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Erneuerer des Orchester-Jazz

Selbst hielt der kanadische Jazzmusiker Gil Evans nicht viel von sich als Instrumentalist. Er konzentrierte sich auf das Arrangieren von Musik, was er autodidaktische lernte. Evans trug zur Entstehung des Cool Jazz bei und produzierte gemeinsam mit Miles Davis modernen Orchester-Jazz.

Von Günther Huesmann | 13.05.2012
    "Gil Evans ist der beste Arrangeur, den ich kenne. Mir ist seit dem Augenblick, als ich Charlie Parker das erste Mal hörte, nichts mehr begegnet, was mich immer wieder so umwirft wie seine Musik",

    sagte der Trompeter Miles Davis.

    Gil Evans verstand sich nicht in erster Linie als Songschreiber und Melodienerfinder, sondern als Sound-Innovator. Das Suchen und Finden raffinierter Klangschichtungen war seine Passion. Instrumentenkombinationen, mit denen andere Arrangeure nichts anzufangen wussten, entlockte er einen unwiderstehlichen Glanz.

    Geboren wurde er am 13. Mai 1912 in Toronto, den Namen seines Vaters hat Gil Evans nie gekannt. "Du bist von einem Stern gefallen", erzählte die Mutter ihrem Kind. Bereits mit dreizehn interessierte er sich für Jazz und entwickelte früh eine Obsession für Sounds. Automarken konnte er am Motorenklang erkennen. 1927 entdeckte er die Musik eines Trompeters.

    "Wie man mit einem Song umgeht, habe ich von Louis Armstrong gelernt.”"

    1933 leitete Evans seine eigene Band. Er hielt nicht viel von sich als Instrumentalist. Früh verlegte er sich aufs Arrangieren, das er autodidakisch lernte:

    ""Ich hatte einen kleinen Phonographen mit Kurbel, dessen Geschwindigkeit man stufenlos regulieren konnte. So verbrachte ich viele Jahre meines Lebens damit, dass ich Arrangements von Schallplatten transkribierte."

    1941 wurde Evans fester Arrangeur im Claude Thornhill Orchester. Wegweisende neue Klangfarben entdeckte er, indem er die Ideen des modernen Jazz auf ungewöhnliche Instrumentierungen mit Waldhörnern und Tuba übertrug. 1946 zog er nach New York, in eine spartanische Souterrainwohnung nahe der 52nd Street.

    "Zwei Jahre lang ließ ich sie buchstäblich offen, ich schloss nie ab. Wenn ich nachts nach Hause kam, traf ich manchmal auf Fremde, meistens aber auf Leute wie Miles, John Lewis und George Russell."

    Die Musiker dort diskutierten, wie man die Ergebnisse des modernen Jazz noch raffinierter gestalten könnte. Mit seinen Arrangements für das daraus resultierende Capitol-Orchestra schuf Evans einen fundamentalen Beitrag zur Entstehung des Cool Jazz. Er etablierte einen völlig neuen Big-Band-Sound: kultiviert, dunkel, sanft. Das machte Gil Evans zum idealen musikalischen Partner des Trompeters Miles Davis.

    Gemeinsam nahmen sie zwischen 1957 und 1960 drei epochale Alben des modernen Orchester-Jazz auf: "Miles Ahead", "Porgy & Bess" und "Sketches of Spain" – mit dem Trompeter als einzigen Solisten. Evans Fähigkeit, Stimmungen zu orchestrieren, war phänomenal. Dabei entwickelte er einen außerordentlichen Sinn fürs Spontane.

    "Gil ist der einzige Arrangeur, der eine Sache genauso komponieren kann, wie ein improvisierender Solist sie blasen würde",

    konstatierte der Baritonsaxofonist Gerry Mulligan. In den 60er-Jahren trat Evans nur noch sporadisch an die Öffentlichkeit. Vom großen Ruhm seiner Werke konnte er freilich kaum leben.

    "Neulich erzählte mir der Chef von Columbia Records, dass alle Alben, die ich mit Miles Davis gemacht habe, über die Jahre 'Gold-Status' erreicht haben. Ich aber habe nur die anfänglichen 500 Dollar pro arrangiertem Stück bekommen und danach nichts mehr."

    Frustriert von der Schreibtischarbeit, gründete Evans Anfang der 80er-Jahre das "Monday Night Orchestra" mit dem er Meilensteine des orchestralen Jazz-Rock schuf. Bis kurz vor seinem Tod am 20. März 1988 in Cuernavaca, Mexiko, war er bereit, auf der Suche nach Schönheit Konventionen zu hinterfragen.

    "Oft kommt und geht ein Erneuerer, ohne gut gelebt zu haben. Nur wegen der Hörgewohnheit. Die weltweit meistverbreitete Sucht ist die nach Bequemlichkeit. Wir alle leiden unter einem Übermaß an Bequemlichkeit auf Kosten von Leidenschaft."