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"Es ist also sicherlich so, dass Frau Palin da Geister gerufen hat"

Publizist Stefan M. Prystawik ordnet das Attentat auf die jüdische US-Politikerin Gabrielle Giffords als Einzeltat ein, die Ursache aber sieht er in den rechten Politikströmungen des Landes - und bei deren Ikone Sarah Palin.

10.01.2011
    Friedbert Meurer: Die US-Politikerin Gabrielle Giffords wollte am Samstag vor einem Supermarkt in Tucson, Arizona eine Bürgersprechstunde abhalten. Aber bevor sie überhaupt anfangen konnte, feuerte ein 22-Jähriger mit einer halbautomatischen Waffe auf die Demokratin, die Mitglied im Abgeordnetenhaus, im Kongress also in Washington ist. Giffords hat schwer verletzt überlebt, sechs andere dagegen nicht, unter anderem ein neunjähriges Mädchen. Sie alle starben im Kugelhagel.
    Stefan Prystawik ist Publizist, er war 2008 Deutschland-Pressesprecher des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner in den USA, John McCain, und der hat, wir erinnern uns, Sarah Palin, die Ikone der Tea-Party, zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin gemacht. Guten Morgen, Herr Prystawik.

    Stefan M. Prystawik: Guten Morgen!

    Meurer: Kann man das die Tat eines Verrückten nennen und damit abtun, was in Tucson passiert ist, oder war es ein politisches Attentat?

    Prystawik: Na ja, nicht ganz. Es zeigt sich jetzt wohl schon, dass der Schwerpunkt wohl in den Extremismus und auch in der psychischen Instabilität des Täters liegt, aber andererseits ist es sicherlich schon das Umfeld, was solche Handlungen erst, ich will nicht sagen ermöglicht, aber zumindest die Denkströme von Extremisten sicherlich dahin lenkt, zu solchen Taten.

    Meurer: Was ist das für ein Umfeld?

    Prystawik: Das Umfeld ist sicherlich in diesem Fall der rechte Rand, auch das, was in der öffentlichen Diskussion jetzt angeprangert wird. Eben haben wir es gehört. Der Sheriff Doupnik hat übrigens gesagt "vitriolic rhetoric", das heißt also nicht notwendigerweise hasserfüllte Rhetorik, sondern vor allen Dingen ätzendes Gewäsch. Der Mann war außer sich über das, was in den Medien täglich eigentlich aufbereitet wird. Ich habe es vor Kurzem selbst noch in den USA gehört. Es ist einfach ein Grabenkampf zwischen den politischen Lagern entstanden, wo alltäglich eine Wortwahl stattfindet, die einen wirklich erschrecken kann.

    Meurer: Nehmen wir mal ein paar Beispiele vom rechten Rand, Herr Prystawik. Sharon Angel von der Tea-Party wollte Senatorin für die Republikaner in Nevada werden und sie hat vor ziemlich genau einem Jahr in einem Interview davon gesprochen, dass es sozusagen ein Recht auf bewaffneten Widerstand gegen die Regierung in Washington gibt. Wie kann das möglich sein, dass eine Politikerin so etwas sagen darf?

    Prystawik: Ja, möglich ist das dadurch, dass wir ja das First Amendment haben in den USA. Das heißt, der erste Verfassungszusatz verbrieft, dass man wirklich frei alles äußern kann, und zwar alles. Wir haben da sicherlich in Europa häufig eine Schere im Kopf an der Stelle.

    Meurer: Man darf zur Gewalt aufrufen in den USA?

    Prystawik: In gewissen Grenzen durchaus, ja. So ein Zitat wird man sicherlich rechtlich nicht einen Gewaltaufruf im Sinne von einer strafbaren Handlung anhängen können. Das ist nach US-Recht sicherlich so. Inwieweit so was ausgenutzt wird, um natürlich primär Wählerstimmen zu bekommen, ist das eine. Nur wir sehen hier natürlich auch, wurde dort ja auch hinlänglich zitiert, was für Auswirkungen das auf "instabile Persönlichkeiten" hat. Was wir hier natürlich sehen ist: Es läuft ja wohl darauf hinaus, dass es ein Einzeltäter ist. Alle einschlägigen Gruppen, die da vom DHS, also von der Heimatschutzbehörde überprüft wurden, sagen auch, er sei nicht Mitglied gewesen bei antisemitischen Gruppen oder weißen Überlegenheitsgruppen, oder was es da für Spinner gibt. Dennoch ist es wohl das, was den Täter umgetrieben hat und wodurch er sich da aufgefordert fühlte.

    Meurer: Dieser Antisemitismus-Vorwurf kommt dadurch, weil die Abgeordnete Giffords Jüdin ist. – Ich will noch ein zweites Beispiel herauspicken, Herr Prystawik, nämlich die Ikone der Tea-Party, Sarah Palin. Zwei Dinge von ihr. Auf Facebook hat sie den Wahlkreis von Frau Giffords mit einem Fadenkreuz markiert und vielleicht haben einige noch im Ohr, wie endlos oft sie im Wahlkampf vor dem November gerufen hat, nicht nachgeben, nachladen. Welche Wirkungen können solche Sätze haben?

    Prystawik: Ja, natürlich fatale Wirkung insbesondere auf solche Leute, die da nicht den übertragenen Sinn drin sehen, sondern eine direkte Handlungsanweisung. Das ist natürlich im Nachhinein einfach nur furchtbar. Es war nicht allein der Wahlkreis von Frau Giffords, was übrigens stimmt. Das war auch einer der Punkte, der mich da besonders geschockt hat, dass sie wirklich die einzige jüdische Abgeordnete ihres Bundesstaates ist. Es ist einfach so, dass hier dieser Gewaltaufruf beziehungsweise dieses Markieren von Wahlkreisen mit einem Fadenkreuz, was man allerdings, na ja, gut, nicht überinterpretieren sollte, das wird häufig so gemacht, wenn etwas herausgehoben werden soll. Man kann da über Geschmack streiten. Kurzum: Es ist also sicherlich so, dass Frau Palin da Geister gerufen hat, die man möglicherweise nicht mehr los wird an der Stelle. Das stimmt.

    Meurer: Sie haben 2008 für John McCain gearbeitet. John McCain ist nun ein gemäßigter Republikaner. Er hat, um, ich sage jetzt mal, den rechten Flügel zu bedienen, Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin gemacht. Wie war denn sein Verhältnis zu ihr?

    Prystawik: Sein Verhältnis ist meinen Informationen zufolge gut gewesen, also durchaus vertrauensvoll, wobei man sagen muss, dass es natürlich große politische Unterschiede gibt. Die republikanische Partei, ebenso wie die Demokraten umfassen natürlich als große Teilparteien des US-Spektrums eine sehr viel größere Wählerschaft und Meinungsbreite. John McCain ist allemal ein gemäßigter Mann, immer gewesen, aber er ist natürlich auch ein alter politischer Fuchs. Und was er da versucht hat in 2008 ist nicht nur, den "rechten Rand" zu bedienen, sondern er hat natürlich das versucht, was auch hier jeder Mehrheitspolitiker macht. Er hat versucht, Extremisten einzubinden, zu versuchen, diese Gruppen oder Bewegungen in den politischen Mainstream zu holen, um sie eben auch kontrollieren zu können, damit genau das, was wir jetzt haben, nicht passieren kann.

    Meurer: Darf dieser Versuch als gescheitert gelten?

    Prystawik: Dieser Versuch durfte schon als gescheitert gelten mit der verlorenen Wahl. Natürlich können sie politisch nur bedingt aus der Opposition kontrollieren, und wir kennen es aus unserem eigenen politischen Umfeld hier in Deutschland, dass die Diskussionsbreite und die Aufgeregtheiten im Umfeld einer Oppositionspartei tendenziell immer deutlich größer sind als in der Regierung selbst.

    Meurer: Der Sheriff von Touson ist ja eben im Beitrag zitiert worden, der appelliert hat, so dürfen wir nicht weitermachen. Ein Zitat von ihm: "Wir sind zu einem Mekka des Hasses und der Vorurteile geworden."

    Prystawik: Richtig.

    Meurer: Wie konnte es so weit kommen?

    Prystawik: Das habe ich mir auch rausgeschrieben: "Arizona ist zum Mekka der Voreingenommenheit und Engstirnigkeit geworden", hat er wörtlich gesagt, das mit dem Hass natürlich auch noch dazu.

    Meurer: Also gerade Arizona? In diesem Bundesstaat ist es besonders schlimm, oder?

    Prystawik: Ja, nun, in Arizona, da kommen natürlich verschiedene Sachen hinzu. Ich will mich als Mann der Ostküste nicht zum Spezialisten des Südwestens hier stilisieren, aber ich kann Ihnen sagen, es ist natürlich sehr provinziell, es liegt an der mexikanischen Grenze, die Debatten um Einwanderung, insbesondere illegale Einwanderung werden hochgespült, es ist natürlich strukturschwach, sodass man sagen kann, dass gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Aber es ist einfach auch so, dass die tägliche politische Diskussion immer schärfer wird und immer unangenehmer. Ich verfolge das jetzt aus Texas mit, wo wir ein Büro haben. Wir kriegen täglich Post, wo von merkwürdigen Gruppen Umfragen erhoben werden, oder man soll Kampagnen, was in Amerika üblich ist, an den Kongress in Washington Petitionen schicken, was alles die Illegalen nicht dürfen und wieso und warum. Diesen Ton und dieses Alltägliche, was auch jeder Bürger spürt, das habe ich eigentlich so noch nie erlebt. Das muss ich sagen.

    Meurer: Stefan Prystawik zum Attentat vom Samstag. Er war 2008 Deutschland-Pressesprecher des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner John McCain. Herr Prystawik, danke für das Interview und auf Wiederhören.

    Prystawik: Auf Wiederhören.

    Sechs Tote bei Attentat auf demokatische Abgeordnete in Arizona - Giffords in kritischem Zustand