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Erster Blick auf den Mond

Neun Jahre nach dem Start des Sputnik-Satelliten und fünf Jahre nach dem Pionierflug von Juri Gagarin gelang der sowjetischen Raumfahrt eine weitere Sensation: Am 3. Februar 1966 landete Luna 9 auf dem Mond. Der Erfolg wurde weltweit anerkannt.

Von Martin Hartwig | 03.02.2006
    "An den Moskauer Fernsehschirmen drehte gerade irgendein Bewerber um den Titel eines Europameisters im Eiskunstlauf seine Figuren. Die Zuschauer hatten dabei Gelegenheit, sich Gedanken darüber zu machen, was die vorwiegend westdeutsche Reklame im tschechoslowakischen Stadion eigentlich sollte, als die Sendung abrupt abbrach und eine wichtige Meldung angekündigt wurde. Im nächsten Moment beschlich mich ein mulmiges Gefühl."

    So wie dem Moskauer Korrespondenten der "Frankfurter Rundschau" dürfte es vielen ergangen sein. Anfang 1966 musste man mit allem rechnen, der Vietnamkrieg eskalierte, Indien und Pakistan standen sich feindselig gegenüber und in Nigeria putschte das Militär. Doch dann brachten die Rundfunksender weltweit eine erfreuliche Nachricht:

    "Zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt gelang es gestern der Sowjetunion, eine Mondsonde weich auf dem Erdtrabanten zu landen. Dieser große Erfolg wird in aller Welt vorbehaltlos anerkannt."

    Mit der erfolgreichen Landung der Sonde Luna 9 auf dem Mond am 3. Februar 1966 schrieb die Sowjetunion erneut Weltraumgeschichte. Neun Jahre nach dem Start des Sputnik und fünf Jahre nach dem Flug von Juri Gagarin zeigte das Land ein weiteres Mal, wozu es fähig war. Und dementsprechend wurde die Tat auch gefeiert.

    "Mit Luna 9 vollbrachte die UdSSR eine neue kosmische Pioniertat","

    rühmte das "Neue Deutschland" das sozialistische Bruderland und auch die Westpresse sparte nicht mit Superlativen.

    ""Die Russen haben einen neuen Sieg auf ihre Ehrentafel setzen können","

    hieß es im französischen "Figaro" und die "Financial Times" kommentierte:

    ""Die erste weiche Landung stellt die Russen an die Spitze der Raumforschung."

    Die Probleme, die die sowjetischen Wissenschaftler lösen mussten, um einen kleinen runden Metallapparat mit 59 Zentimeter Durchmesser punktgenau in 400.000 Kilometer Entfernung abzusetzen, waren enorm. Schon die Rakete dafür zu bauen, war extrem schwierig. Professor Heinz Hermann Kölle von der TU Berlin erklärte am Tag nach der Landung im RIAS.

    "Die Schwierigkeit liegt in der Zuverlässigkeit dieser Rakete. Eine Rakete dieser Art hat etwa 100.000 Einzelteile und da ist eben sehr wahrscheinlich, dass man sehr oft probieren muss, bis es klappt. Und die Russen haben systematisch diese Dinge so weit entwickelt, dass immer mehr Fehler ausgemerzt worden sind, und nun, beim fünften Versuch, hat es tatsächlich geklappt."

    Zuvor waren mehrere sowjetische Mondlandemissionen spektakulär gescheitert. Die Sonden schossen am Mond vorbei oder zerschellten dort. Aber auch das entsprechende Programm der amerikanischen Konkurrenz von der NASA steckte seit einem Jahr fest. Es sah ganz so aus, als sei das von Kennedy ausgerufene Ziel, noch im selben Jahrzehnt einen Mann auf den Mond zu schicken, nicht mehr zu erreichen. Für eine bemannte Mission war eine "weiche Landung" allerdings Voraussetzung . Die Zeitung "Die Welt" erklärte ihren Lesern die Probleme:

    "Die Landung eines Raumfahrzeuges auf dem Mond unterscheidet sich wegen des Fehlens einer Atmosphäre grundsätzlich von einer Erdlandung. So müssen starke Bremsraketen die hohe Geschwindigkeit des Mondfahrzeugs fast bis zum Schwebezustand verringern. Bei Luna 9 hätte eine Fehlkalkulation von nur einer Sekunde beim Feuern der Bremsraketen einen totalen Fehlschlag bedeutet."

    Auch jenseits technischer Fragen brachte Luna 9 neue Erkenntnisse. Jetzt wusste man, dass der Erdtrabant nicht, wie einige Experten vermutetet hatten, von einer dicken Staubschicht bedeckt ist. Jeder Laie konnte das sehen, denn Luna 9 zeigte der Weltöffentlichkeit erstmals Bilder direkt vom Mond. Der Deutsche Fernsehfunk berichtete in einer Sondersendung am Abend des 4. Februar.

    "Meine Damen und Herren. Und in diesem Augenblick, wahrhaftig im Augenblick des Beginns der Sendung ist hier bei uns im Augenblick des erste Bild von der Oberfläche des Mondes, wie sie Luna 9 zur Erde funkt, eingetroffen. Das ist eines der Fotos, auf die die Welt wartet. Sie, meine Damen und Herren, gehören wahrscheinlich mit zu den ersten in der Welt, die diesen Blick auf den Mond werfen können."

    Die DDR-Bürger gehörten jedoch nicht zu den ersten, die die Bilder der steinigen Mondlandschaften sahen. In Jodrell Bank, dem großen britischen Radioobservatorium bei Manchester, hatten die Wissenschaftler die Signale von Luna 9 ebenfalls empfangen. Mit Hilfe von Journalisten des "Daily Express", die den Forschern ein Bildfunkgerät ihrer Redaktion zur Verfügung stellten, gelang es, diese Signale zu dechiffrieren. So gab es in der englischen Presse schon am Morgen des 4. Februar Bilder vom Mond zu sehen. Der Ärger der sowjetischen Funktionäre darüber hielt sich angesichts des überwältigenden Erfolges der Mission allerdings in Grenzen.

    ""Der Mond spricht russisch","

    erklärte ein sowjetischer Wissenschaftler nach der Landung von Luna 9, und zumindest in den Tagen nach dem 3. Februar 1966 widersprach ihm niemand.