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Ernte in Serbien

Am Sonntag wird in Jugoslawien gewählt und die Europäische Union hat bereits angekündigt, dass sie die Sanktionen aufheben will, wenn die Opposition die Wahlen gewinnt. Die Opposition ist besonders in den Städten stark, die Regierung von Slobodan Milosevic stützt sich bisher in erheblichem Maße auf die Landbevölkerung. Da die Industrie durch den Kosovo-Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen ist, stützt sich auch die verbliebene Wirtschaftskraft des Landes in stärker auf die Landwirtschaft.

von Johannes Berger | 19.09.2000
    Die Landwirtschaft ist in den letzten 10 Jahren eher noch wichtiger geworden. Nach der Verwicklung in die Kriege in Kroatien und Bosnien, nach dem Krieg um das Kosovo im letzten Jahr sowie als Folge der Sanktionen ist die Wirtschaftsleistung insgesamt um die Hälfte gesunken. Dabei ist die Industrieproduktion noch weit tiefer abgerutscht als die Agrarproduktion. In der Landwirtschaft arbeiten immerhin noch 17 Prozent der Bevölkerung. Winterweizen und der im Frühjahr gesäte Mais sind die beiden wichtigsten Feldfrüchte. Doch die Weizenernte ist dieses Jahr nicht sonderlich gut ausgefallen. Nach Schätzungen von Experten der Welternährungsorganisation FAO, die Serbien im Juni und Juli bereist haben, werden es allenfalls 1,8 Millionen Tonnen sein. Auch das Viehfutter ist knapp. Denn zwischen den Monaten April und Juni ist nur ein Drittel des üblichen Regens gefallen und in der Voiwodina im Norden Serbiens haben im Winter die über die Ufer getretenen Flüsse Donau und Theiß 10 000 Hektar Weizen vernichtet. Die Voiwodina ist Teil einer weiten Ebene, die von Kroatien bis nach Ungarn hineinreicht und die Kornkammer Serbiens. Die Bauern der Voiwodina könnten, so sagen sie, gut und gerne 20 Millionen Menschen ernähren, also das Doppelte der serbischen Bevölkerung.

    Über 80 Prozent der etwa 3,7 Millionen Hektar Ackerfläche in Serbien werden von kleinen Bauernbetrieben bewirtschaftet, der Rest von Staatsbetrieben und großen Genossenschaften. Aber der Staat, sprich also das Milosevic-Regime hat auch die kleinen Bauern im Griff. Denn den Weizen dürfen die Bauern nur an staatliche Firmen abliefern und eigene Lagermöglichkeiten haben sie in der Regel nicht. Im Gegenzug erhalten sie dafür Dieselkraftstoff, Saatgut, Pestizide und Kunstdünger und zur Erntezeit schickt der Staat dann seine Mähdrescher auf die Felder. Es wird vorher festgelegt wie viel Weizen der Bauer anbaut und abliefern muss und danach bemessen sich auch seine Zuteilungen an Saatgut und Dünger. Die Bauern müssen sich dem Preisdiktat des Staats fügen. Die Zahlungsmodalitäten des Staats an die Bauern werden immer undurchsichtiger. Es wird in Tranchen überwiesen und manchmal gibt es auch nur Coupons. Als Folge des Einbruchs in der Industrieproduktion sind die Lieferungen an Diesel, Kunstdünger und Pestiziden geringer geworden. Der Maschinenpark ist zwischen 10 und 20 Jahren alt und insgesamt fehlt es an Investitionen in die Landwirtschaft, so dass in Zukunft tendenziell mit weiter sinkenden Erträgen zu rechnen ist. Dem Zugriff des Staats können sich die Bauern, denen das Land gehört und die nicht verschuldet sind, indirekt entziehen, indem sie ihre Anbaufläche für Winterweizen verringern. Weil es sich für sie finanziell nicht mehr lohnt weichen sie auf andere Feldfrüchte aus oder sie begnügen sich mit der Eigenversorgung und suchen einen Nebenverdienst außerhalb der Landwirtschaft. Zwischen 1991 und 1999 ist die Weizenanbaufläche von 800 000 auf nur noch 580 000 Hektar gesunken.

    Slobodan Milosevic ist aber ganz dringend auf gute Weizenernten angewiesen, nicht nur um die eigene Bevölkerung mit Brot zu versorgen. Früher ging ein großer Teil der serbischen Überschüsse in jugoslawische Teilrepubliken mit einem Nahrungsmitteldefizit wie etwa Montenegro. Heute kann er den Weizen wie andere Agrarprodukte auch an den Sanktionen vorbei auf dem Weltmarkt für harte Devisen verkaufen und der Agrarexport brachte im letzten Jahr 330 Millionen Dollar ein, immerhin fast ein Viertel aller Deviseneinnahmen.