Dienstag, 23. April 2024

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"Es gibt kein Fieberthermometer der Gefahr"

Es gebe keine Anzeichen für eine unmittelbare terroristische Bedrohung Deutschlands, bekräftigt Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Die Sicherheitsbehörden arbeiteten mit Hochdruck im Hintergrund. Die Abwehr von Gefahren müsse Vorrang gegenüber Erklärungen in der Öffentlichkeit haben, betonte der CDU-Politiker.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Gerwald Herter | 06.10.2010
    Gerwald Herter: Wasiristan gilt selbst in Pakistan als ebenso unzugängliche wie gefährliche Region, aber auch dort kommen die Menschen zusammen, um gemeinsam zu Abend zu essen. Auf einem Gehöft nahe der Ortschaft Mir Ali hatten sich mutmaßliche Islamisten versammelt, als ein amerikanisches Geschoss einschlug, abgefeuert von einer Drohne, einem unbemannten Flugzeug. Zehn mutmaßliche Islamisten wurden getötet, acht von ihnen sollen aus Deutschland stammen. Diese Informationen kommen vom pakistanischen Geheimdienst und sind von deutschen Behörden bisher nicht bestätigt worden. Schon am letzten Wochenende meldeten amerikanische Medien, dass Islamisten Deutschland und sogar konkrete Ziele im Visier haben. Auch in Deutschland besteht die Gefahr terroristischer Anschläge, das ist nicht neu. Wie konkret ist diese Gefahr?

    Nun bin ich mit dem Bundesinnenminister, mit Thomas de Maizière (CDU), verbunden. Guten Morgen!

    Thomas de Maizière: Guten Morgen!

    Herter: Herr de Maizière, Sie haben Anfang der Woche erklärt, es gebe derzeit "keine konkreten Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge in Deutschland". Würden Sie und könnten Sie die Öffentlichkeit denn unterrichten, wenn es solche Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Anschläge in Deutschland gebe?

    de Maizière: Das ist eine hypothetische Frage. Im Moment ist die Lage so, dass wir viele Hinweise haben - auch von unabhängigen Quellen - über Aktivitäten im pakistanischen Grenzgebiet, oder Planungen für Deutschland. Wir gehen jedem dieser Hinweise nach, wir fahren die Maßnahmen intern hoch, wir sind in engstem Kontakt mit unseren Partnern. Aber wir arbeiten mehr und ernsthaft, als dass wir laut darüber reden, und es gibt keinen operativen Anfasser, um das mal so zu sagen. Wie ich reagieren würde, wenn es ihn gäbe, das hängt ab von der Sicherheitslage, wie ich sie einschätze, denn die Sicherheitslage und die Abwehr der Gefahr von der Bevölkerung hat Vorrang gegenüber öffentlichen Erklärungen und der Frage, wie man damit taktisch aussieht.

    Herter: Deshalb greifen Sie wie Ihr Vorgänger, wie viele Sicherheitsbehörden in Deutschland auf Begriffe wie "abstrakte Gefahr" und "konkrete Gefahr" zurück. Hilft uns das aber weiter?

    de Maizière: Es ist nicht die Frage, wem das irgendwie weiterhilft, sondern diese Begriffspaarung soll zum Ausdruck bringen, dass niemand sich darüber täuschen darf, dass auch Deutschland Zielgebiet von Terroristen ist, dass aber andererseits es keine konkrete, unmittelbar bevorstehende Anschlagsplanung der Art gibt, dass sie uns bekannt wäre. Deswegen tun wir aber nichts und warten, bis es das gibt, sondern wir versuchen, die verschiedenen Informationsstränge, die es gibt – es gibt ja auch Verhaftungen in der Türkei, in Pakistan, zum Teil auch mit unserem Zutun ...

    Herter: Auch in Frankreich!

    de Maizière: In Frankreich gibt es solche, aber die stehen jetzt nicht in diesem Zusammenhang ... , versuchen wir nun Verbindungen herzustellen zu den sogenannten Gefährdern, die bei uns leben, mit den Kontakten, die sie hatten, mit Reisebewegungen, um gegebenenfalls daraus etwas Konkretes zu ermitteln. Das ist, wenn Sie so wollen, Hochleistungsarbeit, die findet statt, aber sie ist intern und zum jetzigen Stadium muss sie auch intern bleiben.

    Herter: Ist die abstrakte Gefahr aber nicht deutlich gestiegen, dadurch, dass Islamisten, die in Pakistan ausgebildet worden sind, nach Deutschland zurückkehren?

    de Maizière: Wir haben in der Tat verstärkte Reisebewegungen aus Deutschland hinaus und wieder nach Deutschland zurück. Nicht alle davon kennen wir, viele davon kennen wir, wir haben auch viele dieser Reisebewegungen unterbunden. Manche kommen frustriert zurück, manche kommen ausgebildet zurück, was immer das heißt. Das haben wir alles im Blick. Aber es gibt kein Fieberthermometer der Gefahr, das gibt es nicht. Deswegen: Ich kann nur herzlich darum bitten, uns abzunehmen, dass die Sicherheitsbehörden mit Hochdruck, mit Professionalität, mit der Verbindung all der Erkenntnisse, die in den vergangenen Jahren gesammelt worden sind, dass wir mit Hochdruck arbeiten, dass aber die Neugier, die verständliche Neugier nicht befriedigt werden kann.

    Herter: Die USA haben ihre Bürger vor Reisen nach Europa und Deutschland gewarnt.

    de Maizière: Nein!

    Herter: Großbritannien hat das auch getan, Kuwait und Australien inzwischen auch.

    de Maizière: Nein, das stimmt nicht. Sie haben gerade nicht gewarnt. Es war eine Warnung erwogen worden. Es gibt Reisehinweise. Eine Reisewarnung hieße, bitte reist nicht nach Deutschland und Europa. Das ist nicht der Fall, sondern es gibt Hinweise, wenn ihr reist, seid bitte vorsichtig und passt auf. Das ist ein großer Unterschied.

    Herter: Aber die gibt es nicht ohne Grund, diese Hinweise?

    de Maizière: Nein, die gibt es nicht ohne Grund. Wir haben auch entsprechende Reisehinweise. Wenn Sie mal den Hinweis von Großbritannien auf Frankreich ansehen, das kann man im Internet mal tun, dann ist allerdings der Reisehinweis für Korsika ungefähr dreimal so lang wie im Bezug auf Terrorismus. Also das darf man auch alles nicht überschätzen, nicht unterschätzen. Wir nehmen das alles sehr ernst. Aber öffentliche Begleitmusik ist auch etwas, was Terroristen nützt, weil sie ja gerade Angst verbreiten wollen. Wir arbeiten und reden nicht viel.

    Herter: Können Sie bestätigen, dass acht Deutsche im Norden Wasiristans durch einen amerikanischen Luftangriff getötet worden sind?

    de Maizière: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Solche Drohnenangriffe werden generell nicht bestätigt. Ich möchte auch erst das ein bisschen genauer sehen. Was mich sehr erstaunt ist, dass angeblich vorgestern dieser Angriff gewesen sein soll in einem unzugänglichen Gebiet durch unbemannte Drohnen, und man zugleich Ausweise findet. Das passt noch nicht recht zusammen, das müssen wir erst noch aufklären.

    Herter: Auf der anderen Seite wissen die Amerikaner ganz genau, wo sie angreifen und wer da sich aufhält.

    de Maizière: Sie wissen vermutlich, dass dort Terroristen sind. Ob sie sie namentlich und so genau kennen, das weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir dazu keine Bestätigung. Ich halte das für möglich, aber nicht für bestätigt.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen", Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei uns im Interview.

    Herr de Maizière, so viel zu den terroristischen Bedrohungen. Unabhängig davon hat die Debatte über die Ermittlungsmöglichkeiten der deutschen Polizei wieder an Fahrt aufgenommen. Es geht um die Vorratsdatenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat ein entsprechendes Gesetz verworfen. Kann das so bleiben?

    de Maizière: Das Bundesverfassungsgericht hat das bisherige Gesetz verworfen, aber zugleich gesagt, dass unter bestimmten Bedingungen, die auch präzise genannt worden sind, eine solche Maßnahme von Speicherung von IP-Adressen und Verbindungsdaten bei den Telekommunikationsunternehmen, nicht beim Staat, möglich und zulässig ist. Ich glaube, dass wir ohne diese Maßnahme eine erhebliche Schutzlücke haben, dass schwere Kriminalität nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt werden kann, und deswegen dränge ich auf eine Neuregelung.

    Herter: Was hat Sie davon überzeugt, dass es da eine Schutzlücke gibt?

    de Maizière: Die Verbindungsdaten waren früher dafür da, dass die Telekommunikationsunternehmen Rechnungen geschrieben haben, damit man eben wusste, wie viel wurde telefoniert, und dann konnte man eine Rechnung ausstellen. Das wissen Ihre Hörer. Inzwischen haben fast alle eine Flatrate. Das heißt, es wird gar nichts mehr an Verbindungsdaten gespeichert, sondern pauschal etwas bezahlt. Das macht es nicht mehr möglich, sogar auch nicht bei einem sogenannten Quick-Freeze-Verfahren in vielen Fällen, festzustellen, wer hat telefoniert. Wenn ein Selbstmord angekündigt wird, wenn ein Amoklauf angekündigt wird, wenn man später Hinweise auf schwerste Kriminalität bekommt, die nur im Internet ausgeführt wird, dann gibt es keinen oder so gut wie keinen Ermittlungsansatz, und das, denke ich, geht nicht.

    Herter: Werden Sie es damit auf einen Streit mit Ihrem Koalitionspartner, der FDP, ankommen lassen?

    de Maizière: Nein, das ist kein Streit, sondern ich werbe um eine Lösung. Wir haben auch eine Verpflichtung der Europäischen Union, eine entsprechende Richtlinie umzusetzen, und das diskutieren wir in der Koalition, hoffentlich mit dem Ziel, schnell ein gutes, auch für alle Koalitionspartner verträgliches Ergebnis zu erzielen.

    Herter: Wie lange müssen die Daten gespeichert werden?

    de Maizière: In der europäischen Richtlinie steht sechs Monate bis zwei Jahre. Der deutsche Gesetzgeber hatte ohnehin die Mindestspeicherfrist von sechs Monaten vorgesehen.

    Herter: Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Deutschlandfunk-Interview. Besten Dank für das Gespräch, Herr de Maizière.

    de Maizière: Alles Gute für Sie!