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Erziehungswissenschaftlerin
"Müssen von Anfang an umfangreiche Sprachbildung leisten"

Die Erziehungswissenschaftlerin Mona Massumi hält nichts davon, Kinder, die kein Deutsch sprechen, nicht zur Grundschule zuzulassen. Vielmehr müsse darüber nachgedacht werden, wie die Sprachförderung für alle Kinder, auch für die mehrsprachig aufwachsenden, verbessert werden könne, sagte sie im Dlf.

Mona Massumi im Gespräch mit Thekla Jahn | 06.08.2019
Ein Mädchen mit dunklen Locken arbeitet mit einem Klebestift und lächelt die Lehrerin an.
Schlechtes Deutsch? Alle Kinder und Jugendlichen müssten Zugang zum deutschen Bildungssystem haben, betont Erziehungswissenschaftlerin Mona Massumi. . (dpa/Arno Burgi)
Aktuell wird über den Vorstoß von Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann diskutiert – ein Sommerloch-Thema könnte man meinen – denn im politischen Sommerloch kommen provokante Vorschläge gut und schlagen viele Wellen. Dementsprechend haben sich auch schon viele zu Wort gemeldet: Populistischer Unfug sei der Vorschlag, sagte seine Parteikollegin, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien.
Kinder von der Grundschule auszuschließen: ein Vorschlag zum Fremdschämen, meint SPD-Bildungspolitikerin Marja Liisa Völlers. Und der Verband Bildung und Erziehung hält die Idee schlicht für diskriminierend.
Die Erziehungswissenschaftlerin Mona Massumi, Mitautorin der Studie "Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem" meint, bei ihr gingen alle Alarmglocken, wenn sie solche Äußerungen wie die von Carsten Linnemann höre.
Dass die Frage aufkomme, ob Kinder überhaupt eingeschult werden sollen, ob ihnen der Zugang zum deutschen Schulsystem offenstehen sollte, erschüttere sie. Das Bildungssystem fuße doch auf dem Gedanken der Bildungsgerechtigkeit und darauf, dass alle Kinder und Jugendliche Zugang bekommen.
Gruppengrößen in Kitas verkleinern
In den vergangenen Jahren sei viel über die Schule geredet worden, aber die Elementarbildung sei sehr stark vernachlässigt worden. Genau dort müsse angesetzt werden. Es müsse stärker darüber nachgedacht werden, wie die Sprachförderung für alle Kinder, auch für die mehrsprachig aufwachsenden, verbessert werden könne.
Deutschgebote in Kitas oder Schulen seien nicht hilfreich. Wichtiger sei, das hätten wissenschaftliche Studien gezeigt, Mehrsprachigkeit im Allgemeinen zu fördern. Um Kinder in frühestem Alter sprachlich zu unterstützen, bräuchten Erzieherinnen und Erzieher ein besseres professionelles Rüstzeug und dazu müssten die Curricula in der Erzieherausbildung angepasst werden. Darüber hinaus sei es natürlich auch nötig, die Gruppengrößen in Kitas zu verkleinern und besseres Lernmaterial wie beispielsweise mehrsprachige Bilderbücher zur Verfügung zu stellen.
Verpflichtende Deutsch-Sprachtests für Drei- oder Vierjährige, wie sie in einigen Bundesländern existieren, hält Mona Massumi nicht für zielführend, da hier bereits eine Selektierung vorgenommen werde. Außerdem seien große Unterschiede bei der Sprachkompetenz in diesem frühen Alter noch ganz normal.
Nicht zu früh selektieren
In einigen Grundschulen werden spezielle Klassen "Deutsch als Zweitsprache" eingerichtet, auch diese sieht Mona Massumi kritisch. In den 1990er-Jahren habe es sogenannte "Ausländerklassen" gegeben und die Folge sei gewesen, dass manche Kinder nie aus diesen Klassen herausgekommen seien.
Gerade in Grundschulen aber dürfe nicht schon früh selektiert werden. Stattdessen müssten alle Kinder mit guten ebenso wie mit unzureichenden Deutschkenntnissen gemeinsam am Unterricht teilnehmen. Nur so könne Chancengleichheit hergestellt werden. Allerdings sei das für die Lehrkräfte keineswegs leicht, weshalb sich auch institutionelle Rahmenbedingungen ändern müssten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.