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"Es herrscht schon eine große Anspannung"

Kairo befindet sich im Ausnahmezustand. Auch etwa 7000 Deutsche leben in Ägyptens Hauptstadt - darunter Lotte Sanwald, die etwa 30 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums wohnt. Zum Informationsfluss vor Ort sagt sie, man wisse nicht genau, was wirklich passiert und was Gerüchte sind.

Lotte Sanwald im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.01.2011
    Jasper Barenberg: Viele Menschen werden auch heute wieder auf die Straßen von Kairo gehen. Hinzu kommen aber auch Berichte über Plünderungen und über Brandstiftungen und damit die Sorge, das Land könne vollends im Chaos und in Anarchie versinken. Diese Sorge treibt natürlich auch die etwa 7000 Deutschen um, die in der Hauptstadt Ägyptens leben und arbeiten, und zu ihnen zählt Lotte Sanwald. Mit ihren zwei Kindern hat sie ihren Mann nach Kairo begleitet. Sie lebt dort seit einiger Zeit etwa 30 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums und jetzt ist sie am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Frau Sanwald.

    Lotte Sanwald: Guten Morgen.

    Barenberg: Frau Sanwald, haben Sie Angst um Ihre Familie, um sich und um Ihre Familie?

    Sanwald: Angst würde ich jetzt nicht sagen, das ist vielleicht übertrieben, aber es herrscht schon eine große Anspannung und man kann die Situation einfach schwer einschätzen. Man bekommt viele Informationen, vieles sind Gerüchte und man weiß nicht genau, was wirklich passiert und in welche Richtung es geht, und das ist, glaube ich, das, was die Anspannung ausmacht.

    Barenberg: Die Anspannung, sagen Sie, hängt auch damit zusammen, dass es Schwierigkeiten gibt, sich überhaupt über die Lage ein Bild zu machen. Was sind das denn für Informationen, die Sie erhalten? Wie informieren Sie sich über das, was überhaupt vorgeht?

    Sanwald: Die Informationen kommen größtenteils von Verwandten aus Deutschland, die aber natürlich auch nur die Medien haben, die sie informieren. Vieles bekommen wir dann eben von Bekannten und Freunden über Telefon mit. Davon ist dann aber auch vieles Gerüchte. Man hört, man hat gehört, der hat was gesehen, und man kann schwer einschätzen und muss versuchen, die Ruhe zu bewahren. Ich denke, das ist das wichtigste, nicht in Panik zu geraten, weil hier draußen ist nicht wirklich konkret was passiert. Man hört Schüsse, man sieht die Armee, die ist hier vor Ort recht präsent, aber es ist jetzt noch nicht wirklich was passiert, was einen jetzt in Angst und Schrecken versetzen würde.

    Barenberg: Sie leben in einem sogenannten Gated Compound, das heißt in einem Wohngebiet, um das es einen Zaun gibt. Haben Sie sich denn in den letzten Tagen seit Beginn der Proteste geschützt gefühlt von den Behörden, von den Sicherheitskräften des Landes?

    Sanwald: Ja. Hauptsächlich geschützt hat man sich gefühlt von den Bewohnern dort, die alle abends sich mit allem was sie haben bewaffnen und auf die Straße gehen und Straßensperren errichtet haben und dort die ganze Nacht in Schichten warten und so auch eine gewisse Sicherheit garantieren.

    Barenberg: Wie ist denn der Kontakt zur deutschen Botschaft, zum Auswärtigen Amt in Berlin?

    Sanwald: Nach Berlin ist der Kontakt ganz gut, aber die Informationen, die wir dort bekommen, sind eben auch immer sehr zwiespältig. Es gibt den Hinweis, das Land zu verlassen, was natürlich auf eigene Faust nicht ganz einfach ist, aber wirklich Pläne einer Evakuierung oder so etwas gibt es nicht.

    Barenberg: Sie haben gesprochen von Bürgern, die sich zusammenschließen zu Wehren, um die Wohngebiete zu schützen. Haben Sie denn von den Plünderungen und von den Brandstiftungen, von denen wir hier lesen, etwas mitbekommen? Ist das auch bei Ihnen vorgekommen?

    Sanwald: Ja. Heute Nacht war es recht ruhig, aber vorgestern Nacht - es kommt mit der Dunkelheit. Sobald es hell ist, ist alles in Ordnung und die Menschen sind auch ganz gelassen und ruhig, und wenn es dunkel wird, merkt man dann schon eine Nervosität, und dann hatten wir auch gehört, dass sie bei uns in den Markt eingebrochen sind, in die Märkte. Man versucht dann, sie wieder zu vertreiben, aber es ist diese Ungewissheit, ob jemand kommt und wann jemand kommt, natürlich schon bewusst.

    Barenberg: Wovon, Frau Sanwald, machen Sie abhängig, ob Sie Ägypten in den nächsten Tagen verlassen?

    Sanwald: Die Uni hat gestern organisiert, dass die, die raus möchten, abgeholt werden, und im Moment sind wir auch auf dem Weg zum Flughafen, stehen natürlich hier im Stau. Wir sind auf einer Liste, aber ob der Flug kommt und ob der Flug geht und wann er geht, ist alles ungewiss.

    Barenberg: Dann Ihnen zunächst mal alles Gute. Vielen Dank für das Gespräch Lotte Sanwald. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern seit einiger Zeit in einem Außenbezirk von Kairo und versucht, jetzt ein Flugzeug zurück nach Deutschland zu bekommen. Danke für das Gespräch!