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Erwachsenenbildung
Honorarlehrkräfte kämpfen für faire Bezahlung

In Niedersachsen arbeiten mehr als 20.000 Pädagogen an Volkshochschulen, Hochschulen und Universitäten. Ein Angestelltenverhältnis haben aber nur die Wenigsten. Gegen ihre prekären Verhältnisse demonstrierten sie in Hannover. In einer Aktionswoche formieren sich bundesweit freie Lehrer zum Protest.

Von Alexander Budde | 12.10.2018
    Die Teilnehmer der Protestaktion des Aktionsbündnisses Deutsch als Fremdsprache am 17.8.2016 am Mittellandkanal in Hannover
    Honorarkräfte, die zum Beispiel Deutsch als Fremdsprache unterrichten, wollen nicht mehr Lehrer zweiter Klasse sein (Deutschlandradio / Alexander Budde)
    "Wer läuft so spät durch Nacht und Wind? Ein Dozent nahm Kurs zu seinem Kind. Sein Lohn ist ein Hohn, er ist wirklich arm, nur Arbeit hält sein Herz noch warm." / "Ohne Bildung keine Zukunft – nur mit uns! Alle reden über Bildung, aber nicht mit uns!"
    Die Aktionsgruppe DaF Hannover hat den schlossähnlichen Prachtbau des Rathauses als Kulisse für ihr Protest-Theater gewählt. Die Sprach-Dozenten und freiberuflichen Pädagogen schwenken Pappen, darauf ihre aufgemalten Forderungen: "Keine Dumping-Löhne!", "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall!", "fair statt prekär!". Was für viele Beschäftigte selbstverständlich ist, ist für die meisten Honorarlehrkräfte immer noch Wunschdenken.
    "Wir werden wie Tagelöhner behandelt und bezahlt"
    Artur Sieg spricht für das Bündnis. Er arbeitet wie fast alle Integrationslehrer auf Honorarbasis. Seine Vorbereitungszeit wird nicht erstattet, auch in seinen Ferien bekommt er kein Geld. Im Prinzip kann er es sich auch nicht leisten, krank zu werden. Der freie Lehrer für Deutsch, Politik und Geschichte hangelt sich mit Zeitverträgen von Kurs zu Kurs. Die Verträge mit den Bildungsträgern werden oft nur mit einer Laufzeit von wenigen Wochen abgeschlossen.
    "Wir sorgen für die Zukunft der Gesellschaft, weil wir Immigration brauchen wegen der demographischen Lage. Wir sorgen dafür, dass die Leute Sprachen lernen, dass sie ihre Abschlüsse nachholen, dass sie Computer-Kenntnisse erwerben. Wir dienen dem Staat und der Gesellschaft – und werden aber wie Tagelöhner behandelt und bezahlt!"
    Erste Erfolge können sie verbuchen: So wurde die Pauschale, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Bildungsträgern wie zum Beispiel Volkshochschulen zahlt, von 3,10 Euro auf 3,90 Euro pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde erhöht. So sollen zumindest die Integrationslehrer auf einen Brutto-Stundenlohn von 35 Euro kommen - damit vom Honorar noch ein angemessener Betrag übrig bleibt, müssten es aber mindestens 60 Euro sein, sagt Sieg. Die Beiträge zu seiner Kranken- und Rentenversicherung muss er nämlich selbst aufbringen. Tatsächlich bleibt im Schnitt ein Netto-Verdienst von etwas mehr als 1.000 Euro – dabei erfordert der Beruf ein Studium und eine zusätzliche Qualifikation.
    Im Schnitt ein Netto-Verdienst von etwas mehr als 1.000 Euro
    "Ich möchte diesen schönen Beruf ausüben – aber ich kann ihn mir einfach nicht leisten! Weil die Gesundheit nicht mehr mitmacht, wenn man 30 oder 40 Stunden unterrichten muss. Was eigentlich gegen das Arbeitsrecht verstößt, weil das mit Vor- und Nachbereitung bis 60 Stunden sein kann."
    Wie in anderen Bundesländern auch, wird die Erwachsenenbildung im Landeshaushalt seit Jahren vernachlässigt, sagt Steffi Robak. Die Professorin für Bildung im Erwachsenenalter an der Leibniz-Universität Hannover gehört einem Expertenrat an, der unlängst in einer Bestandsaufnahme des Bildungsbereichs eine Erhöhung der Grundförderung von knapp 4 Millionen Euro empfohlen hat. Das entspräche einem Zuwachs von knapp 8 Prozent. Seit 1993 gab es keine mehr. Stattdessen wurden zuletzt Projektmittel für Sprachkurse für Geflüchtete gekürzt. Robak kritisiert das, denn der Spracherwerb sei nur ein erster Schritt, dem viele weitere folgen müssten, um Menschen in Teilhabe zu bringen:
    "Wenn man Integration hört, dann denken viele an kurzfristige Sprachmaßnahmen. Und dann ist aber die Frage, was kommt dann? Zum Beispiel Pflegekräfte, die das B2-Niveau erreichen, wenn die denn die Sprachprüfungen schaffen, heißt das noch längst nicht, dass sie wirklich die Fähigkeiten haben, nachher so einen Beruf zu erlernen. Und dass Ziel muss immer sein, dass die Geflüchteten, die Deutschland erreicht haben, dann auch Teil des regulären Weiterbildungssystems werden und da eben auch einmünden."
    "Wir brauchen ein Zeichen, sodass wir eine Zukunft sehen"
    Den Zuwachs von knapp 8 Prozent aus Landesmitteln hat Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) in Aussicht gestellt – doch im Haushaltsentwurf der rot-schwarzen Landesregierung sind keine entsprechenden Mittel vorgesehen. Grünen-Fraktionschefin Anja Piel vermutet...
    "... dass Minister Thümler sich an der Stelle seinem Finanzminister gegenüber offenbar nicht durchsetzen konnte. Bedauerlich, weil wir wissen – und das weiß Herr Thümler auch - , dass in den letzten Jahren an den Volkshochschulen und Weiterbildungsstätten wie auch an den Hochschulen die Zahl der Honorarlehrkräfte konstant zugenommen hat, und dass die unter sehr ungünstigen Bedingungen arbeiten müssen – und insofern ist das einzige Rädchen, an dem wir auf Landesebene drehen, das Rädchen, dass wir ein bisschen mehr Geld dafür einstellen können."
    Die Forderung der streitbaren Honorarlehrkräfte, zumindest ein Prozent der gesamten Bildungsausgaben in die Erwachsenbildung zu geben, prallt regelmäßig an Politikern von Bund, Ländern und Kommunen ab.
    Artur Sieg kennt das schon. Er will weiterkämpfen, aber die Sorge ist da: "Wir brauchen ein Zeichen, sodass wir eine Zukunft sehen, eine Perspektive – sonst stirbt die Erwachsenenbildung mit uns aus!"