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"Ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Ergebnisses"

Einschüchterungen, Bestechungen, mehrfach abgegebene Stimmen: Die Wahlen in Afghanistan sind alles andere als sauber gelaufen, sagt der ehemalige Botschafter in Pakistan Gunter Mulack. Dennoch seien sie ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung des Landes.

Gunter Mulack im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.09.2010
    Friedbert Meurer: Die Afghanen haben am Samstag ein neues Parlament gewählt. Es gehörte Mut dazu, an die Urnen zu gehen. Es gab viele Gewaltakte, 500 wohl insgesamt. 20 Menschen sind getötet worden. Die Wahlbeteiligung soll bei etwa 40 Prozent gelegen haben, "soll" deswegen, weil das eine Angabe der afghanischen Regierung ist, die wir nicht überprüfen können.

    Gunter Mulack ist Direktor des Deutschen Orientinstituts in Berlin, war bis 2008 deutscher Botschafter in Pakistan. Guten Morgen, Herr Mulack.

    Gunter Mulack: Schönen guten Morgen.

    Meurer: Wie erklären Sie sich, dass es diesmal keine größere offizielle Beobachtungsmission von EU und OSZE in Afghanistan gegeben hat?

    Mulack: Aufgrund der massiven Sicherheitsbedenken, die man einfach hatte, und man wusste nicht, wie weit man überhaupt die Beobachter unter diesen Umständen hätte dislozieren können. Auch im letzten Jahr konnten unsere Beobachter in vielen Orten gar nicht richtig tätig werden. Deswegen hat man diesmal nur eine ganz kleine technische Mission vor Ort, die aber immerhin da ist, um zu überprüfen, wie die Sachen laufen.

    Meurer: Also Sie halten die Entscheidung für richtig?

    Mulack: Ja, ich halte die Entscheidung für richtig, nicht hingegangen zu sein. Es hat ja auch sehr viel Kontroversen gegeben. Herr Karsai hatte uns ja damals auch verurteilt oder beschuldigt, wir seien schuld am Betrug. Wie er das nun abgeleitet hat, können wir nicht ganz verstehen. Aber so hat man auch vermieden, sich da in irgendeiner Weise näher einzulassen.

    Meurer: Umgekehrt: hat Karsai, der Präsident, jetzt freie Bahn gehabt, die Wahl zu fälschen?

    Mulack: Ja, ich meine, man hat schon einiges getan auf Druck der internationalen Gemeinschaft, dass die sogenannte unabhängige Wahlkommission anders besetzt wurde. Aber natürlich ist es auch wieder zu Einschüchterungen gekommen, es ist gekommen zu Betrugsversuchen, zu weit verbreitetem Wahlbetrug. Es gibt ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Ergebnisses, aber auch der 40 Prozent Beteiligung. Das muss man einfach mal sehen, denn es hat ja nun in vielen Bereichen gar keine Wahlstationen gegeben. Die wurden geschlossen, aus Sicherheitsgründen, sodass viele Menschen gar nicht zur Wahl gehen konnten. Die Tinte war abwaschbar, es hat Mehrfachwahlen gegeben, es hat Hunderttausende von gefälschten Wählerausweisen gegeben.

    Also ich glaube, man sollte sich mit dem Lob und überhaupt der Einschätzung, wie die Wahlen ausgegangen sind, zurückhalten, bis die Wahlbeschwerdekommission und die Wahlkommission dann ihre Arbeit getan haben, und das kann Wochen dauern.

    Meurer: Sie waren ja, Herr Mulack, letztes Jahr bei der Präsidentschaftswahl EU-Wahlbeobachter. Immerhin haben Sie es geschafft, dass ja ein Teil der Wahl wiederholt werden musste. Was trauen Sie denn der afghanischen unabhängigen Wahlkommission zu?

    Mulack: Na ja, die sind umbesetzt worden und sind - - Es geht ja auch um andere Sachen. Es geht ja nicht um den Präsidenten diesmal, sondern um eine Vielzahl von Kandidaten. 249 Sitze haben wir da, 2500 Bewerber. Da wird man anders steuern müssen auch schon auf regionaler Ebene. Es geht ja nicht um die zentrale Frage in der Politik wie bei den Präsidentschaftswahlen. Insoweit halten die sich sicherlich zurück. Aber es sind schon Fälle bekannt geworden, dass das Personal dieser Wahlkommission bestochen wurde, oder sich bestechen ließ und dann die Wahlurnen mit den Stimmzetteln vollgestopft hat eines Kandidaten, der eben jedem 200 Dollar gegeben hat. Und solche Fälle gab es wohl en masse. Leute, die achtmal gewählt haben, wurden von Pressevertretern jedenfalls interviewt und haben gezeigt, wie man die Tinte abwaschen kann und mit gefälschten Wahlausweisen sehr leicht mehrfach wählen kann. Also es hat schon eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben, aber wir müssen natürlich auch jetzt den Standard bei afghanischen Wahlen nicht so hoch ansetzen, wie wir das in Europa tun. Das wird ja auch allgemein getan. Nur ich kann davor warnen, jetzt schon großes Lob zu verbreiten. Natürlich muss man die Wählerinnen und Wähler loben, dass sie zur Urne gegangen sind.

    Meurer: Sie haben ja einige Länder kennen gelernt, waren auch Botschafter in Syrien, jetzt Direktor des Deutschen Orientinstituts. Wenn Sie Afghanistan, die Wahlen einordnen würden im Vergleich zu anderen Wahlen in ähnlichen Ländern, sage ich mal, wo steht dann Afghanistan?

    Mulack: Nicht an der Spitze. Nicht an der Spitze, was jetzt saubere, faire und freie Wahlen betreffen.

    Meurer: Aber auch nicht am Ende?

    Mulack: Aber sicherlich im unteren Mittelfeld, würde ich sagen, oder im letzten Drittel. Es gibt also auch andere Länder, wo anständig gefälscht wird. Aber zum Beispiel waren die Wahlen in Pakistan, kann ich jetzt nur sagen, sicherlich sauberer verlaufen als die in Afghanistan.

    Meurer: Wie viel ist dann diese Parlamentswahl in Afghanistan wert?

    Mulack: Ja, sie ist wichtig für die internationale Gemeinschaft, denn wenn man sie schließlich doch sozusagen mit dem Gütesiegel versehen kann, akzeptieren kann das Ergebnis, ist das ein weiterer Schritt dahin, dass man sagen kann, Afghanistan baut seine Institutionen auf. Die Demokratisierung verläuft und irgendwann können wir dann unsere Truppen zurückziehen. Ich glaube, in diesem Sinne muss man eben das sehen als wichtigen Schritt auch in der Strategie eines Abgangs aus Afghanistan.

    Meurer: Das ist die Hoffnung des Westens und der ISAF-Mission. Was meinen Sie, wie es weitergeht in Afghanistan?

    Mulack: Es wird auf jeden Fall keinen militärischen Sieg geben, darüber sind sich wohl alle einig. Und wenn die jetzt nicht beschleunigt anfangen, ernsthaft mit den Taliban zu verhandeln, und versuchen, die in irgendeiner Weise friedlich einzubinden in ein zukünftiges Afghanistan, dann sehe ich für die Zukunft Afghanistans schwarz.

    Meurer: Sollten wir sofort abziehen oder zügig abziehen?

    Mulack: Nein, wir können nicht sofort abziehen. Wir können ja keine Ruine hinterlassen oder kein halb fertiges Haus. Ich glaube, es wird noch zwei, drei Jahre dauern. Aber wir sollten uns Gedanken machen, wie wir diesen Abzug möglichst schnell gestalten, wie wir ihn umsetzen, wie wir durch vermehrte Entwicklungsarbeit, vermehrte Arbeit, auch eine anständige Verwaltung aufzubauen, dazu beitragen können, dieses Land zu stabilisieren und dann wirklich in die Freiheit oder in die Unabhängigkeit zu entlassen, ohne eben riesige Truppen vor Ort. Und ich glaube, auch wenn es nicht mehr zu Kampfhandlungen kommt, wenn man die anderen in einen Dialog Prozess einbindet, dass man dann irgendwie eine Friedenslösung für ein einigermaßen stabiles Land finden kann.

    Meurer: Eine wichtige Rolle können spielen, Herr Mulack, die US-Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren. Der Wahlkampf wird in etwa einem Jahr beginnen. Glauben Sie, dass die Amerikaner in einem Jahr abziehen, und dann müssen wir uns sozusagen an deren Fersen heften?

    Mulack: Na ja, die werden nicht völlig abziehen. Es gibt da strategische Gründe, warum man in Afghanistan bleibt. Das ist ja auch ein Land, von dem aus man den Iran kontrollieren kann, in Zentralasien. Die Amerikaner werden sich zwar von den Kämpfen vielleicht zurückziehen, die jetzt stattfinden, aber sie werden ihre Basen behalten, sie werden auch Truppen behalten. Aber dennoch ist es richtig: wenn die Amerikaner spätestens im Wahlkampf Truppen zurückziehen – und das werden sie tun -, auch dann werden wir daran denken müssen, unsere Truppen auch langsam wieder abzuziehen.

    Meurer: Was raten Sie der Bundeswehr im Moment?

    Mulack: Was soll man der Bundeswehr raten? – Verluste zu vermeiden, kann man natürlich sagen, damit es innenpolitisch keine größeren Probleme gibt. Ansonsten aber weiterzumachen in der Taktik, auch ins Land rauszugehen, gegen anerkannte Taliban vorzugehen, aber dennoch vorsichtig zu sein. Ich hielte es für viel wichtiger, für Vertrauen zu werben und in diesem Kampf um die Köpfe und Herzen noch mehr in die Breite zu gehen und mit den einzelnen Gemeinden gute Kontakte herzustellen, und dann natürlich kommt es auf die Entwicklungshilfe drauf an, dass wir eben ein positives Bild erzeugen bei den Afghanen und Afghaninnen.

    Meurer: Gunter Mulack, Direktor des Deutschen Orientinstituts in Berlin, ehemaliger deutscher Botschafter in Pakistan und letztes Jahr EU-Wahlbeobachter in Afghanistan. Herr Mulack, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Mulack: Ja, auf Wiederhören! Bitte schön!