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Ernstere Lage

Klimaforschung. – Der Klimaforschungsrat der UNO, der IPCC, arbeitet an seinem nächsten Bericht über den Zustand des Weltklimas. Zurzeit befindet sich die Studie auf Begutachtungstour durch die Wissenschaftlerszene, ist also noch nicht offiziell verabschiedet. Anfang 2007 soll das Dokument veröffentlicht werden.

Von Volker Mrasek | 26.05.2006
    Offiziell will sich keiner der beteiligten Wissenschaftler zu dem Entwurf äußern. Noch handele es sich nicht um die Schlussfassung des neuen IPCC-Berichtes, heißt es. Doch die wird sich kaum vom jetzt vorliegenden Entwurf unterscheiden. Höchstens in Nuancen. Das bestätigen Forscher, die zu den Hauptautoren des Berichts zählen und ungenannt bleiben wollen. Der letzte UN-Report ist inzwischen fünf Jahre alt. Er war sehr vorsichtig gefasst. Seine Kernaussage lautete:

    "Projektionen ergeben für den Zeitraum von 1990 bis 2100 eine Erhöhung der mittleren globalen Erdoberflächen-Temperatur von 1,4 bis 5,8 Grad Celsius."

    Eine ziemlich große Spanne! Fünf Jahre später klingt das schon präziser:

    "Die Erwärmung dürfte im Bereich von 2 bis 4,5 Grad Celsius liegen. Am wahrscheinlichsten ist ein Zuwachs von rund drei Grad."

    Die Klima-Gutachter legen sich damit erstmals auf einen einzelnen Wert fest, den sie augenscheinlich für den treffendsten halten. Allerdings nur unter der Annahme, dass sich der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre nicht mehr als verdoppelt, verglichen mit vorindustrieller Zeit. Das ist sehr optimistisch gedacht. Viele Forscher glauben, dass kaum noch eine Chance besteht, unter dieser Schwelle zu bleiben. Viel größere Bedeutung kommt sowieso regionalen Temperaturänderungen zu. Und die werden laut dem neuen IPCC-Bericht zum Teil noch viel krasser ausfallen:

    "Es ist zu erwarten, dass die Erwärmung in hohen nördlichen Breiten und über Land am größten sein wird - etwa doppelt so stark wie im globalen Mittel."

    Für die Arktis bedeutet das: Sie könnte sich im Laufe dieses Jahrhunderts um 6 Grad Celsius erwärmen. Dabei würden schon drei Grad plus in der Region genügen, um Grönlands mächtigen Eispanzer abtauen zu lassen. Das weiß man aus Klima-Rekonstruktionen der Vergangenheit. Während der letzten Warmzeit war Grönland schon einmal komplett eisfrei. Damals stieg der Meeresspiegel um mindestens vier Meter. Offenbar beschwört der Mensch gerade die erneute Super-Eisschmelze in der Arktis herauf. Ein solcher Prozess würde zwar Jahrhunderte dauern, oder noch länger. Aber er könnte schon bald in Gang kommen. Auf diesem Gebiet arbeitet unter anderem der belgische Gletscherforscher Philippe Huybrechts:

    "Ist diese kritische Temperaturschwelle von plus drei Grad einmal überschritten, dann gerät Grönland aus dem Gleichgewicht. Der Prozess der Eisschmelze wird nicht mehr aufzuhalten sein. Dinge, die wir heute tun oder lassen, haben im Fall von Grönland also langwierige Konsequenzen.""

    Ein Kernsatz im letzten IPCC-Report lautete noch, ein Großteil der gegenwärtigen Erderwärmung sei menschlichen Aktivitäten zuzuschreiben. Im neuen Bericht geht der Sachverständigenrat einen Schritt weiter. Gestützt auf eine Fülle neuer Beobachtungsdaten und Modellstudien heißt es nun, der Mensch beeinflusse ...

    "... auch andere Aspekte des Klimas, darunter die Meereisbedeckung, Hitzewellen und andere Wetterextreme, die Luftzirkulation, Sturmbahnen und den Niederschlag."

    Womit in diesem Jahrhundert zu rechnen ist, wenn Industrie- und Schwellenländer ihren CO2-Ausstoß nicht deutlich drosseln, schildert der neue Klimareport anhand zahlreicher Beispiele:

    "Der Meeresspiegel wird Ende des Jahrhunderts allein durch thermische Ausdehnung um bis zu 43 Zentimeter ansteigen. Die Arktis könnte in der zweiten Jahrhunderthälfte komplett eisfrei sein. Niederschläge werden in trockenen Regionen weiter abnehmen und in feuchten weiter zunehmen. Es ist zu erwarten, dass Stürme in mittleren Breiten seltener auftreten, dafür aber stärker werden - verbunden mit extremen Wellenhöhen an der Küste und erhöhten Schäden an der Infrastruktur."

    Auch in Mitteleuropa sollen die Temperaturen fürs erste weiter steigen. Es könnte zwar sein, dass sich der Golfstrom im Zuge des Klimawandels abschwächt und dadurch weniger tropische Wärme nach Norden transportiert. Doch in Europa dürfte deshalb keine neue Eiszeit hereinbrechen, wie es gelegentlich hieß. Im Gegenteil: Auch hier, heißt es im neuen IPCC-Bericht, überwiege der Erwärmungseffekt durch CO2 und die anderen Treibhausgase.