Donnerstag, 28. März 2024

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Erwartungen an eine vollständige Energiewende

Der BUND erwarte von der neuen Landesregierung eine wesentliche Stärkung des Umweltschutzes, sagt Klaus-Peter Gussfeld, zuständig in Baden-Württemberg für Verkehrspolitik und Raumordnung. Man erhoffe sich außerdem die größtmögliche Senkung der klimaschädlichen CO2-Emissionen.

Klaus-Peter Gussfeld im Gespräch mit Georg Ehring | 12.05.2011
    Georg Ehring: Zum ersten Mal wird heute ein Mitglied der Grünen Ministerpräsident eines Bundeslandes. Winfried Kretschmann soll eine grün-rote Koalition anführen und er will der Politik im Ländle nach Jahrzehnten konservativer Vorherrschaft eine neue Richtung geben. Der Umweltschutz stand am Anfang des Aufstiegs der grünen Partei, doch auch beim Umweltschutz musste schon so mancher Grüner Kompromisse schließen, und gerade in Baden-Württemberg hat sich die Partei Realpolitik auf die Fahnen geschrieben.

    Was erwarten Umweltaktivisten von der grün-roten Wende im Südwesten? – Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Klaus-Peter Gussfeld, beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, in Baden-Württemberg für Verkehrspolitik und Raumordnung zuständig. Guten Tag, Herr Gussfeld.

    Klaus-Peter Gussfeld: Ja! Guten Tag, Herr Ehring.

    Ehring: Herr Gussfeld, was erwarten Sie denn von der neuen Landesregierung in puncto Umweltschutz?

    Gussfeld: Der BUND erwartet von der neuen Landesregierung eine wesentliche Stärkung des Umweltschutzes in allen wesentlichen Politikbereichen, dass sich insgesamt an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit orientiert und der größtmöglichen Senkung der klimaschädlichen CO2-Emissionen.

    Geers: Was heißt das denn konkret? Welchen Schwerpunkt haben Sie dabei?

    Gussfeld: Schwerpunkte würde ich in verschiedenen Bereichen setzen wollen: Einmal im Bereich der Energie- und Klimaschutzpolitik, dass es uns wirklich gelingen muss, in den nächsten 30 Jahren bis zu 90 Prozent der CO2-Emissionen zu senken, dass es gelingen muss, zu einer vollständigen Energiewende zu kommen, zu einem schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie, zu einer Steigerung der erneuerbaren Energien, einer Verstärkung der Energieeffizienz und der Energieeinsparung. Das sind die Schwerpunkte im Bereich der Energiepolitik.

    Im Bereich der Verkehrspolitik erwarten wir neue Leitlinien für eine ökologisch verträgliche, nachhaltige und sozialverträgliche Verkehrspolitik mit einer Abkehr vom Straßenbau und einer Verstärkung des Umweltverbundes, sprich der Verkehrsmittel Busse und Bahnen, des Fahrrades und der eigenen Füße.

    Geers: Aber Ihr Verband hat ja die Verkehrspolitik gerade in Baden-Württemberg auch der künftigen Landesregierung kritisiert?

    Gussfeld: Die Verkehrspolitik ist der Knackpunkt in der Koalitionsvereinbarung, weil da merkt man eigentlich ganz deutlich, dass hier unterschiedliche Partner sich in dieser Koalition zusammengefunden haben. Zum einen ist es positiv, dass wir in der Koalitionsvereinbarung ein sehr klares Bekenntnis zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel finden, zum Ausbau der nicht motorisierten Verkehrsmittel, Fahrrad- und Fußgängerverkehr. Wir haben aber auch den Knackpunkt des Straßenbaus und vor allem den Knackpunkt Stuttgart 21, das ist richtig.

    Geers: Stuttgart 21 ist ja ein Projekt zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, aber die Grünen und auch viele Umweltschützer wollen das Projekt stoppen. Ist das ein Symbol, oder wirklich eine Umweltbelastung, dieses Projekt?

    Gussfeld: Stuttgart 21 ist kein Symbol, sondern Stuttgart 21 ist ein milliardenteueres Projekt, was letztendlich keinerlei Vorteile für den Schienenverkehr bringen wird. Im Gegenteil: Dadurch, dass der tiefergelegte Bahnhof in Stuttgart mit acht Gleisen eine sehr begrenzte Leistungsfähigkeit aufweist, wird es mit diesem neuen Bahnhof nicht gelingen, zu einer wesentlichen Ausweitung des Schienenverkehrs zu kommen.

    Geers: Die neue Regierung hat sich den Atomausstieg auf die Fahnen geschrieben und will auch die Windkraft ausbauen, auch auf den Bergen des Schwarzwalds zum Beispiel. Steht da Naturschutz gegen umweltverträgliche Energie?

    Gussfeld: Natürlich haben wir in konfliktträchtigen Regionen des Schwarzwaldes, die auch aus Naturschutzgründen schützenswert sind, ein gewisses Konfliktpotenzial. Ich denke aber, dass es gelingt, diese Konflikte zu lösen. Wir haben einige Beispiele im Bereich des Schwarzwaldes, wo es durchaus gelang, einvernehmliche Lösungen herzustellen. Beispielsweise im Bereich Münstertal, südlich von Freiburg, gab es große Bürgerbewegungen für und gegen den Ausbau der Windenergie. Die Gemeinde, der Bürgermeister hat einen freiwilligen Bürgerentscheid dann angesetzt und dieser Bürgerentscheid ist mit überwältigender Mehrheit zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ausbau der Windenergie eben auch in dieser Region des Schwarzwaldes verträglich ist.

    Geers: Herzlichen Dank! – Das war Klaus-Peter Gussfeld vom BUND zum Amtsantritt des ersten grünen Ministerpräsidenten in einem Bundesland.