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"Es fehlt Geld für die Pflege"

Als Verhandlungsführer der SPD in Gesundheitsfragen will Karl Lauterbach die Union von einer Erhöhung des Beitrags für die Pflegeversicherung überzeugen. Ab 2020 komme die Babyboomer-Generation ins pflegebedürftige Alter, prognostiziert er. Das müsse vorbereitet sein.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.11.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie Ihr Leben aussieht, wenn Sie erst einmal pflegebedürftig sein sollten? Oder pflegen Sie derzeit einen Familienangehörigen und haben das Gefühl, das alles nicht mehr zu schaffen? Dann ist das für Sie nichts Neues: Die Leistungen, die die gesetzliche Pflegeversicherung auszahlt, sind oft nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss also etwas geschehen. Allerdings gibt es diese Erkenntnis schon viele Jahre. Der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler hatte seinerzeit das Jahr der Pflege ausgerufen; passiert ist seitdem nicht viel. Das könnte, das muss sich eigentlich ändern, heute bei den Koalitionsverhandlungen von Union und Sozialdemokraten, denn heute steht das Thema Pflege auf der Agenda, und darüber sprechen wir jetzt mit Karl Lauterbach. Er ist der Verhandlungsführer der SPD für die Themen Gesundheit und Pflege. Schönen guten Morgen, Herr Lauterbach.

    Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Lauterbach, müssen Sie unseren Hörerinnen und Hörern jetzt sagen, ihr müsst Angst davor haben, pflegebedürftig zu werden?

    Lauterbach: Nein, das auf keinen Fall. Und die Pflegeversicherung in Deutschland hat auch bisher gute Leistungen gebracht. Das darf man nicht gering schätzen. Es wird in Deutschland gute Pflege geleistet. Aber wir haben einen Mangel an Pflegekräften, die Pflegekräfte sind unterbezahlt, sie sind zum Teil ausgelaugt, das System ist sehr bürokratisch geworden und es fehlt an Pflegekräften und an einer guten Ausbildung für die Pflege. Somit sind wichtige Probleme anzupacken. Es fehlt auch Geld für die Pflege. Wir haben heute eine große Aufgabe zu lösen.

    Heckmann: Die Deutschen werden immer älter und auch immer pflegebedürftiger. Wie groß ist das Problem? Ist das ein Problem wie viele andere, oder kommt da eine riesige Lawine auf uns zu?

    Lauterbach: Da kommt ein großes Problem in der Tat auf uns zu. Zum einen ist es so, dass die Zahl derjenigen, die gepflegt werden müssen, ab 2020 sprunghaft ansteigen wird. Das ist dann der Fall, wenn die Babyboomer-Generation erstmalig auch pflegebedürftig wird. Dann werden wir jedes Jahr mehr Pflegebedürftige haben. Gleichzeitig sinkt natürlich die Zahl der jungen Menschen, die pflegen können, weil die Kinderlosigkeit der letzten Jahrzehnte dann voll durchschlägt. Und zum Dritten kommt dazu, dass viele Familien, die bisher untereinander sich geholfen haben, wo sozusagen Familienangehörige mit gepflegt haben, demnächst das nicht mehr tun werden, weil es schlicht und ergreifend diese Familienstruktur nicht mehr gibt. Die Menschen leben allein und haben dann auch im Alter nicht mehr die Familienmitglieder zur Verfügung, die helfen können. Somit müssen sich Strukturen verbessern, sodass in den Gemeinden gepflegt werden kann. Wir müssen die Strukturen verbessern, dass es Zwischenformen zwischen Pflegen, pflegevorbereitendem Wohnen gibt und dergleichen. Wir sind vor einem großen Problem, was jetzt noch gelöst werden kann. Wir haben ungefähr noch fünf Jahre, um wirklich gute Lösungen vorzubereiten. Das heißt, diese Reform, die eigentlich schon längst hätte beschlossen werden müssen, die müssen wir jetzt anpacken und fertig machen.

    Heckmann: Das alles kostet Geld. Derzeit beträgt ja der Beitrag für die Pflegeversicherung 2,05 Prozent beziehungsweise liegt bei 2,3 Prozent bei Kinderlosen. Sie, die SPD, sie fordern eine Anhebung um 0,5 Prozentpunkte. Die Union spricht sich für eine moderate Erhöhung aus. Wie optimistisch sind Sie, dass Sie sich da einigen werden?

    Lauterbach: Ich bin immer optimistisch und ich glaube, dass hier auch die Fakten für die stärkere Erhöhung sprechen. Wir brauchen ja mehrere Dinge: Wir brauchen einen moderneren Begriff, wie derjenige, der gepflegt wird, eingestuft wird. Das ist derzeit wahnsinnig bürokratisch und führt dazu, dass Menschen mit Demenz oder mit psychischen Erkrankungen häufig auch nicht das Geld bekommen oder ihre Angehörigen, welches sie brauchen. Denn wir haben das Problem: Wir müssen mehr Pflegekräfte einstellen. Die Arbeit laugt wie gesagt die Kräfte dort aus, die dort tätig sind. Und wir müssen darüber hinaus auch noch die ambulante Pflege stärken. Wenn man all diese Dinge tun will, dann verbraucht man sehr schnell einen halben Beitragssatzpunkt. Ich glaube nicht, dass wir noch Geld haben für eine Kapitaldeckung in der Pflege. Das war zum Teil von der CDU vorgeschlagen worden, das ist ja bekannt geworden. Dafür sind die Zinserträge in der heutigen Zeit einfach zu gering, als dass so etwas sinnvoll wäre. Und ich glaube auch nicht, dass wir mit weniger hinkommen, denn dann enttäuschen wir die Angehörigen und diejenigen, die in der Pflege arbeiten, erneut. Wir müssen auch die Ausbildung reformieren. Wenn man all diese Bedarfe zusammenfasst, dann ist das Geld sehr schnell verbraucht.

    Heckmann: Dann blicken wir mal auf das System insgesamt. Sie hatten es gerade schon angedeutet: CDU und CSU sprechen sich für Kapitalrücklagen in der Pflegeversicherung aus. Sie von der SPD fordern eine Bürgerversicherung, ähnlich wie bei den Krankenkassen. Aber Sie wissen auch: Die Union macht da nicht mit und das Problem muss auch so gelöst werden, oder?

    Lauterbach: Wir sind bisher immer gut zurecht gekommen in diesen Verhandlungen und ich will dem Ergebnis nicht vorgreifen. Sie müssen aber überlegen: Wenn Sie heute die Menschen zwingen, eine Rücklage zu tätigen, eine Kapitalrücklage in der Pflege, die fast keine Zinsen mehr bringen wird, und wir gleichzeitig die Investitionen benötigen in die Pflegekräfte - die wirkliche Investition in die Zukunft der Pflege ist ja, dass wir heute mehr Menschen ausbilden, gewinnen für diesen Beruf; das ist ja die eigentliche Rücklage, denn wir werden sonst später die Pflegekräfte, die wir benötigen, überhaupt nicht haben -, dann sind das aus meiner Sicht sehr starke Argumente, und wir werden nicht in Verlegenheit kommen, diese vorzutragen.

    Heckmann: Aber diese Bürgerversicherung wird es wohl nicht geben?

    Lauterbach: Die Bürgerversicherung in der Pflege wäre sehr sinnvoll, und auch dort wird gekämpft. Derzeit ist es ja so: In der Pflege bezahlt die private Pflegeversicherung die gleichen Leistungen wie die gesetzliche, die solidarische Pflegeversicherung. Es gibt keinen Unterschied in dem Leistungskatalog. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in der privaten Pflegeversicherung zum einen eine Altersrückstellung gebildet wird, die eigentlich in der Form unverzinst ist und bürokratisch. Und zum Zweiten: Weil die Privatversicherten in der Regel weniger pflegebedürftig werden – sie haben in der Regel eine bessere Bildung, sie sind weniger befallen von Demenz im Durchschnitt, sie haben also geringere Ausgaben, aber ein höheres Einkommen -, kommt die private Pflegeversicherung wegen der besseren Risiken sehr gut über die Runden, derweil die gesetzliche Pflegeversicherung die Solidarlast komplett alleine tragen muss. Das ist natürlich sehr ungerecht für denjenigen, der sich nicht privat versichern kann, weil er das Einkommen dafür nicht hat. Es ist auch ungerecht, weil im Prinzip so ein Privileg für den Beamten gilt, welches der Steuerzahler selbst nicht genießen kann. Da sind ein paar Ungerechtigkeiten darin. Ich glaube, dass die Argumente auch hier für die Bürgerversicherung sprechen.

    Heckmann: Sie sind optimistisch, dass Sie mit der Union da zu einer Einigung kommen. – Herr Lauterbach, wir wissen, die Inhalte stehen im Vordergrund derzeit bei den Koalitionsverhandlungen. Aber irgendwann geht es auch um die Personalien. Da sind Sie im Gespräch als Gesundheitsminister. Wollen wir die Frage mal so probieren: Würde Sie der Job reizen?

    Lauterbach: Zu Personalfragen äußern wir uns ja ganz grundsätzlich nicht. Damit sind wir gut gefahren. Und was uns so alles reizen würde, darüber will ich auch nicht öffentlich spekulieren. Ich denke, im Vordergrund steht tatsächlich, dass wir jetzt eine gute Arbeit machen, und dann müssen wir ja auch noch die Mitglieder überhaupt bewegen, dem ganzen beizutreten. Und ganz zum Schluss wird über Personal gesprochen und da gibt es gute Kandidatinnen und Kandidaten auf allen Seiten.

    Heckmann: Das haben wir uns gedacht. – Das Thema Pflege steht heute im Mittelpunkt der Koalitionsverhandlungen. Wir haben gesprochen mit Karl Lauterbach, er ist Verhandlungsführer für die SPD. Schönen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Lauterbach: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.