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Erst geflüchtet, dann obdachlos

Das Notstandsprogramm für Nordafrika war Italiens Versuch, der Masse an Flüchtlingen aus Tunesien und Libyen Herr zu werden. Aus Geldmangel wurde dieses Programm bereits im Februar gestoppt. Viele Flüchtlinge stehen seitdem buchstäblich auf der Straße oder reisen von Italien weiter in andere EU-Staaten.

Von Karl Hoffmann | 31.05.2013
    Ein illegaler Flüchtling zeigt am Bahnhof in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia seine befristete Aufenthaltserlaubnis.
    Ein illegaler Flüchtling zeigt am Bahnhof in der italienischen Grenzstadt Ventimiglia seine befristete Aufenthaltserlaubnis. (picture alliance / dpa)
    Die Papiere, mit denen die Immigranten in Deutschland aufgegriffen wurden, seien im Bereich der Schengen-Staaten absolut gültig, sagt Christopher Hein vom italienischen Flüchtlingsrat:

    "Der Aufenthaltstitel erlaubt nach den Schengener Bestimmungen die Reise bis zu drei Monaten maximal in andere EU-Länder ohne Arbeitsgenehmigung, ohne Niederlassungsrecht."

    Dass sich viele daran nicht halten, sei auch klar, sagt Christopher Hein. Schon allein deshalb, weil sie im krisengeschüttelten Italien keine Arbeit finden. Aber der Vorwurf, die italienischen Behörden wollten sie nach Deutschland abschieben, sei absurd.

    "Es ist aber auch zu unterstreichen, dass viele dieser Menschen Familienangehörige haben, in anderen EU-Ländern, auch in Deutschland und versuchen natürlich, diese Familiengehörigen zu erreichen. Die wollen woanders arbeiten, woanders bleiben. Das hätten sie gemacht mit oder ohne dem Aufenthaltstitel . Insofern ist diese Diskussion ziemlich abwegig."


    Die Menschen, die vor dem Krieg in Libyen geflohen waren, mit ordentlichen Papieren auszustatten, ist nach Meinung des Flüchtlingsrates durchaus auch im Sinne der anderen EU-Partner. Sie können sich ausweisen und auch ausgewiesen werden und stehen nicht als Obdachlose auf der Straße. Das sei den italienischen Behörden positiv anzurechnen. Versagt hat Italien beim Notstandsprogramm in Nordafrika, das sage und schreibe 1,3 Milliarden Euro gekostet hat, davon 100 Millionen aus EU- Kassen. Das macht pro Immigrant 25.000 Euro. Viel Geld, das zum Teil in dunklen Kanälen versickert ist, sagt die Sozialhelferin Jasmine Accardo aus Neapel

    "Viele der angemieteten Hotels hier in Neapel gehörten der Camorra, wie hier auf der Piazza Garibaldi oder direkt im Mafia Viertel Scampia, wo die Versorgung der Immigranten den Hotelbesitzern überlassen war, die natürlich einen Riesenreibach gemacht haben."

    In den 46 Euro pro Tag und Person waren nicht nur Verpflegung und Unterkunft, sondern auch Sprachunterricht und Programme zur Eingliederung. Die wurden genauso wenig angeboten wie andere wichtige Maßnahmen, sagt Christopher Hein vom italienischen Flüchtlingsrat.

    "Es hätte schon Lösungen gegeben - zumindest für viele der Betroffenen, wenn rechtzeitig sowohl ein Integrationsprogramm in Italien wie auch ein Programm freiwilliger Rückkehr und Wiedereingliederung in die Herkunftsländer ins Auge gefasst worden wäre."

    Stattdessen hat das möglicherweise gut gemeinte, aber viel zu teure Notstandsprogramm den Menschen eher geschadet, sagt Shukri Said von der Hilfsorganisation Migrare:

    "Statt die öffentlichen Mittel zu investieren, um diese Menschen einzugliedern, wurden sie menschenunwürdig behandelt. Jetzt sind sie frustriert, psychisch krank und enden obendrein auch noch als Obdachlose."

    Ende Februar dieses Jahres wurde das Notstandsprogramm wegen Geldmangels abrupt beendet. Bis dahin hatten 15.000 Libyenflüchtlinge ihre Unterkünfte auf eigene Initiative verlassen. Die restlichen 13.000 wurden kurzerhand auf die Straße gesetzt, mit 500 Euro Starthilfe in ein neues Leben. Manche kauften sich davon eine Fahrkarte, um weiterzukommen. Andere wussten nicht wohin und stehen jetzt doch auf der Straße.

    "Ich habe niemanden hier, keine Verwandten, keine Freunde. Wo sollen wir jetzt hin? Im Freien übernachten, erfrieren? Ich bin ganz allein, habe niemanden. Ich weiß nicht mehr weiter."

    Wie andere wollten zurück nach Libyen, wo sie zum Teil jahrelang gelebt und gearbeitet haben. Dorthin kommen sie nicht mal illegal.
    Auf einem kleinen Boot im Meer sind dicht gedrängt Flüchtlinge zu sehen, vor Lampedusa.
    Flüchtlinge vor Lampedusa (picture alliance / dpa)