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"Es ist die Zeit der Symbole"

Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimaforschung hat den jüngsten Bericht des Weltklimarats als "in jeder Hinsicht erschreckend" bezeichnet. Es bleibe daher nicht mehr viel Zeit zum Umsteuern, warnte Schellnhuber. Doch anstatt die Aufgabe kraftvoll und entschlossen anzugehen, verliere man sich viel zu oft in skurrilen Randdiskussionen.

Moderation: Jürgen Zurheide | 07.04.2007
    Jürgen Zurheide: Der Weltklimarat hat seinen Bericht vorgelegt. Gerungen und gestritten wurde wirklich bis zur letzten Sekunde. Vor allem China, die USA, aber auch andere Länder haben dazu beigetragen. Hans-Joachim Schellnhuber, mit ihm wollen wir jetzt über dieses Thema reden, vom Potsdamer Institut für Klimaforschung. Guten Morgen Herr Schellnhuber!

    Hans-Joachim Schellnhuber: Guten Morgen!

    Zurheide: Zunächst einmal, die eine oder andere kritische Passage ist mindestens in der Kurzfassung gestrichen. Was halten Sie als Wissenschaftler von solchen politischen Begehren?

    Schellnhuber: Ja, zunächst einmal muss man sagen, dass vor allem Saudi-Arabien versucht hat, den Bericht deutlich zu verbessern, und das ist sicherlich beklagenswert. Zunächst einmal muss man sagen, was übrig bleibt, ist immer noch in jeder Hinsicht erschreckend, und es stockt einem zum Teil der Atem, wenn man genau hineinsieht, welche Prognosen gemacht werden. Ich kann das im Einzelnen noch erläutern, aber zunächst einmal zum Bericht insgesamt: Der IPCC, wie er so umständlich heißt, ist nun mal ein Unternehmen, das die Wissenschaft mit der Politik zusammenbringt, um sich über sämtliche Daten zu beugen, die die Wissenschaft gezeigt hat, und daraus einen Schluss zu ziehen, und solange man dieses Format beibehält, muss man damit rechnen, dass aus politischen Interessen wissenschaftliche Einsichten verwässert werden.

    Zurheide: Da kommen wir gleich noch mal drauf. In der Tat wollen wir uns zunächst dem Bericht selbst widmen. Zunächst einmal, eine der Kernthesen ist ja, dass vor allen Dingen die ärmeren Länder den Preis zahlen werden für das, was überwiegend wir hier im Westen anrichten. Ist das eines der wesentlichen Ergebnisse für Sie?

    Schellnhuber: Das ist ein wesentliches Ergebnis. Es steht ja in diesem Bericht nicht wirklich was Neues drin, sondern es wird zusammengefasst, was in Tausenden von Publikationen und Zehntausenden von Messreihen und Studien herausgefunden worden ist. In der Tat zeichnet sich immer deutlicher ab, dass genau diejenigen Länder, die am wenigsten beitragen zur globalen Erwärmung, zum Klimawandel, am meisten betroffen sein werden, zunächst einmal weil diese Länder gar nicht das Geld besitzen, um im großen Umfang fossile Energien zu kaufen und zu verbrauchen, und zweitens weil sie kaum Anpassungsmöglichkeiten haben so wie der reiche Westen. Wir denken natürlich darüber nach, wenn der Meeresspiegel ansteigt um vielleicht einen Meter bis Ende dieses Jahrhunderts, dann bauen wir eben bessere Deichanlagen. So was ist für die Malediven undenkbar.

    Zurheide: Dann lassen Sie uns zunächst auf das kommen, was an Konsequenzen zum Beispiel in Westeuropa oder auch in Deutschland gezogen werden kann. Ganz konkret: Flugzeugverkehr, darüber wird diskutiert. Ist das wirklich etwas, was Sie auch in den Fokus stellen würden?

    Schellnhuber: Es ist im Augenblick die Zeit der politischen Symbole. Wenn man vor der Größe einer solchen Herausforderung steht, wenn man weiß, es ist wirklich dramatisch, uns bleibt nicht sehr viel Zeit, umzusteuern, dann greift man natürlich nach allen möglichen, ja fast verzweifelt nach allen möglichen Abhilfemaßnahmen, und es steht gewissermaßen dann jede Woche ein anderer Sektor oder eine andere Verhaltensweise am Pranger. Das ist berechtigt, dass man darauf eingeht. Es ist meiner Ansicht nach skandalös, dass der Flugverkehr nach wie vor nicht in eine entsprechende Besteuerung einbezogen wird. Aber der Flugverkehr allein trägt nur in einem gewissen Umfang zur Erderwärmung bei, er ist wichtig. Viel wichtiger ist, dass wir grundsätzlich unsere Energiesysteme umstellen in diesem Jahrhundert. Also das ist eine sehr viel größere Aufgabe, die wir bewältigen müssen, um den Klimawandel in einem beherrschbaren Rahmen zu halten.

    Zurheide: Um auf die Energiepolitik einzugehen, da wird allerdings auch häufig so diskutiert, dass es Sie da vermutlich schrecken muss. Wenn wir dann über Kohlekraftwerke und mögliche Maßnahmen diskutieren, CO2 abzuschalten, da steht dann immer noch die Kostendiskussion im Vordergrund. Können Sie das als Wissenschaftler nachvollziehen?

    Schellnhuber: Wir führen ja gerade Kosten-Nutzen-Analysen durch. Die Wirtschaftswissenschaften gehören ganz deutlich und als integraler Teil zum Klimabericht dazu. Es sind genau Kosten-Nutzen-Analysen, die uns alarmieren und die uns deutlich machen, dass wir umsteuern müssen. Das Problem ist wie immer der Unterschied zwischen einer betriebswirtschaftlichen und einer volkswirtschaftlichen Überlegung. Als Betriebswirt müssen Sie bestimmte Dinge für ihr kleines Unternehmen durchführen, um eben im nächsten Jahr noch Gewinn zu machen. Wenn aber insgesamt durch viele solcher Entscheidungen die Volkswirtschaft zugrunde geht, dann stehen Sie am Schluss auch mit leeren Händen da.

    Zurheide: Jetzt gibt es solche Institute wie das Institut für Geowissenschaften, die auch für Herrn Glos, den Wirtschaftsminister, arbeiten, die bestreiten ja immer noch den Klimawandel. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sagt dazu, das ist so etwas wie wissenschaftlicher Vandalismus. Kann man das so bezeichnen?

    Schellnhuber: Herr Gabriel muss sich seine Metaphern selbst aussuchen, das muss ich nicht unbedingt kommentieren in diesem Fall. Tatsache ist einfach die, dass Institute wie das, was Sie genannt haben, in der seriösen wissenschaftlichen Debatte zu den Ursachen des Klimawandels und insbesondere zu seinen Folgen überhaupt keine Rolle spielen. Das sind eher randständige Erscheinungen. Wissen Sie, Kollegen haben sehr gute Expertise in vielen Bereichen, und sie sollten sich auch darauf konzentrieren.

    Zurheide: Ein letztes Stichwort, gerade weil wir vor Ostern sind, da hören wir dann hin und wieder, die Osterfeuer seien nun auch problematisch. Was sagt der Klimaforscher zu solchen, sind das möglicherweise Irritationen oder Irrungen?

    Schellnhuber: Ja, ich habe es gelesen und habe geschmunzelt. Ich habe mich nicht einmal geärgert darüber. Es ist das, was wir vorhin sagten. Es ist die Zeit der Symbole. Statt eine große Aufgabe kraftvoll, entschlossen anzugehen, verliert man sich in fast skurrilen Randdiskussionen. Die Feinstaubdebatte der Osterfeuer, das ist kein Problem, was Hunderte von Millionen Menschen insbesondere in den Entwicklungsländern bedroht. Im Grunde genommen verlieren wir Zeit damit, uns mit diesen Absurditäten zu befassen. Ich habe einmal dieses Wort auch in Gegenwart der Bundeskanzlerin ins Spiel gebracht, im Englischen nennt man das "rearranging the deckchairs on the Titanic", also die Liegestühle auf dem Deck der Titanic umarrangieren, und so kommt es mir eben vor. Wir müssen die Titanic auf einen neuen Kurs bringen. Wir müssen eine Richtungsentscheidung treffen, und das Umarrangieren der Liegestühle, das sollten wir anderen überlassen.

    Zurheide: Vielen Dank für das Gespräch.