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Erwartungen an das neue Staatsoberhaupt

Viktor Janukowitsch, der neu gewählte Präsident der Ukraine, legt heute in Kiew seinen Amtseid ab. Bescheiden, aber feierlich, soll die Zeremonie über die Bühne gehen - in Zeiten der Wirtschaftskrise ist kein Geld da für pompöse Feiern. Die unterlegene Julia Timoschenko will der Vereidigung ebenso fernbleiben wie der bisherige Amtsinhaber Viktor Juschtschenko.

Von Clemens Hoffmann | 25.02.2010
    Der Arbeitsplatz von Vitali liegt in einer zugigen Unterführung im Kiewer Stadtzentrum. In seinem Minicontainer schleift er Schlüssel für eilige Passanten. Für den neuen Präsidenten, der aus dem industriellen Osten stammt und im Auftreten bisweilen unbeholfen wirkt, hat der 47-Jährige nur Spott übrig.

    "Für mich ist er das Allerletzte, wenn ich ehrlich bin! Ich bin Kiewer. Ich komme nicht aus dem Donbass. Entschuldigung - wenn einer Professor mit zwei F schreibt, wie kann man ihn da für einen normalen Menschen halten?"

    Zwölf Griwna - umgerechnet einen Euro - kostet der neue Haustürschlüssel, den Juristin Antonina in der Mittagspause machen lässt. Im Gegensatz zu Vitali hat sie keine großen Vorbehalte gegen Janukowitsch. Die Anwältin hofft vor allem auf ein Ende des Dauerstreits in der ukrainischen Politik. Das liege doch schließlich auch im Interesse der Wirtschaftsclans, die Janukowitsch und seine Partei der Regionen stützten.

    "Stabilität erwarte ich. Ich glaube, alle sind müde von dieser unvernünftigen Politik, die in der letzten Zeit in diesem Land betrieben wurde. Das Land braucht jetzt Vernunft!"

    Ein paar Container neben Vitalis Schlüsseldienst verkauft Ljuba heißen Tee und Kaffee in Plastikbechern. Die Mittfünfzigerin mit den blond gefärbten Haaren schwärmt geradezu für Janukowitsch:

    "Ich liebe ihn. Ich habe ihm ganz fest die Daumen gehalten und schon im ersten Wahlgang für ihn gestimmt. Ich bin überzeugt, dass alles ganz wunderbar wird. Dass das ganze Land aus der Krise herauskommt. Das Wichtigste ist, die Wirtschaft anzukurbeln, dass die Leute neue Arbeit finden."

    Ivan Poltarets, politischer Analyst beim Internationalen Zentrum für politische Studien in Kiew, warnt indes vor überzogenen Erwartungen. Noch habe der neu gewählte Präsident keine eigene Mehrheit im Parlament. Und der Machtkampf sei längst noch nicht beendet.

    "Die Erwartung ist, dass er das Chaos in der Politik beenden wird. Dass Konsens aufgebaut wird innerhalb der Regierung. Aber im Moment ist Timoschenko noch Premierministerin und es besteht die Möglichkeit, dass noch mehr Chaos entsteht. Wenigstens für einige Monate, bis die neue Regierung steht."

    Zwar hat Timoschenko ihre Klage gegen das Wahlergebnis zurückgezogen. Doch ihren Job als Ministerpräsidentin wird sie nicht widerstandslos aufgeben. Viel hängt nun davon ab, ob Janukowitsch in den nächsten Wochen eine tragfähige Koalition schmieden kann. Nur dann bestehe die Hoffnung, dass Regierung und Präsident mit- und nicht gegeneinander arbeiteten, prognostiziert Politikexperte Poltarets. Innenpolitisch gebe es genügend Baustellen: Staatsfinanzen, Reformstau, Korruption. Außenpolitisch werde das neue Staatsoberhaupt gute Beziehungen zu den USA, zur EU und zu Russland anstreben. Das Etikett "pro-russisch" sei für Janukowitsch schon lange nicht mehr zutreffend, meint Poltarets.

    "Vielleicht wäre Russland Timoschenko als Partner sogar lieber gewesen als Janukowitsch. Janukowitsch wird von der Schwerindustrie im Osten unterstützt. Deren Kunden sind in Europa. Die Ukraine treibt immer mehr Handel mit Europa - es ist im natürlichen Interesse der Partei der Regionen, die europäische Integration weiter zu befördern."

    Im Alltag vieler Ukrainer kommt von allen diesen Überlegungen wenig an: Auf dem improvisierten Markt in der Unterführung sortiert Viktor Schulhefte, Malkästen und Alleskleber. Vor neun Monaten ist er arbeitslos geworden, seither versucht er, sich mit dem Verkauf von Schreibwaren durchzubeißen. Zwölf Stunden am Tag steht der 28-Jährige in der Kälte, doch die Einnahmen reichen gerade so zum Überleben.

    "Ich traue niemandem mehr. Ich verlasse mich nur auf mich selbst. Ich weiß nicht, was von Janukowitsch zu erwarten ist - oder was Juschtschenko falsch gemacht hat. Ich habe keine Hoffnungen. Auf gar nichts hoffe ich."