Donnerstag, 28. März 2024

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"Es gibt keine Blankoschecks"

SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen schließt einen Abbruch der Planungen für den Marine-Einsatz vor der libanesischen Küste nicht aus. Wenn das Engagement nicht gewünscht werde oder die Voraussetzungen nicht stimmten, "dann wird sich Deutschland nicht aufdrängen", sagte Annen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages.

Moderation: Doris Simon | 08.09.2006
    Doris Simon: Anfangs klang es so: Deutsche Marineschiffe sollten vor der libanesischen Küste den Waffenschmuggel unterbinden, notfalls mit Waffengewalt. Aber die Anfrage der libanesischen Regierung an die Vereinten Nationen lautet wohl deutlich anders. Was genau drinsteht, ist nicht bekannt, aber der libanesische Transportminister sagte gestern, deutsche Soldaten sollten nur dann Schiffe kontrollieren, wenn die libanesische Armee sie darum bitte und auch das nur außerhalb der Sieben-Meilen-Zone. Vor der Küste will die libanesische Armee selber patrouillieren. Um diese neuen Bedingungen ging es auch in den Gesprächen, die Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern in Beirut geführt hat.

    Am Telefon ist nun Niels Annen, für die SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Ich grüße Sie!

    Niels Annen: Schönen guten Morgen!

    Simon: Herr Annen, werden Sie auch unter diesen Umständen für einen Einsatz der Bundeswehr stimmen?

    Annen: Sie haben eben gerade selber gesagt, dass die genaue Anforderung noch nicht bekannt ist. Das geht mir auch so. Wir werden das als Abgeordnete sehr genau prüfen. Das Procedere im Deutschen Bundestag ist vollkommen klar. Die Bundesregierung muss jetzt verhandeln, muss sich über die Voraussetzungen informieren, dann eine Entscheidung treffen. Diese Entscheidung wird sie uns zuleiten. Dann wird sich der Bundestag die Zeit nehmen, das genau zu prüfen. Ich schließe das nicht aus, aber ich kann keine Ferndiagnose anstellen. Deswegen muss man jetzt erst mal abwarten.

    Simon: Herr Annen, welche Voraussetzungen sind denn bei der Kontrolle für Sie unabdingbar für einen deutschen Einsatz, oder geht es ums Prinzip?

    Annen: Nein. Es ist natürlich so, dass wir zunächst die Zustimmung aller beteiligten Konfliktparteien brauchen. Das ist die Grundvoraussetzung. Dieses Mandat, was ja die UNO-Resolution 1701 hergibt, beschreibt ja einen Weg, den fragilen Friedensprozess und den fragilen Waffenstillstand zu stabilisieren. Wir wollen eine nachhaltige Lösung. Und wenn die Bundeswehr dort helfen kann, dann glaube ich, werden wir auch eine große Mehrheit bei uns in Deutschland für so einen Einsatz bekommen. Es geht aber natürlich auch darum, dass die Soldatinnen und Soldaten, die gegebenenfalls vor die libanesische Küste entsandt werden, klare Einsatzregeln bekommen, für den Selbstschutz, aber eben auch für die Durchsetzung des Mandates. Das muss gewährleistet sein, und das werden wir uns dann wie gesagt, sobald die Informationen im Detail vorliegen, sehr genau angucken und prüfen.

    Simon:! Das klingt aber so, dass Sie sich vorstellen könnten, auch unter Umständen deutsche Marineschiffe außerhalb der Sieben-Meilen-Zone nur zu haben?

    Annen: Ich würde das nicht grundsätzlich ausschließen, wenn die Israelis damit einverstanden sind und wenn die so genannten "rules of engagement", die eben auch beschreiben, was in einer schwierigen Konfliktsituation dann deutsche Soldatinnen und Soldaten dürfen, eindeutig geregelt sind. Und ich kann mir - das will ich allerdings auch sagen - schwer vorstellen, dass es erst eine Kabinettssitzung in Beirut geben muss und sich die libanesische Regierung einigt, ob man ein Schiff, das möglicherweise Waffen enthält, dann anhalten darf oder nicht. Das wäre eine aus meiner Sicht politisch, aber wahrscheinlich auch militärisch nicht besonders sinnvolle Lösung.

    Simon:! Das heißt, das wäre bei Ihnen dann auch ein Punkt, wo Sie sagen, wenn es so ist, dann besser nicht?

    Annen: Es gibt keine Blankoschecks, und der deutsche Beitrag bezieht sich nicht nur auf die Entsendung von Marinebooten, sondern wir haben ganz klar gesagt, wir möchten den politischen Prozess unterstützen. Wir wollen politisch die libanesische Regierung stärken, die dabei ist, das erste Mal ihre Autorität über das gesamte Land auszudehnen, die jetzt die Armee in den Süden entsandt hat. Wir sind dabei, Wiederaufbauhilfe zu leisten, die Infrastruktur wieder herzustellen. Helferinnen und Helfer des THW sind dort. Eine militärische Beteiligung reiht sich ein in diese umfassenden politischen Bemühungen. Wenn allerdings das nicht gewünscht wird oder die Voraussetzungen nicht stimmen, dann wird sich Deutschland nicht aufdrängen.

    Simon: Sind Sie dafür, das Mandat für den deutschen Einsatz zeitlich zu befristen?

    Annen: Ich denke, dass wir über diese Frage auch reden müssen, aber wir haben eine andere Situation, als wir sie beispielsweise im Kongo haben, wo es eine Wahl abzusichern gilt, wo es eine klare Periode gibt, in der die deutsche Truppenpräsenz dort sinnvoll ist. Aber auch das ist eine Frage, die der Auswärtige Ausschuss dann beraten wird. Ich bin mir nicht sicher, ob man sagen wird, wir machen das nur zwei oder drei Monate. Wenn man sich ein wenig beschäftigt hat mit den Konfliktlinien im Nahen Osten, dann glaube ich muss man so ehrlich sein, auch eine längere Beteiligung, ein längeres Engagement zumindest nicht auszuschließen. Ich glaube die Bürgerinnen und Bürger wollen an dieser Stelle auch eine Klarheit haben. Man muss also ehrlich damit umgehen. Wenn man sich dort engagiert, dann kann das auch ein längeres Engagement bedeuten.

    Simon: Das heißt wenn Sie von Engagement sprechen und länger, dass das aber in dieser Region auch Jahre dauern kann?

    Annen: Ich will jetzt nicht spekulieren. Ich will nur sagen, wenn Deutschland sich beteiligt - und die Bereitschaft besteht und das unterstütze ich politisch ausdrücklich -, dann kann das auch bedeuten, dass sich das über eine längere Strecke hinzieht. Das ist keine Forderung, sondern das ist einfach eine Feststellung, wenn man sich die konfliktreiche Situation dort unten anschaut.

    Ich will aber auch klar machen: Wir müssen als Deutsche ein Interesse daran haben, dass eine Region, in der es seit 1948 etwa alle sechseinhalb Jahre einen Krieg gegeben hat, befriedet wird. Es ist eine Region, die nur knapp dreieinhalb Flugstunden von uns entfernt liegt, die für Instabilität in einer wichtigen, auch für uns wichtigen Weltregion sorgt. Deswegen denke ich, ist ein deutsches Engagement angebracht. Ich will es aber wiederholen: Es geht nicht nur um militärisches Engagement.

    Simon: Herr Annen, wann rechnen Sie mit einer Abstimmung und wann mit dem Einsatz? Ist das abzusehen?

    Annen: Das liegt nicht in der Hand des deutschen Parlamentes, sondern das muss jetzt dort diskutiert werden. Die so genannten "rules of engagement" müssen vereinbart werden, und dann ist es die Entscheidung der Bundesregierung, wann sie zu einer Sitzung zusammentrifft, um das Mandat zu beschließen. Ich denke, dass das Parlament bereit ist, jeder Zeit sich mit so einer Situation zu befassen. Also ist eine Sondersitzung nicht ausgeschlossen. Aber wie gesagt, das ist die Entscheidung der Bundesregierung.

    Simon: Der deutsche Einsatz, der europäische Einsatz jetzt im Libanon, wird der auch in der Zukunft, wenn es zum Beispiel bei Gesprächen zwischen Israel und den Palästinensern ans Eingemachte geht, sich in irgendeiner Form auszahlen in Punkto Gewicht?

    Annen: Mein Eindruck ist, dass wir als Deutsche die Möglichkeit haben, aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen der letzten Jahre - einmal natürlich der uneingeschränkten Solidarität mit unseren israelischen Freunden, das wissen unsere arabischen Gesprächspartner , dass wir uns immer dafür einsetzen werden, dass Israel in sicheren Grenzen leben kann, dass wir das Existenzrecht nicht in Frage stellen, wir aber auf der anderen Seite uns auch immer eingesetzt haben für die legitimen Rechte der Palästinenser, wir beispielsweise in den letzten Jahren vermitteln konnten, wenn es um solche schwierigen Dinge wie Gefangenenaustausch oder Ähnliches ging. Und vergessen Sie nicht, dass Deutschland keine koloniale Erfahrung im Nahen Osten hat. Wir sind dort sozusagen nicht als vorbelastete Macht von außen wahrgenommen worden. All diese Aspekte bringen uns dazu, eine Rolle dort im Nahen Osten spielen zu können, eine positive Rolle. Wenn das gewünscht wird, dann, glaube ich, bestehen diese Möglichkeiten. Aber es ist ein schwieriger Weg und wir müssen ihn mit den Partnern zusammen gehen. Ich glaube, dass unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier Recht hat, wenn er den Versuch unternimmt, die unterschiedlichen Konflikte, die dort vorherrschen, zusammenzudenken und dass wir uns um eine umfassende Friedenslösung bemühen. Ich glaube, das ist der Weg, der letztlich gegangen werden muss. Der ist mühsam. Dort wird es auch Rückschläge geben. Aber er ist auch letztlich alternativlos.

    Simon: Aber Herr Annen ganz konkret: Wenn es ans Eingemachte ging, hat man bis jetzt in der Region nur auf die USA gehört. Wird sich daran etwas ändern?

    Annen: Ich will offen sagen, dass ich den Eindruck habe, dass das mangelnde Engagement der Bush-Administration in den letzten Jahren leider dazu geführt hat, dass die Autorität der Amerikaner dort schwer angeschlagen ist. Wir alle leiden darunter, weil es letztlich ohne den amerikanischen Beitrag nicht gehen wird. Das bedeutet aber auch für die Europäer, dass sie jetzt eine stärkere Verantwortung übernehmen müssen. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass die katastrophalen Auswirkungen des Irak-Krieges natürlich auf die Menschen in dieser Region eine wirklich verheerende Wirkung haben. Auch dort hat Deutschland eine gewisse Glaubwürdigkeit, weil wir uns eben richtigerweise nicht an diesem Krieg beteiligt haben.

    Simon: Herr Annen, Hisbollah und Hamas sind Organisationen, die Terror gebrauchen und deshalb im Westen geächtet sind. Sie stellen aber zum Beispiel im Libanon Minister und in Palästina die Regierung, und viele Menschen in der Region betrachten Hisbollah und Hamas als ihre einzigen Interessensvertreter. Muss es Ihrer Meinung nach bald auch Gespräche geben mit Hisbollah und Hamas, so wie es auch zum Beispiel Gespräche mit Syrien gibt?

    Annen: Zunächst mal ist es, glaube ich, notwendig, dass man diese Bewegung Hisbollah, Hamas sehr genau analysiert. Es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass die Hisbollah diesen Krieg ausgelöst hat. Unsere Forderung an die Hisbollah ist, auch die beiden israelischen Soldaten bedingungslos freizulassen. Das will ich vorwegschieben, damit es dort keine Missverständnisse gibt. Die Hisbollah steht aber im Übrigen nicht auf der Terrorliste der Europäischen Union. Sie ist eine Terrororganisation, eine Miliz, die Gewalt anwendet, was wir verurteilen. Sie ist gleichzeitig aber auch eine wichtige, die wichtigste politische Bewegung der Schiiten im Libanon. Wer eine Lösung erreichen will, der darf diesen Faktor nicht ignorieren. Ich glaube, dass es keine erfolgreiche Politik von Seiten der Amerikaner war in den letzten Jahren, mit problematischen Regimen - das bezieht sich auf Staaten wie Syrien, wie den Iran, aber eben auch auf Bewegungen wie Hamas oder Hisbollah -, überhaupt nicht mehr zu sprechen. Deswegen müssen wir diese Sprachlosigkeit überwinden, wenn wir eine Lösung finden wollen.

    Simon: Das heißt, Sie wären für einen Vorstoß der Europäer in dieser Sache?

    Annen: Ich bin für einen Vorstoß der Europäer in dieser Sache, und wir sind ja auch dabei, dort entsprechende Kontakte, die es gibt, auch zu nutzen. Wie gesagt, die Hisbollah steht nicht auf der Terrorliste. Gesprächen steht grundsätzlich deswegen nichts im Wege. Aber es ist natürlich auch so, dass die politischen Voraussetzungen dafür stimmen müssen. Ich würde nicht dafür plädieren, sich aus Prinzip nur um des Austausches Willen zu treffen, sondern es muss natürlich eine politische Bereitschaft existieren, sich konstruktiv an einer solchen Lösung zu beteiligen. Wenn das gesichert ist, dann würde ich auch sagen, müssen sich die Europäer ins Benehmen setzen und müssen, weil wir einen Frieden erreichen wollen, dann auch zu einem Dialog bereit sein.

    Simon: Haben Sie denn eine solche Dialogbereitschaft bei Ihren Besuchen im Libanon feststellen können?

    Annen: Es gibt eine interessante Entwicklung. Wer sich die Reden von Herrn Nasrallah, dem Führer der Hisbollah, anguckt, der wird feststellen, dass er selber die Entführung der beiden israelischen Soldaten inzwischen als einen Fehler bezeichnet.

    Simon: Aber vielleicht auch nur einen taktischen Fehler?

    Annen: Das ist der zweite Punkt, den ich gerade anfügen wollte. Wir wissen nicht, ob es sich bei solchen wie gesagt interessanten Äußerungen, die sich auch darauf beziehen, dass er bisher den Staat Libanon als zu schwach angesehen hat, und dass er sich jetzt dafür einsetzen möchte, eine stärkere staatliche libanesische Autorität herbeizuführen, um taktische Äußerungen handelt, oder ob es möglicherweise wirklich eine ernst gemeinte Äußerung gewesen ist. Es lohnt sich aber, das herauszufinden.

    Simon: Das war Niels Annen, für die SPD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Annen, danke für das Interview und auf Wiederhören.

    Annen: Bitteschön.