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Erster Weltkrieg
Was Deutschland gelernt hat

Der Erste Weltkrieg sei der letzte konventionelle und gleichzeitig der erste moderne Krieg gewesen, erklärte Norbert Lammert bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag. Die Redner dort unterstrichen vor allem die Lehren aus dem Krieg. Dabei waren auch bekannte Vertreter der einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich.

Von Christiane Habermalz | 03.07.2014
    Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) spricht am 03.07.2014 im Bundestag in Berlin während der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages aus Anlass des 100. Jahrestags des Beginn des Ersten Weltkrieges.
    Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) spricht am 03.07.2014 im Bundestag in Berlin während der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages aus Anlass des 100. Jahrestags des Beginn des Ersten Weltkrieges. (dpa / Maurizio Gambarini)
    Auf Flanderns Feldern blühen die Mohnblumen, zwischen den Kreuzen, Reihe für Reihe. Das Gedicht, das der kanadische Sanitätsarzt John McCrae 1915 unter dem Eindruck eines gefallenen Freundes dichtete, wurde in vielen Ländern zur Hymne des Andenkens an die Toten des Ersten Weltkriegs. Poppy Day, Tag des Klatschmohns, heißt der Kriegstotengedenktag auch in England.
    Bei der heutigen Gedenkstunde im Bundestag saßen gleich zwei ehemalige Staatsoberhäupter der einstigen Erbfeinde, Valéry Giscard d'Estaing und Richard von Weizsäcker nebeneinander auf der Ehrentribüne. Die in Europa beispiellose Erfahrung, der Gewalt ein Ende gesetzt zu haben, sei vielleicht eine der wichtigsten Errungenschaften des so gewalttätigen 20. Jahrhunderts, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert.
    "Es ist eine außerordentlich beruhigende Erfahrung zu wissen, dass die verbliebene Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich heute vorzugsweise auf Fußballplätzen ausgetragen wird, unter allgemein akzeptierten Regeln, und wenn es gar nicht anders geht, auf brasilianischem Boden."
    Zuvor hatte Lammert den Ersten Weltkrieg als letzten konventionellen und gleichzeitig ersten modernen Krieg bezeichnet – von der Pickelhaube über Maschinengewehre bis zum Giftgas. Die Menschen an der Front hätten eine industrialisierte Apokalypse erlebt, so Lammert. Die Lebenserwartung eines Soldaten, der in die Schützengräben von Verdun geschickt wurde, habe statistisch gesehen zwei Wochen gedauert.
    "Dass die Verwandten auf den europäischen Thronen, der deutsche Kaiser Wilhelm II., mit seinen Vettern, dem britischen König George V. und dem russischen Zaren Nikolaus II. die Krise auf dem Balkan weder lösen konnten noch wollten – zeigt die Bedeutung stabiler supranationaler Organisationen, die wir in Europa mittlerweile glücklicherweise haben und längst lästig finden."
    Als erstes Land der Welt, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Verfassung aufgenommen
    Der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser hielt die Gastrede – wie kaum ein anderer hat sich Grosser für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt. Geboren und aufgewachsen in einer deutsch-jüdischen Familie in Frankfurt, emigrierte die Familie 1934 nach Frankreich, ins Land des alten Erbfeindes. Sein Vater hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft - auf deutscher Seite. Was ihn am meisten getroffen habe, sei nicht das Verbot seiner Lehrtätigkeit an der Universität durch die Nazis gewesen, sondern der Ausschluss aus dem Verein der Eisernen-Kreuz-Träger, erzählte Grosser. Der Erste Weltkrieg, la Grande Guerre - in Frankreich sei er in der Erinnerung noch immer präsenter als in Deutschland. Was sich auch im Status der "Anciens Combattants", der Weltkriegsveteranen, widergespiegelt habe.
    "Ancien Combattant ist was Wichtiges. Die Größe dieses Begriffs hat meine Mutter im Februar 1934 in St. Germain en Laye erfahren. Mein Vater hatte eine Art Kindersanatorium einrichten wollen, ist aber sechs Monate nach unserer Ankunft gestorben. Der Elektriker kam zu seiner Witwe: Ihr Mann hat eine große Rechnung hinterlassen. Aber er war Ancien Combattant ich war es auch. Nicht auf derselben Seite, aber Ancien Combattant ist Ancien Combattant. Sie zahlen, wenn Sie können, es hat Zeit."
    Was geht uns der Erste Weltkrieg heute an, fragte Lammert in seiner Rede. Die Deutschen hätten gelernt, dass grundsätzlich militärische Maßnahmen kein Mittel zur Konfliktlösung seien. Als erstes Land der Welt habe die Bundesrepublik das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in seine Verfassung aufgenommen. Und wenn heute Russland völkerrechtswidrig die Krim annektiere, wolle niemand deswegen einen Krieg – trotz der Entschlossenheit, diesen Bruch des Völkerrechts nicht hinzunehmen. Das unterscheidet die heutige Lage entscheidend von 1914, fügte Lammert hinzu.