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Erste fantastische Reisen ins Weltall

Mehr als 200 Jahre nach dem Tod des begnadeten Fechters und Schriftstellers mit der übergroßen Nase machte Edmont Rostand ihn zur Hauptfigur seines gleichnamigen Versdramas. Dafür eignete Cyrano de Bergerac sich ebenso gut wie später als Filmheld, weshalb ihn heute viele für eine rein fikive Gestalt halten. Der Roman des wahren Bergerac "Die Reise zum Mond" gilt als der erste Science Fiction-Roman.

Von Christian Linder | 28.07.2005
    Vor dreihundertfünfzig Jahren erschien der Mond den Menschen nicht als bleiche und tote leere Wüste, sondern als leuchtend-weißer Ort eines geheimnisvollen Lebens. Also machte sich der französische Schriftsteller Cyrano de Bergerac auf die Reise und erfand Raketen, die ihn vom Marktplatz im kanadischen Quebec ins Weltall katapultierten, wo er auf dem Mond kentaurenartigen Bewohnern begegnete, die ihn zunächst verwundert bestaunten, dann als Affen einstuften und ihn einsperrten. Aber seine Gescheitheit rettete ihn, und in philosophischen Gesprächen über Gott, die Welt und den Mond, an denen sich auch der Dämon von Aristoteles beteiligte, behauptete und verteidigte Cyrano de Bergeracs Held die Freiheit des Geistes.

    Mit dieser von ihm selbst als "komisch" bezeichneten Geschichte", der eine literarische Reise ins Reich der Sonne folgte, wurde Cyrano de Bergerac weltberühmt, von heute aus gesehen als Autor des ersten Science Fiction-Romans ein Schriftsteller der beginnenden Aufklärung, damals von den Lesern seiner Zeit hochgeschätzt als Fantast, der natürlich mehr ahnen als wissen konnte, dass die Erde sich als kleine Kugel in einem riesigen, von einem unendlichen Sternenhimmel begrenzten Sonnensystem dreht, neben dem noch viele andere Sonnensysteme existieren.

    Es war vor allem der Witz in den von Bergerac inszenierten philosophisch-spekulativen Gesprächen, der die zeitgenössischen Leser einnahm. Mit diesem Witz versuchte Bergerac sich auch in seinem Alltag aus den deutlich empfundenen Fängen seiner irdischen Existenz zu befreien. Der Stoff, aus dem sein Leben gemacht war, ist oft verfilmt worden, zuletzt 1990 von Jean-Paul Rappeneau mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle.

    Geboren am 6. März 1619 in Paris als Hector-Savinien de Cyrano, Sohn einer reichen Bürgerfamilie, wurde Cyrano de Bergerac im Alter von sieben Jahren als Pflegekind zu einem Landpfarrer gegeben wurde. Ein waches Kind, das mit einer körperlichen Besonderheit, einer gigantisch großen Nase, zurecht kommen musste, eine Studienzeit am Collège de Beauvais bravourös beendete und anschließend, 1638, in den Militärdienst bei den Gascogner Garden eintrat. Zweimal verwundet, ging er nach Paris und wurde zum gefeierten Schriftsteller. "Ich kenne mein Herz und ich kenne die Menschen" – Rousseaus Satz galt auch für Bergerac. Er spielte mit seinem Wissen und der Magie seines Schreibens, ein großer Verführer, wie ihn Gérard Depardieu im Film spielt: Darin liebt Cyrano eine junge schöne Frau namens Roxane, deren Aufmerksamkeit aber einem jungen Kadetten in Cyranos Gascogner Truppe gilt; dieser junge Kadett, den Roxane sich als intelligenten Verführer erträumt, ist aber nur ein langweilig-dummer Beau, und so bietet der hässliche Cyrano mit der großen Nase dem schönen jungen Kadetten an, an seiner Stelle Roxane mit Liebesbriefen ins Herz zu schauen.

    Molière und Voltaire haben später Bergeracs literarische Strategien aufgenommen und weiterentwickelt, auch Swifts‘ "Gulliver’s Reisen" beziehen sich auf Bergerac als Vorbild. Im klassischen Sinne als Schriftsteller ein Anwalt der Zeit gegen die Zeit, nutzte Bergerac als früher, nonkonformistischer Aufklärer seine literarischen Ausflüge auf den Mond und ins Reich der Sonne nicht, um aus der aktuellen Gegenwart zu entfliehen, sondern um in philosophischen Mondgesprächen Utopien zu lancieren, zum Beispiel die Idee eines humanitären Pazifismus und die damit verbundene Ablehnung der Todesstrafe. Gestorben ist Cyrano de Bergerac am 28. Juli 1655 in Paris an Syphilis.