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Erstaunlich wenig Neues zu entdecken

Für viele ist Yoko Ono die Frau von John Lennon, die am Zerfall der Beatles schuld sei. Für andere eine Künstlerin aus der Fluxusbewegung der 1960er-Jahre. Und dieser Künstlerin widmete die Frankfurter Kunsthalle Schirn zu ihrem 80. Geburtstag die Retrospektive "Half-a-Wind Show".

Von Carsten Probst | 15.02.2013
    Es ist wie immer, wenn Yoko Ono irgendwo auftritt. Mit Anzug, Hut und Sonnenbrille schreitet sie in den Raum, die Körperkünstlerin - eine kleine, zierliche Frau umgeben von Bodyguards, während vorne beim Tisch, an den sie sich gleich setzen wird, ein drängender Pulk von Kameraleuten und Fotografen wartet. Dann folgen minutenlanges Blitzlichtgewitter, Yoko, Yoko-Rufe, schließlich die demutsvollen Worte der Veranstalter und ein temperamentvoller Monolog von Yoko Ono, in dem es wie eigentlich immer um die Freiheit der Kunst und ihre Bedeutung für den Weltfrieden geht. Auf knifflige Fragen antwortet sie dagegen lieber mit ihrer eigentümlich positiv gestimmten Art, auszuweichen. Etwa auf die oft gestellte Frage, wie sie zur Wiederaufführung ihrer Performances stünde oder zur musealen Aufbereitung ihrer Kunst - eine Frage, die durchaus ein Kernproblem von Performancekunst berührt. Yoko Onos Antwort darauf fällt sibyllinisch aus, eine ziemlich komplexe, irgendwie typische Vermischung aus privater Geschichte und Manifest partizipatorischer Kunst, die sich im Ausstellungstitel "Half-a-Wind-Show" andeutet:

    Sie habe damals in einer schwierigen Beziehung gelebt, erzählt sie, und dann eines Morgens festgestellt, dass die andere Seite ihres Bettes leer geblieben war. Dann folgt eine Schilderung, wie sie dieses Erlebnis der Untreue ihres Freundes dazu gebracht habe, über Halbheit nachzudenken; sich vorzustellen, die ganze Welt sei nur halb, die Wohnung, die Möbel. Eine Installation mit halbierten Möbeln ist daraus entstanden, 1967 in der Londoner Lisson Gallery unter dem Titel "Half-a-Room", und nun habe sie dieses Thema immer wieder beschäftigt, weil sich doch jeder schließlich seiner Unvollkommenheit bewusst sei und Vervollständigung wünsche. Und so seien eben auch viele Arbeiten dieser Ausstellung darauf angelegt, dass der Besucher sie vervollständige, daran teilnehme, selber zum Künstler werde.

    Womit hat sie sich der Frage nach der möglichen Zeitgebundenheit ihrer Arbeit so geschickt entwunden hat, dass man kaum wagt, kritisch nachzufragen. Als sie 2003 ihr berühmtes "Cut Piece" noch einmal aufführte, also jene Performance, bei der sie sich 1964/65 auf einer Bühne vom Publikum die Kleider vom Leib schneiden ließ, sagte sie in einem Interview, sie sei sich bewusst, dass diese neue Performance nicht mehr dasselbe sei wie vor vierzig Jahren, denn heute verstehe das Publikum im Gegensatz zu früher, worum es in dieser Arbeit gehe, nämlich um Frieden. Aber vielleicht geht es doch um etwas ganz anderes.

    Yoko Ono gehörte tatsächlich zu den Bodyart-Künstlerinnen der ersten Stunde, ihre Ideen und Anleitungen für zahlreiche mögliche Aktionen, die sie seit den späten 1950er-Jahren formuliert hat, berühren heute auf verblüffende Weise die Interessen einer jungen Künstlergeneration, die die angestammten Medien wie Malerei, Zeichnung, Fotografie, Skulptur, Sprache und Musik nur mehr als Material für räumliche und physische Arbeiten verstehen, denn als voneinander getrennte Genres. Gerade in Onos frühem Werk der fünfziger und sechziger Jahre verschränkt sich die künstlerische Autonomie des frühen Fluxus mit subtilen politischen und feministischen Konnotationen, ohne zum bloßen Statement zu verkommen.

    Das ist ein Weg, den Ono später, in der Reaktivierung ihrer künstlerischen Laufbahn nach John Lennons Tod, partiell dann nicht mehr ganz durchgehalten hat. Irgendwann schlug ihre demonstrative spielerische Unbekümmertheit um in ein Verdrängen von Fragen, in eine Gedenkkunst für die verlorene Liebe, in ein Sichverzetteln und Sich-Selbst-Zitieren. Das allgegenwärtige Peace-Kennwort ist seitdem zu einer Art Corporate Identity der Marke Ono geworden, in denen das partizipatorische Moment nur noch appellativen Charakter hat.

    So fällt es der Frankfurter Ausstellung schwer, die eigene Behauptung zu unterfüttern, Yoko Ono sei eine der einflussreichsten Künstlerinnen unserer Zeit. Gewiss war sie damals früh dran mit Konzeptkunstideen, die sich erst ein paar Jahre später richtig durchsetzen konnten. Sie hatte früh einen großen und einflussreichen Freundeskreis, zu dem die alten Kämpen Marcel Duchamp oder John Cage und Fluxus-Gründer George Maciunas gehörten. Ob sie damit aber tatsächlich eine künstlerisch ungleich radikalere Marina Abramovic oder eine Cindy Sherman oder Valie Export entscheidend inspiriert oder antizipiert hat, darf zumindest hinterfragt werden.

    Manchmal liegen gewisse Themen und Fragen auch einfach in der Luft, und die Frage, wer nun als Erste dran war, wird eigentlich zur Nebensache. So ist in Frankfurt, trotz des immensen Aufwandes, den man mit dieser Retrospektive betrieben hat, eigentlich erstaunlich wenig Neues zu entdecken, trotz mancher neuer, eigens für die Ausstellung geschaffener Arbeiten. Yoko ist ein Star, keine Frage, aber man fragt sich doch, ob ihre beste, aller stärkste Zeit als Künstlerin nicht doch die Zeit vor John Lennon war.