Donnerstag, 28. März 2024

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"Es geht um Erpressung, um nichts anderes"

Nordkorea habe immer wieder Drohungen eingesetzt, "um Konzessionen vom Ausland zu erzwingen" - aus Südkorea, aber auch aus Japan und den USA, meint Manfred Pohl, Politikwissenschaftler und Asien-Kenner. Er glaube nicht, dass es bei der schrillen Kriegsrhetorik um wirkliche Handlungsmöglichkeiten gehe.

Manfred Pohl im Gespräch mit Mario Dobovisek | 04.04.2013
    Mario Dobovisek: Zwischen Nord- und Südkorea tobt ein Krieg der Worte. Noch jedenfalls bleibt es bei Worten, denn der Machthaber im Norden, um genau zu sein Kim Jong-un, hat längst den seit 60 Jahren währenden Waffenstillstand aufgekündigt und den Kriegszustand erklärt. Inzwischen droht er auch offiziell mit einem Atomschlag gegen die USA. Ein solcher Angriff sei ohne jede Rücksicht genehmigt, heißt es.

    Der Süden spart ebenfalls nicht mit starken Worten, und die USA entsenden Schlachtschiffe, Kampfflugzeuge und eine Raketenabwehr. Selbst die letzte sogenannte Zone des Friedens ist seit gestern keine mehr, seitdem der kommunistische Norden nämlich die Freihandelszone von Kaesong abriegelte und nun auch mit der endgültigen Schließung droht. Von Annäherung also keine Spur. So weit wie heute, so scheint es, waren beide Seiten schon seit Jahrzehnten nicht mehr voneinander entfernt. – Am Telefon begrüße ich Manfred Pohl, er ist Politikwissenschaftler und Asien-Kenner in Hamburg. Guten Morgen, Herr Pohl.

    Manfred Pohl: Guten Morgen!

    Dobovisek: Kim Jong-un habe den Angriff mit Atomraketen auf die USA genehmigt, lässt er wissen. Was bedeutet das?

    Machtkampf in Nordkorea
    <im_93029>Kim Jong-un</im_93029>Pohl: Es ist, glaube ich, eine Karte, die Kim Jong-un in erster Linie mit Blick auf die innenpolitischen Entwicklungen spielt. In der Kommentierung hierzulande, glaube ich, haben diese Entwicklungen – man kann es ja auch Machtprobe oder Machtkampf in Nordkorea nennen – zu wenig Aufmerksamkeit gefunden. Die wirklich mächtigen Menschen im Hintergrund Kim Jong-uns ist nicht er selbst und sein Machtapparat, sondern in erster Linie seine Tante und sein Onkel. Ich will nicht viele Namen nennen, aber diese beiden Namen sollten fallen. Kim Kyong-hui ist also die Tante Kim Jong-uns und Jang Song-thaek sein Onkel.

    Beide stehen für eine vorsichtige Öffnung des Landes, wobei Kim Kyong-hui, also die Tante, eine längere Geschichte der politischen Reformen vorweisen kann. Ich denke, sie zusammen, diese Dreiheit, Kim Jong-un, Kim Kyong-hui und Jang Song-thaek, verfolgen ein dreifaches Ziel. Die schrille Rhetorik erstens scheint zu unterstreichen, dass die Armee aufgewertet werden soll. Das wiederum ließe sich deuten als Verdecken der Tatsache, dass unter Kim Jong-un im letzten Jahr die Rolle der Partei aufgewertet worden ist. Das würde bedeuten, er folgt dem chinesischen Beispiel, wonach die Partei die Gewehre kommandiert, also ein Trost für die Armee, deswegen die starken Worte.

    Dobovisek: Wenn ich da mal kurz einhaken darf?

    Pohl: Ja.

    Dobovisek: Was bedeutet das? Oder anders gefragt: Wie gefährlich ist dieser familieninterne Streit, wie Sie ihn beschreiben?

    Pohl: Ich glaube, der Streit ist bisher entschieden. Die Armee hat eine Reihe von Führungspositionen sowohl in der Armeeführung selbst – sechs von neun Korps-Kommandeuren sind letztes Jahr abgelöst worden. Diese Verluste werden noch unterstrichen durch weitere Verluste von einflussreichen Positionen im Parteiapparat, die jetzt von Vertrauten Kim Jong-uns unter dem Einfluss seiner Tante eingenommen worden sind.

    Also ich denke, die schrille Wortwahl ist nach wie vor ein Versuch, die Situation in Nordkorea stabiler darzustellen, als sie wirklich ist. Ich glaube nicht, dass es hier um wirkliche Alternativen, wirkliche Handlungsmöglichkeiten geht, sondern vieles von dem, was wir hören, ist nach innen gerichtet.

    Schrille Worte und leichte Öffnung des Landes
    Dobovisek: Wird es Ihrer Ansicht nach bei schrillen Worten bleiben?

    Pohl: Ich gehe davon aus, denn wenn wir genau hinsehen, läuft parallel zu der schrillen Wortwahl eine ganz vorsichtige Öffnung des Landes in Richtung Entwicklung der Leichtindustrie. Kim Jong-un hat vor Kurzem, flankiert übrigens im Foto von seinem Onkel und seiner Tante, gesagt, die Atomenergie sei der Schatz des Landes, so etwa, und damit hat er angedeutet, es geht nicht nur um waffenfähiges Plutonium oder schmutziges Uran, was ja auch denkbar wäre, sondern es geht darum, eine relativ unabhängige Energieversorgung aufzubauen und damit die wirtschaftliche Grundlage des Landes zu stärken, vielleicht auch, um ein wenig weniger abhängig von China oder von ausländischer Hilfe zu sein.

    Dobovisek: Will er denn die Wirtschaft insgesamt auch dem Ausland gegenüber öffnen?

    Pohl: Ich denke, das ist das langfristige Ziel. Er kann nur nicht zu schnell vorangehen, weil er dann den offenen Widerstand der Armee, die gegen solche Entwicklungen ist, weil er dann mit solchem Widerstand rechnen müsste, und den kann er im Moment wahrscheinlich nicht durchstehen.

    Dobovisek: Wie passt es dann, dass er seine Geldgeber ja im Ausland verschreckt, indem er zum Beispiel die Freihandelszone von Kaesong jetzt vorübergehend schließt und mit der endgültigen Schließung immerhin droht?

    Pohl: Betrachten wir die Struktur in dieser Wirtschaftssonderzone, dann sind es vor allen Dingen südkoreanische Mittelständler, die dort arbeiten. Es trifft also nicht die wirklich Großen. Zugleich aber muss die Führung in Seoul, also in Südkorea, das als sehr schmerzlich empfinden, denn dieses ist ein latent bedrohter Sektor der südkoreanischen Wirtschaft. Hier hat Kim Jong-un offensichtlich ein Instrument gefunden, mit dem er, etwas flapsig ausgedrückt, den Süden wirklich zwacken kann.

    Dobovisek: Will denn Nordkorea damit den Süden wirtschaftlich schaden, um dann eventuell später selber Kasse zu machen, um es genauso flapsig auszudrücken?

    Pohl: Es geht um Erpressung, um nichts anderes. Bisher hat sein Vater, vor ihm sein Großvater Kim Il-sung, der Gründer des Staates, immer wieder das Instrument der Erpressung eingesetzt, sei es mit Drohung mit militärischer Intervention, sei es heute die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen. Immer wieder sind diese Drohungen eingesetzt worden, um Konzessionen vom Ausland zu erzwingen, in erster Linie aus Südkorea, nicht zuletzt aber auch aus Japan oder vielleicht sogar aus den USA. Und bisher hat dieses Mittel eigentlich immer gewirkt. Wir werden abwarten müssen, ob es auch in Zukunft wirken kann.

    Dobovisek: Wir sprechen hier viel über Provokationen seitens der Nord- und auch der Südkoreaner. War es denn klug von den USA, in dieser angespannten Situation weitere Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge zu entsenden?

    Pohl: Die USA waren in einem Dilemma. Sie mussten Bündnistreue und Stärke demonstrieren, deswegen die Zurschaustellung von überlegenen Waffen. Zugleich aber hat die Führung in Washington natürlich eine Lehrzeit zu absolvieren, genauso wie die Führung in Nordkorea. Im Moment ist man, glaube ich, gegenseitig dabei, die Empfindlichkeitsschwellen auszutesten.

    Dobovisek: Der weitere große Spieler, wenn man das überhaupt so nennen darf, ist China. Wir sprechen ja auch über einen Stellvertreterkonflikt zwischen China und den USA. China mahnt seinen nordkoreanischen Partner zwar zur Ruhe, bleibt aber sonst relativ ruhig und handelt kaum. Warum nicht?

    Pohl: Weil die Entwicklung im Moment nach meiner Auffassung durchaus den Chinesen in die Hände spielt. Es gibt drei Hauptziele, die China in der Region verfolgt: erstens eine Selbstversicherung als regionale und überregionale Großmacht im pazifischen Raum, zweitens Vermeiden um jeden Preis einer direkten Nachbarschaft zu US-Truppen, was passieren würde, wenn der Norden zusammenbräche, und drittens Erhalt des Status quo auf der koreanischen Halbinsel.

    Dazu zählt auch eine atomwaffenfreie Zone in diesem Gebiet. Ich denke, das ist das wichtigste Ziel, was die chinesische Führung anstrebt, zu verhindern, dass Nordkorea tatsächlich Atomwaffen entwickelt.

    Dobovisek: Hat Nordkorea damit seinen wichtigsten Verbündeten im Grunde verloren?

    Pohl: Nein, verloren sicherlich nicht, aber es ist ganz unübersehbar, dass in Peking im Moment eine gewisse Ungeduld in der Führung sich breitmacht, denn auch die neue chinesische Führung hat natürlich im Moment noch Schwierigkeiten, sich zu etablieren, und auch dort ist das alte Problem der Frage, wer die Dominanz hat, die Partei oder die Armee, noch nicht letztlich geklärt.

    Man wird abwarten müssen, ob die vernünftigen Kräfte in der Führung in China sich durchsetzen, oder ob man die Abenteuerlust des nordkoreanischen Partners noch weiterhin duldet. Ich gehe nicht davon aus, dass das der Fall sein wird.

    Dobovisek: …, sagt Manfred Pohl, emeritierter Professor an der Universität Hamburg. Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.

    Pohl: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.