Samstag, 20. April 2024

Archiv

Erste Hochkultur Europas
Auf den Spuren Agamemnons in Karlsruhe

Geschmeide aus Gold und Edelsteinen und der Nachbau eines prachtvollen Thronsaals: Die Sonderschau "Mykene: Die sagenhafte Welt des Agamemnon" in Karlsruhe lässt Besucher auf den Spuren des Archäologen Heinrich Schliemann und der ersten Hochkultur Europas wandeln.

Von Christian Gampert | 01.12.2018
    In der Mykene-Ausstellung in Karlsruhe - Fundstücke, die die erste europäische Hochkultur beschreiben.
    In der Mykene-Ausstellung in Karlsruhe - Fundstücke, die die erste europäische Hochkultur beschreiben. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    Gleich zu Beginn sehen wir einen Abguss des riesigen Löwentors von Mykene, dann große Fotoprospekte der Grabungen, die Heinrich Schliemann 1876 hinter diesem Tor unternahm. Schliemann hatte den griechischen Reise-Erzähler Pausanias gelesen - und begann seine Forschungen letztlich naiv in dem Glauben, dass der griechische Mythos wahr sein könnte. Aber er stieß damit viele Entdeckungen an, auf denen unser heutiges Wissen über Mykene fußt, sagt Kuratorin Katarina Horst.
    "Pausanias sagte, hinter den Mauern oder innerhalb der Mauern liegen Agamemnon und seine Gefährten begraben. Schliemann hat einfach an diese Helden geglaubt. Er hat geglaubt, dass sie wirklich existiert haben.
    Und er hatte schon vorher in Troja bewiesen, dass an dem antiken Mythos was dran ist. Und so ist dann seine nächste Station Mykene gewesen…"
    Goldmaske mit klaren Gesichtszügen
    Die in einem Schacht-Grab in Mykene gefundene goldene Maske, die Schliemann für eine Art Totenmaske des Agamemnon hielt, gehört nach heutigem Kenntnisstand zu einem Herrscher, der rund 400 Jahre vor dem historischen Agamemnon lebte – wenn es ihn je gab. Die Ausstellung zeigt sogar zwei ähnliche, von Schliemann gefundene Goldmasken, eine als Replik. Die eine sieht wie ein Leichentuch aus, die andere zeigt sehr klar die Gesichtszüge.
    Die bronzezeitliche mykenische Hochkultur entwickelte sich um 1600 vor Christus ziemlich rasch aus bäuerlichen Strukturen. Sie profitierte von weit entfernten Kulturen, mit denen man Handel trieb. In den Gräbern finden sich aus Afghanistan importierter Amethyst oder Rollsiegel aus Babylon; ägyptische Amphoren und kretische Kannen waren wohl diplomatische Gastgeschenke.
    Die "minoische" Kultur Kretas, benannt nach dem König Minos, war die entscheidende Anregung für den Peloponnes: Als die minoischen Eliten, vermutlich durch einen Vulkanausbruch, geschwächt waren und ihre Herrschaft zusammenbrach, übernahm Mykene die Macht auf der Insel und kopierte deren Kultur im eigenen Land.
    "Der Anfang wurde gesetzt von den Minoern; man kann das Mykenische sich ohne das Minoische gar nicht vorstellen. In der Anfangszeit sieht man eigentlich copy und paste."
    Herausragende Handwerksarbeiten
    Auf Kreta gab es schon die Linear B-Schrift, eine Vorform des Altgriechischen, die vor allem für Verwaltungszwecke genutzt wurde. Linear-B-Tafeln verzeichnen aber auch Feste und die Namen von Göttern.
    Die Ausstellung erzählt nun in mehreren Schritten und sehr sinnlich, wie sich die mykenische Kultur in der sogenannten Palastzeit differenzierte, wie Mykene und Pylos die kleineren Fürstentümer einnahmen und mit Idol-Figuren religiöse Riten gestaltet wurden. Im Mai 2015 fand man in einem Schachtgrab eines Kriegers bei Pylos Goldringe und anderen Schmuck. Handwerklich herausragend ein kleines Achatsiegel mit der Darstellung einer Kampfszene. Aber man weiß natürlich nur etwas über diese reich bestattete Oberschicht - und über das Volk wenig.
    Nach vielen Einzelobjekten wie Schmuck und Essgeschirr dann der riesenhafte Nachbau eines Thronsaals. In diesem "Megaron" gibt es vor allem grellbunte Wandmalereien - Kriegerfriese, Löwen und übermenschliche Wesen als Machtsymbole, wilde Fellmenschen als Barbaren.
    Als Original sieht man einen Eberzahn-Helm als Symbol der Männlichkeit: Wer einen solchen Helm besaß, musste etwa 70 Wildschweine erschlagen haben. Und die nachgebaute Banketthalle der Elite vermittelt einen wahrhaft theatralen Eindruck von Herrschaft.
    Empfindliche Gesellschaftssysteme
    Dann aber bricht um 1200 vor Christus die Macht plötzlich zusammen, die Zentren brennen nieder, und in der ist Forschung es völlig unklar, warum, sagt Kuratorin Katarina Horst. Waren es Aufständische? Oder Piraten, Invasoren, Seevölker?
    "Ich finde es auch interessant zu sehen, wie empfindlich manche Systeme sind, von denen man immer glaubt, sie wären unheimlich stabil. Gilt das nicht auch für unsere Gesellschaft? Glauben wir nicht, das geht immer so weiter?"
    Am Ende der Ausstellung sehen wir die Kyklopenmauer von Tiryns mit ihren riesigen Steinquadern, eine digitale Animation der großen Palastanlage. Auch etwas so Gigantisches konnte zugrunde gehen. Und so verlässt man diese plastisch gestaltete Ausstellung eher nachdenklich.