ralf Krauter | 26.04.2020
Das Betriebsgelände der Power-to-Gas-Anlage in Falkenhagen
Die Power-to-Gas-Pilotanlage in Falkenhagen war technologisch wegweisend, inzwischen ist ihr Betrieb aus Kostengründen eingestellt worden. (Ralf Krauter/Dlf)
Der Regionalzug 3608 fährt von Berlin-Spandau nach Nordwesten, Richtung Wittenberge. Die Häuser, die vor dem Fenster vorbeiziehen, werden weniger, die Kiefernwälder ausgedehnter, die Äcker dazwischen größer. Auf manchen stehen Dutzende Windräder. Ihre Flügel drehen sich unter tiefhängenden Wolken. Vor gut sechs Stunden bin ich in Köln losgefahren – und endlich am Ziel. Pritzwalk in der Prignitz, eine Kleinstadt auf dem platten Land zwischen Berlin und Hamburg.
Der Bahnsteig glänzt im Nieselregen. Drei Gleise, kein Taxistand. Viele Besucher zieht es offenbar nicht hierher. Dabei ist Pritzwalk durchaus eine Reise wert. Denn im benachbarten Örtchen Falkenhagen wird seit Jahren eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende erprobt: Die Verwandlung von Ökostrom in chemische Energieträger wie Wasserstoff und Methan.
"Ein wegweisendes Pilotprojekt"
"Mein Name ist Steffen Schirrmeister. Ich bin Principal Engineer bei der Thyssen-Krupp Industrial Solutions in Dortmund. Wir haben hier diese Anlage entwickelt, designt und mit Partnern gemeinsam aufgebaut." – "Ein wegweisendes Pilotprojekt?" – "Das ist ein wegweisendes Pilotprojekt. Es ist das zweite seiner Art in dieser Größenordnung im Demonstrationsmaßstab, um eben zu zeigen, dass eben hier mit einer Wasserstoffanlage und CO2 Methan erzeugt werden kann, das auch direkt ins Erdgasnetz eingespeist werden kann."
Methan ist der Hauptbestandteil von Erdgas. In Falkenhagen erzeugt man es, indem man gewöhnlichem Leitungswasser erneuerbare Energie einhaucht. Projektleiter Matthias Schmidt vom Kraftwerksbetreiber Uniper wartet mit dem Auto am Bahnhof. Auf der 15-minütigen Fahrt nach Falkenhagen erklärt er mir, warum die Demonstrationsanlage hier gebaut wurde.
Ökostrom satt, aber wenig Abnehmer
Die Kurzfassung geht so: Grünen Strom hat man in der Region Prignitz oft mehr als genug. Es gibt hier große Windfarmen und Solarparks, aber kaum Industriebetriebe, die bei steifer Brise oder strahlender Sonne viel Strom abnehmen könnten. Bei starkem Wind wird ein Teil der Windräder abgeschaltet - weil zu viel Input die Netzstabilität gefährdet. Was für eine Verschwendung. Deshalb begann der Energiekonzern Eon 2012 in Falkenhagen zu testen, wie sich das ändern ließe.

Das erste Etappenziel: Mit überschüssigem Windstrom Wasserstoff erzeugen und als Beimischung in eine Erdgas-Pipeline einspeisen. Auf diese Weise, so die ursprüngliche Vision, ließen sich in der Gasnetz-Infrastruktur große Mengen Strom speichern und von Travemünde nach Traunstein verfrachten, ohne neue Hochspannungsleitungen bauen zu müssen. Matthias Schmidt:
"Es ist halt ein System, was man nicht mehr bauen muss, sondern wo man sowohl die Speicherung als auch den Transport von Nord nach Süd, zwischen Ost und West halt schon realisiert hat. Und durch die Größe des Netzes kommt man halt schon in den Terawatt-Bereich mit der Power-to-Gas-Technologie."
Die Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse begann 2012 - Gedenktafel mit der Inschrift:
"Power to Gas"
Pilotanlage Falkenhagen
16. Oktober 2012
Die Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse begann 2012 (Ralf Krauter/Dlf)
Stromenergie speichern und transportieren im Gasnetz
Power-to-Gas ist seit zehn Jahren ein großes Thema in der Energiebranche. Die Verwandlung von Ökostrom in chemische Energieträger, die sich speichern und transportieren lassen, könnte ihr den Weg in eine klimafreundlichere Zukunft weisen. Ich will sehen, was schon geht, und rausfinden, welche Rolle die Technik künftig spielen könnte. Mit Baustellen-Helm, Schutzbrille und neongelber Jacke laufe ich mit Matthias Schmidt bei Sprühregen über das abgezäunte Areal. Ich sehe zwei große Reaktorkessel, einen Tank mit Kohlendioxid und ein Dutzend weiße Frachtcontainer. Im ersten, dessen Tür der Mann von Uniper aufsperrt, steckt die Wasserzufuhr.
"Wir hatten zu Beginn des Projektes immer Probleme mit dem Druck. Die Elektrolysen wollen halt mit einem Druck von 5 Bar arbeiten. Entsprechend wurde hier eine Druckerhöhung hingestellt, die sicherstellt, dass bei der Maximalabnahme der sechs Elektrolysen diese 5 Bar immer realisiert werden."
Wasserstoff-Produktion mit Öko-Starkstrom
Die Elektrolysen, das sind sechs 20-Fuß-Container, die weiter hinten auf dem Gelände stehen: Schlüsselfertige Wasserstoff-Fabriken der Firma Hydrogenics, die aus Wasser Wasserstoffgas herstellen – mit Hilfe von Starkstrom. Matthias Schmidt öffnet eine der Türen und gibt den Blick auf die sogenannten Elektrolyse-Stacks. Es sind große Zylinder, durch die ein Gemisch aus Wasser und Kaliumlauge strömt, die als Elektrolyt fungiert. Starkstrom-Elektroden zerlegen das Wasser dabei in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. Die blubbern als Gasblasen nach oben und werden separat aufgefangen. Alkalische Elektrolyse heißt diese altbekannte Technik.

"Der Wasserstoff geht dann in die Produktionsseite und wird dann in dem Platinkatalysator und der Trocknung aufbereitet. Das sind die Elektrolysen gewesen. Das war’s. Man sieht halt hier auch die Anschlüsse. Strom, Wasser. Ansonsten geht die Leitung Wasserstoff halt raus und vor zu dem Teil, wo wir jetzt hingehen."
Anlage lässt sich in Sekunden hoch- und runterfahren
Im Forschungsprojekt WindGas, das hier von 2012 bis 2015 lief, zapften die Elektrolysecontainer bis zu 2 Megawatt Leistung aus einem nahen Windpark und produzierten damit Wasserstoffgas. Bis zu 360 Kubikmeter pro Stunde - ein Brennstoffzellen-Auto käme mit dieser Menge über 3000 Kilometer weit. Der Wasserstoff wurde von Kompressoren verdichtet und in eine Hochdruckpipeline des Gasnetzbetreibers Ontras eingespeist. Matthias Schmidt:
"Es war damals möglich, wenn Wind verfügbar war, die Anlage sofort hochzufahren und das Gas ins Netz einzuspeisen. Und es wurde auf der Stromseite auch probiert, ob man für diese Minutenreserve solche Prozesse auch einsetzen kann. Und das ist auf Basis der Geschwindigkeit, mit der eine Elektrolyse startet und wieder abfährt, in jedem Fall möglich. Man kann so eine Last innerhalb von Sekunden komplett abwerfen und bei Bedarf, wenn man die beiden Sektoren wieder koppeln will, Strom und Gas, die Anlage relativ schnell hochfahren. Also das geschieht auch im Sekundenbereich. Alles technisch möglich - das hat das Projekt bewiesen."
Wasserstoff darf nur begrenzt in die Gaspipelines
Die wetterbedingten Spitzen von Wind- und Solarstrom im Netz könnte man mit Power-to-Gas-Technik also abfedern. Und zwar in viel größerem Stil, als das mit leistungsfähigen Batteriespeichern je möglich sein dürfte. Allerdings lässt sich das Potenzial mit Wasserstoff aus Ökostrom nur zum Teil ausschöpfen. In die Hochdruckpipelines für Erdgas darf nur begrenzt Wasserstoff eingespeist werden, weil sonst Dichtungen versagen könnten. Bei der Ontras-Pipeline in Falkenhagen liegt die Obergrenze bei 2 Prozent des Volumenstroms, anderswo bei 10 Prozent.

2016 hat Uniper deshalb ein Folgeprojekt gestartet. Im Rahmen des EU-Forschungsvorhabens "Store & Go" wird der Wasserstoff aus den Elektrolyse-Containern jetzt in synthetisches Erdgas umgewandelt und ins Gasnetz gespeist. Bei meinem Besuch im Januar überwacht Dr. Steffen Schirrmeister vom Anlagenbauer Thyssen-Krupp Industrial Solutions die Produktion an den Monitoren der kleinen Leitwarte. Als wir reinkommen, zeigt er zufrieden auf ein Display rechts vom Eingang.
"Wir haben jetzt also eine Methankonzentration von 99,5%. Das ist ein supergutes Ergebnis. Deutlich besser als es die Mindestanforderung vorschreibt."
Die Leitwarte der Pilotanlage (im Container links) mit dem Reaktor zur Methansynthese
Die Leitwarte der Pilotanlage mit dem Reaktor zur Methansynthese (Ralf Krauter/Dlf)
Ein Umwandlungsschritt mehr: Wasserstoff zu Methan
Wasserstoff in Methan verwandeln - das können Verfahrenstechniker schon lange im industriellen Maßstab. Man braucht Kohlendioxid dazu und Temperaturen von über 200 Grad Celsius. Bei der Reaktion, vermittelt durch einen nickelhaltigen Katalysator, entsteht Methan und Wasser. Soweit, so bekannt. Für Power-to-Gas-Anwendungen mussten aber neue Reaktoren her, die sich – je nach Angebot von Strom und damit Wasserstoff - schnell hoch- und wieder runterfahren lassen.
In Falkenhagen kommt ein spezieller Wabenreaktor zum Einsatz, entwickelt am Karlsruher Institut für Technologie. Er steckt in einem fünf Meter hohen Kessel, dem man dank Wärmeisolierung von außen nicht anfühlt, dass drinnen bei 220 Grad Wasserstoff und Kohlendioxid zu Methan und Wasser reagieren. Ohne aktive Kühlung würde die Temperatur sogar über 500 Grad steigen, sagt Steffen Schirrmeister, weil die Reaktion exotherm ist:

"Die Reaktoren sind natürlich in dieser Methanisierung Anlagenteile, die sehr viel Wärme produzieren. Für diese Anlage produziert der große Wabenreaktor ungefähr 100 Kilowatt. Und dann ist natürlich die Frage: Was macht man mit 100 Kilowatt bei 220 Grad Celsius? Und wir haben uns hier für eine Lösung entschieden, dass der Reaktor diese Wärme abgibt an ein Thermalöl. In dem Wärmetauscher-Container gibt dann das Thermalöl seine Wärme an Wasser ab. Und dieses Wasser wird dann hier über diese Pumpanlage und diese Strecke parallel zu Straße an ein Furnierwerk abgegeben. Und dieses Furnierwerk nutzt diese Wärme und kann somit eigene Energie sparen in der Wassererhitzung."
Hälfte der Energie bleibt auf der Strecke
Bis zu 60 Kubikmeter synthetisches Erdgas produziert die Anlage pro Stunde, was einem Brennwert von rund 60 Litern Heizöl entspricht. Mit der Ausbeute von einem Tag könnte ich meinen jährlichen Gasverbrauch für Heizung und Warmwasser decken. Allerdings kostet die strombasierte Verwandlung von Wasser über Wasserstoff in Methan reichlich Energie. Eine Kilowattstunde Ökostrom aus der Prignitz liefert regeneratives Erdgas mit einem Brennwert von einer halben Kilowattstunde. Die Hälfte der Energie bleibt auf der Strecke. Doch solange man Grünstrom verwendet, den sonst gerade keiner braucht, sei das kein Handicap, betont Matthias Schmidt:
"Man soll den Strom halt nicht benutzen und ins Erdgasnetz reinstecken, wenn’s gar nicht nötig ist. Sondern man soll das nutzen, was halt wirklich übrig ist im Markt: Wenn Windkraftanlagen stehen müssen, weil eine Überproduktion ist, dann soll dieser Einsatz erfolgen. Genau dafür ist diese Anlage konzipiert, dann ins Erdgasnetz einzuspeisen."
Theoretisch ließe sich das grüne Methan aus Falkenhagen irgendwo anders auch wieder in Strom zurück verwandeln - etwa in einer Brennstoffzelle oder einem Gaskraftwerk. Weil die Energieverluste dabei von 50 auf über 70 Prozent steigen, wäre das allerdings kein kluges Geschäftsmodell, sondern nur im Notfall eine Option.

Dutzende Pilotanlagen in Deutschland
Besuch in Falkenhagen - Ralf Krauter, Frank Schirrmeister, Matthias Schmidt (v.l.n.r.) in bester Stimmung vor der Pilotanlage
Dlf-Reporter Ralf Krauter mit seinen Gesprächspartnern Frank Schirrmeister und Matthias Schmidt (Ralf Krauter/Dlf)
Auf der Rückfahrt von Falkenhagen nach Köln rufe ich mir die Eckdaten ins Gedächtnis. Die Bundesregierung will Deutschlands Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Null runterfahren – Stichwort Dekarbonisierung. Deshalb führt am massiven Ausbau erneuerbarer Energien kein Weg vorbei. Bei der Deutschen Energieagentur ist man überzeugt: Power-to-Gas spielt bei dieser Transformation eine Schlüsselrolle: Als Brückentechnologie, um überschüssigen Ökostrom zu nutzen, um Energie für die Bereiche Industrie, Wärmeversorgung und Verkehr bereitzustellen. Um die Entwicklung der Technik zu fördern, hat die DENA 2011 eine Strategieplattform "Power-to-Gas" ins Leben gerufen, deren Mitglieder inzwischen dutzende Pilotanlagen gebaut haben. Hier einmal drei Beispiele:
Im Gewerbepark Mainz-Hechtsheim erzeugt eine Elektrolyse-Anlage von Siemens seit 2015 bis zu 1000 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde. Das Gas strömt in industrielle Anwendungen und die Tanks von Wasserstoff-Autos.
Am Audi-Standort Werlte in Niedersachsen produziert eine Power-to-Gas-Anlage seit 2013 rund 1000 Tonnen grünes Methan pro Jahr. Es wird als klimaneutraler Kraftstoff genutzt oder ins Erdgasnetz gespeist.
Bei der Salzgitter Flachstahl GmbH erzeugt ein Hochtemperatur-Elektrolyseur der Dresdner Firma Sunfire seit 2016 grünen Wasserstoff für die Stahlproduktion.
Wie groß ist das Potenzial von Power-to-Gas tatsächlich?
Laut DENA könnte 2050 ähnlich viel Strom in Power-to-Gas-Anlagen fließen, wie heute in ganz Deutschland pro Jahr produziert wird: Rund 600 Terawattstunden. Zu Unterstützern der Strategieplattform zählen neben Unternehmen wie Siemens, Volkswagen und die Salzgitter AG auch große Energie- und Gasversorger wie EnBW und Uniper. Was die Frage aufwirft: Wollen die jetzt echt Gas geben bei der Energiewende oder vor allem neue Geschäftsfelder erschließen?
Unabhängige Fachleute schätzen das Potenzial jedenfalls nüchterner ein als die DENA. Im August 2019 veröffentlichten 23 Energie-Experten ein Dossier mit dem Titel "Effiziente Energiewende jetzt, statt warten auf das grüne Gas." Darin warnen sie davor, im großen Stil auf strombasierte Energieträger zu setzen:
"Letztendlich besteht die Gefahr, dass durch falsche Hoffnungen in großskalige Grüne-Gase-Technologien wertvolle Zeit zur Umsetzung von Effizienzmaßnahmen verschlafen wird, die wesentlich kostengünstiger umzusetzen sind."
Elektrolyse-Anlagen rechnen sich nur bei hoher Auslastung
Einer der Verfasser, Professor Wolfgang Eichhammer, leitet das Kompetenzzentrum Energiemärkte und Energiepolitik am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Sein zentrales Argument: In einem gut optimierten Stromsystem gibt es nur wenig überschüssigen Strom. Und weil der nur manchmal anfällt, rechnet es sich nicht, Elektrolyse-Anlagen für die Gas- oder Kraftstoffproduktion zu bauen - die amortisieren sich nämlich nur, wenn sie mindestens 4000 Stunden im Jahr laufen. In der Roadmap des vom Bundesforschungsministerium geförderten Kopernikus-Projektes "Power-to-X" vom August 2019 heißt es passend dazu: "Die Gestehungskosten von Power-to-X-Produkten zeigen eine sehr hohe Sensitivität gegenüber der Auslastung der Anlagen."
Bis 2035 sei deshalb nur mit vereinzelten Nischenanwendungen zu rechnen, folgern die Experten. Und das Ökoinstitut schreibt in seinem Report "Herstellung, Nutzung und Kosten strombasierter Energieträger" vom November 2019: "Erst wenn der Strom zu mindestens 75 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt, ist es aus Klimaschutzsicht vorteilhaft, Strom in Power-to-X-Stoffe umzuwandeln und diese zu nutzen."
Power-to-X alternativlos für 2-Grad-Klimaziel?
Bis dahin wird aber noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen, denn heute decken erneuerbare Energien erst ein Drittel unseres Strombedarfs. Aber wenn es so viele Bedenken und Fragezeichen gibt: Warum stecken Berlin und Brüssel dann seit Jahren Millionen in Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet? Und warum fördert der Bundeswirtschaftsminister jetzt mit 100 Millionen Euro jährlich "Reallabore der Energiewende", bei denen grüner Wasserstoff aus Power-to-Gas-Anlagen im Fokus steht?
"Ich glaube, ohne Power-to-X, ohne diese Technologien, wird man nicht die hohen CO2-Vermeidungsgrade schaffen, die man braucht, um auf dem 1,5 oder 2 Grad-Pfad zu bleiben. Was wir unbedingt anstreben sollten, weil sonst – fürchte ich – sind die Kosten halt einfach noch höher. Also ich glaube, ohne Power-to-X kommen wir nicht hin. Und das wird im großen Stil sein."
Roland Dittmeyer leitet das Institut für Mikroverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie. Der Professor trägt einen blauen Anzug und Krawatte, weil er gleich in eine Gremiensitzung muss. Vorher hat er aber noch eine Stunde Zeit, mir in einem Sitzungsraum auf dem KIT Campus Nord in Eggenstein-Leopoldshafen zu erklären, wie er die Dinge sieht:
"Unser heutiges System ist nachfragegetrieben. Wir produzieren dann Strom, wenn wir ihn brauchen. Dieses zukünftige System, was dann auf Erneuerbaren basieren wird, ist angebotsgetrieben. Das heißt, wir kriegen halt irgendwann erneuerbaren Strom und den müssen wir dann nutzen und speichern."
Paradigmenwechsel in der Energiebranche
Roland Dittmeyer spricht von einem Paradigmenwechsel, der die Energiebranche auf den Kopf stellen wird. Heute verbrennen wir tonnenweise fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas, um Strom zu erzeugen. Künftig werden wir dank Wind und Sonne massenhaft grünen Strom ernten. Und den dann nutzen, um chemische Energieträger herzustellen: Wasserstoff, Methan, Flüssigkraftstoffe. Dittmeyer:
"Bei aller Wandlung gibt’s immer irgendwelche Verluste. Das heißt, wenn das künftige Energiesystem so aussieht, dass wir von Strom anfangen, dann wird man erstmal versuchen, diesen Strom direkt zu nutzen, wo es geht. Da wo es nicht geht, da wo wir einen chemischen Energieträger brauchen, können wir den mit diesem Strom erzeugen. Das ist unsere Agenda."
Solaranlage im marokkanischen Ouarzazate
Was wurde daraus? - Sonnenstrom aus der Wüste
Das Desertec-Konzept sollte die besten Solarstandorte und die besten Technologien der Welt zusammenbringen und so überschüssigen Strom aus den Wüstenstaaten nach Europa exportieren. Große Firmen sprangen auf, doch dann kippte die Stimmung.
Kerosin für Flugzeuge, Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge, Dieselkraftstoff für Schiffe und Lastwagen, die lange Strecken fahren, Kohlenwasserstoffe als Grundstoffe für die Chemieindustrie – all das ließe sich mit grünem Strom klimaneutral fabrizieren. Dass sich Power-to-X-Anlagen derzeit kaum rechnen, schreckt Roland Dittmeyer nicht ab. Damit die Technik reift und billiger wird, sagt er, muss man sie jetzt im größeren Stil einsetzen.
Technologien weiterentwickeln mit staatlicher Förderung
Vielleicht hat er Recht. Mit Wind- und Solarstrom hat anfangs auch niemand Geld verdient. Erst als die Politik klarstellte "wir wollen mehr davon und fördern das entsprechend", stieg die Nachfrage und lies die Preise purzeln. Dittmeyer:
"Der kluge Weg ist meiner Meinung nach, dass wir die Technologien, die wir jetzt haben, die gut funktionieren und einen vernünftigen Wirkungsgrad haben, anwenden – und parallel an der nächsten Generation arbeiten. So haben wir das immer gemacht."
Nach dem Gespräch mit Roland Dittmeyer zeigen mir seine Leute, was heute schon geht und künftig möglich sein könnte.
"Mein Name ist Peter Pfeifer. Ich bin Professor am KIT und auch hier hauptverantwortlich für den Gesamtaufbau des Anlagenparks im Energy-Lab. Wo wir jetzt stehen, das sind im Prinzip die Anlagen, die wir aufgebaut haben, um Komponenten des zukünftigen Energiesystems zu untersuchen."
Das Energy Lab 2.0 auf dem Campus des Karlsruher Instituts für Technologie KIT. Ähnlich wie der Versuchsanlage Falkenhagen ist ein großer Teil der Anlagen in Container eingebaut.
Das Energy Lab 2.0 auf dem Campus des Karlsruher Instituts für Technologie KIT (Ralf Krauter/Dlf)
Kompakte Elektrolyseanlage im Container
Das Bild ähnelt dem, was ich in Falkenhagen gesehen habe: Eine Handvoll Container, verteilt auf einem geräumigen Areal, über unterirdische Leitungen verbunden. Auch hier beginnt alles mit einer Frachtbox, in die Wasser und Strom fließt. Doch die Elektrolyseanlage hier stammt von Siemens. Ihr Innenleben wirkt kompakter als bei der alkalischen Elektrolyse in Falkenhagen: Die Stapel silberner Stacks haben das Format von Computerfestplatten, armdicke Kabel führen Strom zu. In den silbernen Stacks strömt das Wasser durch dünne Kanäle an einer Polymer-Membran vorbei, die es in seine Bestandteile zerlegt. Pfeifer:
"In der Anlage sind das vier Zellenblöcke. Jeder hat etwa eine Stromaufnahme von 25 Kilowatt, sodass wir in Summe auf 100 Kilowatt kommen. Sodass wir im Endeffekt um die 30 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde bekommen."
Polymer-Exchange-Membran-Elektrolyse, so heißt diese Technik. Die Vorteile: Kompakte Bauweise, modulares Konzept, kaum Korrosion. Neben Siemens bieten auch andere Firmen bereits kommerzielle Systeme der Megawatt-Klasse. In Karlsruhe strömt das Wasserstoffgas jetzt in einen benachbarten Container, auf dem in großen Lettern "Ineratec" steht.
Die Umwandlungs-Alternative: Wasserstoff zu Kerosin
"Wir stehen jetzt vor dem Container, der diese Fischer-Tropsch-Synthese enthält. Wir nennen den Container Jet-Fuel-Synthese, weil er im Wesentlichen darauf ausgerichtet ist, Kerosin zu produzieren, also ein Kerosin-Substitut."
Ineratec ist ein 2016 gegründetes Spin-Off des KIT, das eine Schlüsselkomponente der Power-to-X-Technik zur Serienreife entwickelt hat: Einen miniaturisierten Reaktor in Würfelform, der aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid flüssige Treibstoffe herstellt – mittels Fischer-Tropsch-Synthese, bekannt aus dem Chemie-Unterricht in der Schule.
"Man sieht hier einen großen silbernen Klotz: Die Einhausung des chemischen Reaktors, der die Synthese macht. Und aus dem kommen dann diese paraffinartigen Substanzen raus."
Es wimmelt von silbernen Rohren, Ventilen, Kabeln und blinkenden Leuchtdioden. Die Kohlenwasserstoffe, die aus dem Reaktor strömen, sind teils flüssig, teils wachsartig. Die Bestandteile werden getrennt und gereinigt – alles vollautomatisch. Am Ende strömt aus einem Ventil an der Rückseite des Containers Flugzeugtreibstoff - wenn die Anlage auf Volllast läuft, bis zu eineinhalb Barrel pro Tag, sagt Peter Pfeifer, rund 250 Liter:
"Also schon eine nennenswerte Menge. Deswegen haben wir uns auch für diese Skala entschieden."
Energy Lab 2.0: Peter Pfeifer vor dem kompakten Fischer-Tropsch-Reaktor des KI-Spin-Offs Ineratec
Peter Pfeifer vor dem kompakten Fischer-Tropsch-Reaktor (Ralf Krauter/Dlf)
Windturbine lässt sich in Tankstelle verwandeln
Der Leiter der Abteilung chemische Energiespeicherung war einer der Gründer von Ineratec und berät die Firma bis heute. Eine Anlage im Megawatt-Maßstab würde immer noch in so eine handelsübliche Frachtbox passen und könnte 350 Tonnen Kerosin oder Diesel pro Jahr liefern, sagt Peter Pfeifer. Im Prinzip lässt sich damit jede Windturbine in eine Tankstelle verwandeln. Wirtschaftlich sinnvoll wäre das aber nur in abgelegenen Gegenden, ohne Anschluss ans Stromnetz, wegen der Umwandlungsverluste.
Pfeifers Kollege Dr. Siegfried Bajohr ist Experte für chemische Reaktoren, die aus Wasserstoff Methan erzeugen, also synthetisches Erdgas.
"Wir arbeiten an der Energiewende. Und wir finden das toll. Und das sind sehr spannende Technologien."
2013 begann er an den kompakten Wabenreaktoren zu tüfteln, die seit 2018 in Falkenhagen im Einsatz sind.
"In diesem Fall war es so, dass der DVGW, der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs, die knappe Million dafür bereitgestellt hat und gesagt hat: Ok, Methanisierung wird eine der Schlüsseltechnologien werden. Das war damals schon die Vision von den Leuten. Und wir haben tiefe Taschen, entsprechende Rücklagen. Und wir nehmen dieses Geld und sagen: Baut halt mal sowas, zeigt mal, dass es funktioniert."
Aus für die Pilotanlage Falkenhagen
Siegfried Bajohr und seine Leute haben das dann mal gemacht. Zunächst im kleineren Maßstab, in einem der Container, hier auf dem Campus. Mit den Erfahrungen, die sie da gesammelt haben, entwarfen sie dann den meterhohen Reaktorkessel, den ich in Falkenhagen gesehen habe. Zur Inbetriebnahme waren sie vor Ort, seitdem läuft alles wie geplant. Aber wohl nicht mehr lange.
"Die Anlage steht jetzt kurz vor dem Aus. Weil, wenn das Projekt zu Ende ist, im März, sagt die Betreibergesellschaft: Wenn wir die weiter betreiben, dann verbrennen wir dort Geld. Also die elektrische Energie, die sie dort reinstecken in die Elektrolyse, um den Wasserstoff zu machen, mit dem sie dann hinterher Methan machen, ist schon teurer als der Preis, den sie hinterher für das Methan erzielen. Also ist das jedes Mal, wenn sie das Ding betreiben, Vernichtung von Geld."
Nach allem, was ich im Lauf meiner Recherchen mitbekomme, gilt das so ähnlich für alle derzeit laufenden Power-to-X-Anlagen in Deutschland. Falkenhagen war eine der ersten in der Megawatt-Klasse, deshalb beträgt der Wirkungsgrad für die Umwandlung von Ökostrom in Erdgas dort nur schlappe 50 Prozent.
Ohne politischen Druck oder Anreiz funktioniert es nicht
Bei neueren Anlagen fällt die Bilanz schon besser aus. Der Trick dabei: Die Abwärme des Reaktors heizt neuartige keramische Elektrolysezellen auf 800 Grad Celsius. Durch diese Wärmekopplung steigt der Gesamtwirkungsgrad für die Methanproduktion auf über 80 Prozent. Das heißt: Eine Kilowattstunde Grünstrom liefert dann Methan mit einem Brennwert von 0,8 Kilowattstunden. Das kann sich schon eher sehen lassen. Aber noch ist die neue Technik teurer und nicht so gut erprobt - auch weil Anreize fehlen, sie im großen Stil zu testen. Denn natürlich ist es heutzutage viel billiger, statt regenerativ erzeugtem Methan fossiles Erdgas zu nutzen. Siegfried Bajohr:
"Das sind wieder diese Probleme der Rahmenbedingungen der Energiewende. Es muss jemand kommen und sagen: Ihr müsst das jetzt machen. Entweder ihr müsst, oder ihr kriegt halt einen Anreiz, dass ihr’s von Euch aus macht – freiwillig. Und das ist momentan nicht gegeben. Das muss man ganz klar sagen. Auch wenn der Wille zur Energiewende bei allen Personen da ist: Das Ganze zu finanzieren, funktioniert nicht so einfach."

Energiewende wird ihren Preis haben - auch für Verbraucher
Energy Lab 2.0 am KIT: Siegfried Bajohr vor einem Betriebscontainer der Anlage.
Siegfried Bajohr, der Entwickler des Wabenreaktors zur Methanisierung (Ralf Krauter/Dlf)
Ein vernünftiger Preis für Kohlendioxid-Emissionen würde schon mal helfen. Die Befreiung von der EEG-Umlage und garantierte Abnahmemengen für Power-to-X-Produkte könnten weitere Anreize schaffen. All das müsste in Berlin und Brüssel entschieden werden, auf politischer Ebene. Und die Initiativen, mit denen Bundeswirtschaftsminister Altmeier und Bundesforschungsministerin Karliczek jetzt den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vorantreiben wollen, machen Hoffnung, dass sich da bald etwas tun könnte.
Aber die Transformation, die wir bis 2050 irgendwie über die Bühne bekommen müssen, ist gewaltig. Und von den Experten, mit denen ich spreche, macht auch keiner einen Hehl daraus: Wir werden uns umstellen müssen. Siegfried Bajohr:
"Es gibt immer wieder Leute, die sagen, wir können die Energiewende ohne Verzicht anstellen. Also Verzicht im Sinne von: Ich habe weiter mein 400 PS Auto und ich muss nicht mehr dafür bezahlen. Das ist etwas, das kann ich nicht so vertreten. Dafür sind wir hier glaube ich alle zu nah an der Sache dran. Das wird so nicht funktionieren. Ich werde nicht einen Liter Diesel, der aus Eurer Anlage kommt, für 1,20 Euro oder so tanken können."
Ökostrom-Produktion auslagern an optimale Standorte?
Beim aktuellen Stand von Technik und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wären für Power-to-X-Kraftstoffe bis zu 4,50 Euro pro Liter fällig. Heißt es in einer Studie, in der Berater der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik für die deutsche Energieagentur untersucht haben, welches Potenzial strombasierte Kraftstoffe haben. Sie schreiben aber auch: Der Preis könnte langfristig auf einen Euro pro Liter sinken, sofern der Ökostrom-Sprit dort produziert wird, wo die Bedingungen optimal sind, um Wind- und Solarstrom zu ernten. Also nicht in Deutschland, sondern in Nordafrika, Australien oder Chile.
Doch dazu wären Power-to-X-Anlagen im Raffinerie-Maßstab nötig, die außer Gigawatt an Ökostrom auch große Mengen Wasser und Kohlendioxid verbrauchen, das irgendwo herkommen muss. Das Wasser könnte durch Meerwasserentsalzung gewonnen, das Kohlendioxid aus der Luft gefischt werden - aber beides frisst zusätzlich Strom und senkt den Wirkungsgrad. Ob sowas je gebaut wird? Nicht nur ich bin da skeptisch. Roland Dittmeyer:
"Der Punkt ist natürlich, dass ich da relativ große Geldmengen bewegen muss für so ein Projekt. Da hat man natürlich ein hohes wirtschaftliches Risiko. Deswegen bin ich mir nicht sicher, wie lange es noch dauern wird, bis das wirklich passiert. Sodass unsere Bemühungen eben eher dahingehen, im Megawatt-Bereich eine einsetzbare Technologie zu haben, die auch in Europa funktionieren wird. Vielleicht nicht ganz so kostengünstig wie eine Großanlage an einem Idealstandort, aber von der wirtschaftlichen Einstiegshürde auch wesentlich geringer. Deshalb glaube ich, dass durch diese Entwicklung die gesamte Umstellung auch beschleunigt werden kann."
Technologie-Vorsprung könnte weltweit Märkte eröffnen
Also besser erstmal kleinere Brötchen backen und hierzulande umsetzen, was geht, rät der Chemieingenieur Roland Dittmeyer vom KIT. Denn die Erfahrungen, die Europas Ingenieure und Anlagenbauer in den nächsten Jahren sammeln, könnten ihnen weltweit neue Märkte eröffnen.
In Berlin scheinen Dittmeyer und seine Mitstreiter Gehör gefunden zu haben. Mit über 100 Millionen Euro fördert das Bundeswirtschaftsministerium jetzt sogenannte "Reallabore der Energiewende", die Elektrolyse, Methanisierung und Kraftstoffsynthese mit Grünstrom auf zehnmal größerer Skala als bisher umsetzen wollen - mit Power-to-X-Anlagen der 20- bis 50-Megawatt-Klasse, die den Überschuss-Strom ganzer Wind- und Solarparks verwerten können.
Auch Uniper ist dabei und der Gasnetzbetreiber Ontras, die beide schon in Falkenhagen am Start waren. Als Teil des Konsortiums "Energiepark Bad Lauchstädt" wollen sie mit einem neuen Windpark und einem 40 Megawatt-Elektrolyseur grünen Wasserstoff für die Chemieregion Mitteldeutschland produzieren - und große Mengen davon in einer Salzkaverne unter der Erde zwischenspeichern.