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"Es geht hier darum, eine Lücke zu schließen"

Die von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) beschlossene Arbeitsmarktreform wurde von vielen für ungerecht empfunden. Nun fordert die SPD-Führung eine Reform der Reform und will unter anderem das Arbeitslosengeld I länger auszahlen. Rudolf Dreßler, ehemaliger Sozialexperte der SPD, hält das für vernünftig.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.03.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit der Ankündigung der sogenannten Hartz-Reformen haben die Sozialdemokraten bluten müssen und haben Millionen Mitglieder und Wähler verloren, weil die unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder beschlossene Arbeitsmarktreform von vielen als ungerecht empfunden wurde. Gestern nun hat die SPD-Führung Forderungen nach einer Reform der Reform beschlossen. Unter anderem soll unter bestimmten Umständen das Arbeitslosengeld I länger als bisher ausgezahlt werden. Für die einen hat die SPD die Gelegenheit genutzt, sich endlich vom Ballast der Hartz-IV-Reform zu verabschieden, aus wahltaktischen Gründen kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. SPD-Chef Sigmar Gabriel weist diese Kritik zurück, aber auch parteiintern stoßen die Beschlüsse auf Kritik. Über das Thema wollen wir sprechen mit Rudolf Dreßler, dem ehemaligen Sozialexperten der SPD. Schönen guten Tag, Herr Dreßler!

    Rudolf Dreßler: Ich grüße Sie!

    Heckmann: Der Chef der Linksfraktion, Gregor Gysi, meinte gestern, in der Regierung mache die SPD Hartz IV, in der Opposition Opposition gegen sich selbst. Ist diese Aussage nicht ziemlich treffend?

    Dreßler: Die SPD muss mit diesem Vorwurf leben, sie muss damit umgehen, weil sich für eine konkurrierende Partei so ein Eindruck zwangsläufig ergibt, denn erst das Wahlergebnis vom 27. September hat die SPD nun besinnen lassen, die Fehler, die sie in der schröderschen Zeit gemacht hat, zu korrigieren an wesentlichen Punkten, die nicht nur als ungerecht empfunden wurden, sondern die auch tatsächlich ungerecht sind.

    Heckmann: Das heißt, die SPD folgt auf opportunistischer Weise dem Wählerwillen?

    Dreßler: Wenn die SPD sich entschließt, dieses nur aus wahltaktischen Gründen zu machen, dann wird das auffallen und sie wird in diesem tiefen Tal, in dem sie sich seit der Bundestagswahl befindet, weiterhin sich zurechtfinden müssen. Also es ist ein langer, jahrelanger Prozess, dieses Vertrauen, was verloren gegangen ist, wieder aufzubauen, und dazu gehört, dass sie jetzt gemessen wird an der Substanz ihrer Korrekturen und gemessen wird an dem, wie sie damit umgeht, mit diesen Korrekturwünschen.

    Heckmann: Ist ja ganz praktisch in dem Zusammenhang, dass die SPD in der Opposition ist, denn diese Reformvorschläge haben ja keine Chance auf Verwirklichung im Moment.

    Dreßler: Zunächst ist es praktisch. Nehmen wir mal an, es würde ein kleines Wunder geschehen und in Nordrhein-Westfalen – die Sache steht ja zurzeit, wenn Sie so wollen, halbe halbe, also Spitz auf Knopf – würde die SPD mit den Grünen die Möglichkeit einer Mehrheit schaffen, dann hätte die CDU und FDP im Bundesrat ihre Mehrheit verloren, und schon sieht die Gesetzgebungslage wieder völlig anders aus. Also die SPD muss wissen, dass sie an diesen Korrekturen, die sie jetzt beschlossen hat in Form eines Wollens, gemessen wird in Form eines Bringens, wenn es ihr wieder möglich ist, auf den Gesetzesakt selber konkreten substanziellen Einfluss zu nehmen.

    Heckmann: Herr Dreßler, die Verkürzung der Auszahlung von Arbeitslosengeld I damals war ja ein wesentlicher Bestandteil der Reformen. Man wollte ja eben Langzeitarbeitslose und überhaupt Arbeitslose schneller wieder in einen Job bringen, ihnen eine Perspektive eröffnen. Wenn das jetzt wieder zurückgedreht wird, lautet dann nicht das Signal, dass die Daueralimentierung durch den Staat wieder Mode wird?

    Dreßler: Also ich kann nicht erkennen, dass eine Unterstützungsleistung dieser Art, die ja de facto einem Versicherungsprinzip entspricht – ich zahle ja zwangsweise Arbeitslosenbeiträge für die Arbeitslosenversicherung; für den Fall, dass es mich trifft und ich arbeitslos werde, habe ich dann einen gesetzlichen Anspruch, dieses jedenfalls in Form einer monatlichen Entschädigung, bis ich wieder einen neuen Arbeitsplatz gefunden habe, zu bekommen. Wenn der Arbeitsmarkt selbst diese Arbeitsplätze nicht bieten kann, oder durch Geringentlohnungen, die ja zum Teil sittenwidrig sind, in eine verheerende Katastrophe kommt, dann ist ein solches Versicherungsprinzip logischerweise dafür da, geradezustehen. Wenn nun der Gesetzgeber und hier die SPD dieses von damals über 30 Monate auf zwölf Monate kürzt und Menschen, die 30 Jahre gearbeitet haben, dann plötzlich arbeitslos werden, innerhalb von zwölf Monaten in eine solche Lage bringt, dass sie nur noch 350 Euro im Monat erhalten an Unterstützungsleistung, dann darf sich die SPD nicht wundern, dass die Leute nicht nur den Kopf schütteln, sondern sich von ihr abwenden, und genau diese Korrektur will sie jetzt wieder machen, indem sie es gerechter aufkommen lässt. Sie hat ja daran Bedingungen geknüpft, nämlich Qualifizierungsmaßnahmen, was ich für sehr vernünftig empfinde.

    Heckmann: Die Union allerdings argumentiert, dass die längere Auszahlung von Arbeitslosengeld I nach dem geltenden Gesetz längst möglich sei. Also arbeitet die SPD mit einer Mogelpackung?

    Dreßler: "Längst möglich sei" bedeutet ja, dass eine kleine Korrektur vonstatten gegangen ist vor einiger Zeit – das ist ja noch nicht lange her -, dass die zwölf Monate auf 18 Monate erhöht worden sind. Die SPD will dieses jetzt in Form eines Schrittes auf 24 Monate respektive für Menschen, die älter als 58 sind, bis zu 36 Monaten wieder verlängern, wie es vorher war. Ich kann nicht erkennen, dass das Finanzargument von Unions- oder FDP-Politikern irgendeine Substanz hat. Also wer 4 Milliarden Euro Steuereinnahmen verschenkt für eine Erhöhung der Erbschaftseinkünfte und für Hotelbesitzer, der sollte sich zurückhalten, wenn es darum geht, 350 Euro im Monat länger als zwölf oder 18 Monate zu zahlen.

    Heckmann: Herr Dreßler, parteiintern bei der SPD sind die Beschlüsse von gestern nicht unumstritten. Der rechte Flügel der Partei, der Seeheimer Kreis, der ist zum Beispiel dagegen, dass bei Hartz-IV-Empfängern das Vermögen geprüft wird, bevor eben solche Leistungen ausgezahlt werden. Hat also der Seeheimer Kreis die Zeichen der Zeit nicht verstanden?

    Dreßler: Ob es der Seeheimer Kreis ist, weiß ich noch nicht. Bisher ist der Sprecher des Seeheimer Kreises in den Vordergrund getreten und der hat, wenn Sie so wollen, einen Trichinenstempel, dass er ziemlich konservativ ist in seiner gesellschaftspolitischen Auffassung, und er hat damals, wenn ich mich recht erinnere, diese Gesetzgebung, die jetzt in der Kritik steht und die die SPD in diesen Abgrund geführt hat, federführend nicht nur verbal, sondern durch politische Unterstützung mit veranstaltet. Also den ernst zu nehmen, das liegt mir im Augenblick sehr, sehr fern.

    Heckmann: Aber kann es denn sein, dass Vermögende vom Staat alimentiert werden?

    Dreßler: Vermögende werden nicht vom Staat alimentiert, sondern es geht hier darum, eine Lücke zu schließen. Die Lücke will ich an einem Beispiel formulieren. Wenn Sie ein Haus besitzen, dann ist dieses Haus nicht anrechenbar. Wenn Sie aber den Gegenwert eines Hauses besitzen, dann ist es anrechenbar, oder Sie müssen Lebensversicherungen, die Sie auf Veranlassung der Politik möglicherweise abgeschlossen haben für Ihre Alterssicherung, aufbrauchen. Das heißt, hier sind Regelungen entstanden innerhalb der Hartz-IV-Gesetzgebung, die so ungerecht sind, dass es kaum noch erträglich ist, und dieses will jetzt die SPD korrigieren. Und wenn die anderen Parteien darüber herfallen, dann ist eine Schlachtordnung in der deutschen Politik entstanden, die wir in den letzten Jahren in der Schröder-Koalition nicht hatten, denn da war die SPD in der, ich sage mal, Streichung von sozialer Substanz ja nicht alleine. Sie hat das ja immer mit tatkräftiger Unterstützung der CDU und FDP gemacht.

    Heckmann: Kommt die SPD aus dem Umfragetief mit den gestrigen Beschlüssen zur Hartz-IV-Reform? Wir sprachen im Deutschlandfunk mit Rudolf Dreßler, dem ehemaligen Sozialexperten der SPD. Herr Dreßler, ich danke Ihnen.

    Dreßler: Auf Wiederhören!