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Erste Ergebnisse der MOSAiC-Expedition
Eine unbekannte Eisart und eine überraschende Dynamik in der Arktis

Ein Jahr lang war das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ in der Arktis unterwegs. Die meiste Zeit davon eingefroren und umher treibend. Dabei haben die Wissenschaftler eine neue Art von Eis entdeckt und neue Erkenntnisse über das Leben im Eismeer gewonnen.

Von Monika Seynsche | 15.12.2020
An der Unterseite des arktischen Meereises wächst Plättcheneis (Foto: AWI)
An der Unterseite des arktischen Meereises wächst Plättcheneis (Foto: AWI) (Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung)
"Ich glaube es war für alle recht erstaunlich wie schnell sich die Eisdecke verändert hat."
Martin Schneebeli ist Schnee- und Lawinenforscher an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Davos.
"Die Polarstern war an einem Eisfloss angemacht, das relativ dick war, aber ringsum die Polarstern hat sich manchmal innerhalb von wenigen Stunden hat sich das enorm verändert. Dann sind neue Eisflächen gebildet, die wurden dann wieder nach einem Tag zusammengeschoben."

Die Eisdecke ist viel dynamischer als erwartet

Immer wieder klafften plötzlich Risse im Eis, offene Wasserflächen traten zutage und innerhalb kürzester Zeit türmten sich Presseisrücken auf, erzählt auch der Meereisphysiker Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.
"Wir haben gesehen, wirklich wie wichtig Presseisrücken und deformiertes Eis sind. In der klassischen Meereisforschung konzentrieren wir uns meistens auf das ebene Eis weil das einfacher zu beobachten ist, weil das auch große Flächen einnimmt, aber wir sehen zum Beispiel vor allem in der Rolle des Schnees, wie wichtig Presseisrücken sind, weil der größte Teil des Schnees eben nicht auf dem ebenen Eis sammelt, sondern sich in Presseisrücken verfängt, wenn er durch die Gegend geweht wird."
Sachbücher über Polarforschung
Wie fühlt es sich an, bei klirrender Kälte, vom Eis umschlossen in tiefster Dunkelheit festzusitzen? Was treibt Polarforscher an, die unwirtlichen Regionen am Nord- und Südpol zu erkunden? Welche Eindrücke und Erkenntnisgewinne wiegen die enormen Risiken ihrer Abenteuer auf? Drei aktuelle Sachbücher liefern Antworten.
Dort wo sich Eisschollen übereinander schieben wird das Meereis besonders dick: einige Presseisrücken sind bis zu 10 Meter hoch. Durch die häufigen Winterstürme türmen sich an ihnen Schneewehen auf, die das Eis noch weiter wachsen lassen.
Den Schnee dort und auf den Ebenen hat Martin Schneebeli mit seinem Team das ganze Jahr über regelmäßig untersucht.
"Das wichtigste ist sicher, dass wir jetzt die Wärmeleitfähigkeit des Schnees genau berechnen können und auch im Sommer dann die Reflektivität sehr viel genauer charakterisieren können. Ich glaube das sind so die ersten Hauptergebnisse."

Computermodelle können verbessert werden

Die Wärmeleitfähigkeit entscheidet mit darüber, wie schnell das Meereis gefrieren kann, denn sie zeigt, wie stark der Schnee isoliert. Und wenn der Schnee im Sommer besonders viel Sonnenlicht reflektiert, schmilzt das Eis langsam; reflektiert er weniger, schmilzt es schnell. Mit den Untersuchungsergebnissen können Martin Schneebeli und seine Kolleginnen jetzt Computermodelle besser kalibrieren, die das Entstehen und Schwinden der Meereisdecke berechnen. Wie diese von unten aussieht, hat sich der Meereisphysiker Christian Katlein vom Alfred-Wegener-Institut angeschaut. Während der gesamten Expedition schickten er und seine Kollegen zweimal in der Woche einen Tauchroboter unter das Eis. Mit dessen Hilfe entdeckten die Forschenden kurz nach Weihnachten plötzlich eine in der Arktis bislang unbekannte Eisart.
"Wir haben Plättcheneis gefunden. Das sind im Prinzip so handtellergroße, ein Millimeter dicke Scheiben aus Eis, die aus unterkühltem Wasser entstehen und die dann an der Eisunterseite wie so Wolken unten dran hängen und so eine ganz interessante glitzernde Struktur dem Eis geben, sieht fast so ein bisschen aus, wie ein schneebedeckter Wald."

Plättcheneis verwandelt die Unterseite der Eisdecke

Möglicherweise wächst das Meereis an der Unterseite durch das Plättcheneis anders, als die Forschenden bislang vermutet haben. Und vielleicht hilft es den kleinsten Lebewesen im Ozean.
"Was wir auf jeden Fall beobachten konnten, ist das die Kleinstlebewesen das als Lebensraum nutzen, dass sie zwischen diesen Kristallen drin sitzen, und da natürlich ne angenehmere Wohnstube haben als wenn sie auf einer ebenen Eisfläche sitzen, da wir dieses Phänomen aber diesen Winter zum allerersten mal so richtig gut beobachten konnten, fällt es uns schwer jetzt noch zu sagen was genau zum Beispiel diese Tiere damit machen."
40 Jahre Alfred-Wegener-Institut - Das Flaggschiff der deutschen Polarforschung
Mit der politischen Zielsetzung, Rohstoffquellen in der Antarktis zu finden, wurde das heute weltweit renommierte Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung gegründet. Die Rohstoffsuche geriet jedoch schnell in den Hintergrund, dafür rückten Umweltforschung und der Klimawandel in den Fokus.
Lange Zeit war völlig unklar, was die Tiere und Pflanzen des arktischen Ozeans im Winter machen – ob sie aktiv sind oder in einer Art Winterschlaf durch die Wassersäule treiben.
"Und vor allem jetzt auch durch MOSAiC wissen wir, das Leben ist doch ziemlich aktiv, es boomt nicht ganz so wie im Frühjahr, aber es ist eben auch nicht so in einem tiefen Winterschlaf wie wir es uns früher gedacht haben."
Welche Rolle dabei das Plättcheneis spielt und wie sich das ganze System im Zuge der Klimaerwärmung verändert, müssen die Datenauswertungen der kommenden Monate und weitere Untersuchungen zeigen.