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Erste Hilfe bei Diebstahl

Handtasche weg, Papiere weg, Geld weg: Kleindiebstahl ist unangenehm - vor allem im Urlaub. In Amsterdam hilft die Organisation ATAS Touristen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Ein Modell auch für andere europäische Großstädte. Anneke Wardenbach stellt es vor.

23.08.2006
    Francis Johnson reibt sich müde die grauen Bartstoppeln. Er kam am Vortag von London nach Amsterdam und verbrachte den Abend im Casino, wo ihm sein Portemonnaie und der Schlüssel seines Gepäckschließfaches abhanden kamen.

    Er muss an diesem Morgen dringend weiterreisen zu einem Geschäftstermin nach Paris. In einem Büro über der Polizeiwache hat sich Rita Mok für ihn ans Telefon gehängt. Sie arbeitet für ATAS. ATAS steht für "Amsterdam Tourist Assistance Service" - Amsterdamer Touristenhilfe. Kunden sind ausschließlich Reisende, die Opfer einer Straftat geworden sind. Francis Johnson hat Glück, Rita Mok kann die Bahnpolizei überzeugen, für den Mittfünfziger das Gepäckschließfach zu öffnen, damit er an seinen Koffer kommt und weiterreisen kann. Die 68-Jährige ist zufrieden:

    "Ich liebe diese Stadt, ich wohne mitten in Amsterdam und ich möchte gerne, dass die Leute hier mit einem guten Gefühl abreisen"

    erklärt die Rentnerin. Die wichtigsten Werkzeuge der Amsterdamer Touristenhilfe sind Telefon, Internet und ein dickes Adressbuch. Die Mitarbeiter wissen genau, wer angerufen werden muss und welcher Ton anzuschlagen ist, sagt Koordinatorin Hilde Verheul:

    "Beispielsweise, man soll 100 Euro bezahlen für eine neue Fahrkarte, also eine Kopiekarte für ein Flugzeug. Und wir rufen an und wir erklären, dass die Situation wirklich ernst ist und diese Person keine Schuld hat, dass sie keine Fahrkarte mehr hat. Und können Sie ihr bitte sehr das Kopieticket gratis geben. Und wenn sie wissen, dass wir anrufen, vom Polizeirevier, dann machen sie das auch."

    Geld verteilt die Touristenhilfe nicht, aber Telefon und Internet dürfen kostenlos genutzt werden. Wer lange auf seine Ersatzpapiere oder den Geldtransfer von zu Hause warten muss, bekommt auch mal eine Zahnbürste geschenkt oder ein einfaches Hotelzimmer auf Pump. Hilde Verheul:

    "Es gibt allerart Sachen, die sie brauchen. Zum Beispiel eine neue Brille. Wir rufen an und versuchen, eine neue Brille zu organisieren. Sie können eine Dusche nehmen, sie können etwas essen. Wir können ihnen auch Freikarten geben fürs Museum, das ist ein bisschen Wiedergutmachung, dass so etwas passiert ist in Amsterdam. Aber das wichtigste ist eigentlich, so schnell wie möglich (...) aus dem Opfer wieder einen Touristen zu machen. Dass der wieder seine Ferien fortsetzen kann."

    Die Polizei freut sich über diese besondere Betreuung von bestohlenen Touristen. Sie selbst könnte so einen Service gar nicht bieten, sagt Herman Hilgemann. Er leitet die Polizeiwache im Amsterdamer Stadtzentrum, wo besonders häufig Touristen Hilfe suchen.

    "Es ist immer frustrierend, wenn man für einen gestrandeten Touristen nicht viel mehr tun kann, als ihm das eigene Pausenbrot in die Hand zu drücken und viel Glück zu wünschen. Doch, wir sind wirklich froh über die Hilfe von ATAS","

    sagt der Polizist. Die Idee für die Amsterdamer Touristenhilfe entstand vor 15 Jahren. Damals hatten die Beamten wieder einmal auf der Wache ihre Kaffeekasse geplündert, diesmal um Windeln zu kaufen. Einer Familie war sämtliches Gepäck, inklusive Wickelzeug, geklaut worden. Auf Anregung der Polizisten entstand eine kleine Stiftung, die von der Stadt Amsterdam, der Polizei und von Amsterdamer Betrieben finanziert wird. Hilde Verheul:

    Für die Polizei ist es wichtig, dass den Opfern schnell geholfen wird, damit die Polizei schnell wieder auf die Straße gehen kann. Und es ist auch gut für die Opfer, wenn ihnen schnell geholfen wird. Und für die Stadt ist das eine Art Stadtmarketing, dass wir im Ausland ein gutes Bild geben von unserer Stadt.

    Diese ungewöhnliche Art von Stadtmarketing funktioniert, sagt Hilde Verheul. Nachfragen hätten gezeigt,

    ""dass die Leute nachher sehr positiv über Amsterdam sind. Vielleicht noch positiver als andere Leute, die nicht bestohlen sind oder Opfer geworden sind, weil sie haben etwas mitgemacht und sind gut herausgekommen."

    Die rund 500 betreuten Touristen im Jahr sind ein guter Multiplikator, um weiterzuerzählen, dass Amsterdam ausländische Opfer von Straftaten nicht im Stich lässt. Inzwischen haben Den Haag und Dublin ähnliche Einrichtungen. Paris und London wollen nachziehen.

    "Überall in Europa kann es passieren, in einer Großstadt. Aber hier in Amsterdam sagen wir jedenfalls, wenn es passiert, wird Ihnen gut geholfen."