Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"Es ist ein Schulterschluss"

Laut Wawrzyniec Smoczynski bedeutet die Unterzeichnung des START-Nachfolgeabkommens durch die USA und Russland einen "Neuaufbau der Dialogbereitschaft auf beiden Seiten". Der Schritt der Atommächte werde auch von polnischer Seite begrüßt.

Wawrzyniec Smoczynski im Gespräch mit Bettina Klein | 08.04.2010
    Bettina Klein: US-Präsident Obama und Kreml-Chef Medwedew unterzeichnen heute in Prag das umfassendste atomare Abrüstungsabkommen seit zwei Jahrzehnten. Das Abkommen zwischen den beiden stärksten Atommächten soll ein Schritt sein auf dem Weg hin zu einer nuklearwaffenfreien Welt - ein Schritt, viel mehr wohl im Augenblick nicht. Er sieht eine deutliche Reduzierung der jeweiligen atomaren Waffenarsenale vor. Russland behält sich jedoch das Recht vor, aus dem neuen START-Vertrag auszusteigen, sollte es die geplante US-Raketenabwehr in Europa als Bedrohung für die eigene Sicherheit ansehen. Die mittel-osteuropäischen Staaten sehen dieses Abkommen teilweise mit gemischten Gefühlen. Ihnen geht es darum, dass ihre Sicherheitsinteressen nicht zwischen Washington und Moskau verloren gehen.
    Wir wollen an dieser Stelle etwas genauer auf die polnische Haltung schauen. Ich begrüße am Telefon den Publizisten Wawrzyniec Smoczynski, er ist stellvertretender Leiter des Auslandsressorts der Zeitschrift "Polityka". Guten Morgen!

    Wawrzyniec Smoczynski: Guten Morgen.

    Klein: Vertragsabschluss heute in Prag – ein Schulterschluss zwischen Russen und Amerikanern, der in Polen ausschließlich begrüßt wird?

    Smoczynski: Ich würde sagen, es wird überhaupt nicht negativ begrüßt und es ist klar: Es ist ein Schulterschluss, es ist ein wichtiges politisches Ereignis in dem Verhältnis zwischen Russland und Amerika. Aus polnischer Sicht, glaube ich, ist das vor allem ein Neuaufbau der Dialogbereitschaft auf beiden Seiten, ein Dialog, den es über die Bush-Jahre eigentlich sehr wenig gegeben hat.

    Klein: Das heißt, die Polen versprechen sich vor allen Dingen auch für sich selbst Vorteile und eine stärkere Berücksichtigung ihrer Sicherheitsinteressen?

    Smoczynski: Ich würde sagen, die Antwort ist in dem Sinne jein. Es wird Polen nach der Entscheidung Amerikas, das Missile-Schild nicht zu bauen, unterstellt, wir haben immer noch das Problem mit der Sicherheit und wir verlangen immer noch mehr von den Amerikanern in Sachen Sicherheit. Die Tatsachen sind aber so, dass nach einem Jahr Außenpolitik Barack Obamas die politische Elite in Polen eigentlich damit zurechtgekommen ist, dass es in Washington eine Weichenumstellung gegeben hat, und sowohl die Regierung, als, glaube ich, teilweise die Opposition ist in diesen Sachen ziemlich pragmatisch. Man sieht, dass Amerika einfach den Dialog mit Russland wieder aufbauen möchte und will, dass seitens des Russen Verträge zu der Anzahl der Nuklearsprengköpfe eben dieses Feld des strategischen Gesprächs mit Amerika sind. Das heißt, Russland fühlt sich nicht als strategischer Partner, solange Amerika mit ihm nicht über Nuklearwaffen spricht.

    Klein: Also es gibt sozusagen Vorteile und Nachteile, die wahrgenommen werden. Auch Ihr Ministerpräsident, der polnische Ministerpräsident Tusk, wird ja wohl heute Abend Gelegenheit haben, mit US-Präsident Obama zu Abend zu speisen, wenn es bei der Agenda bleibt. Was wird er ansprechen? Können Sie sich das vorstellen?

    Smoczynski: Ich denke, er wird wahrscheinlich die praktischen, technischen, zeitlichen Rahmen der Stationierung des neuen Abwehrsystems besprechen. Dazu haben wir keine Daten bisher. Es wird von 2015 oder 2018 gesprochen. Polen hat sich ja im letzten Jahr bereit erklärt, als Obama von den Bush-Programmen des Raketenschilds abgetreten ist, in das neue Obama-Programm einzutreten, und das sieht vor, dass an die Stelle der Landstationierung, der festen Stationierung eines solchen Systems in Polen und Tschechien wahrscheinlich ein mobiles Abwehrsystem, Landsystem in einer längeren Perspektive stationiert werden wird, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte der heutigen Dekade. Was aus polnischer Sicht in den Abkommen ziemlich wichtig gewesen ist, dass Russland keine Einschränkung der Stationierung eines solchen Abwehrsystems in Mitteleuropa durchgesetzt hat.

    Klein: Sie haben es angesprochen: Das ursprünglich geplante Raketenabwehrsystem, was von Obamas Vorgänger Bush ja geplant war, wurde abgesagt. Das war wohl auch eine Ursache für die Sorgen, die dann teilweise in Polen und Tschechien entstanden sind. Nun ist es ja so, dass Russland nach wie vor nicht vollkommen mit diesen Plänen einverstanden ist und sich auch vorbehält, aus dem heutigen Abkommen auszusteigen, sollten diese Raketenabwehrsysteme möglicherweise aus Moskauer Sicht die russischen Sicherheitsinteressen unterlaufen. Rechnen Sie damit, dass es noch einmal zu solcher Art von Konflikten mit Moskau kommen wird?

    Smoczynski: Ich denke, es wird eine verbale Auseinandersetzung geben. Das ist ganz klar, dass aus Moskauer Sicht dies eine strategische Karte ist, die man in diesem wie gesagt verbalen Konflikt ausnutzen kann. Niemand erwartet, dass nach diesem Abkommen jetzt es überhaupt keine Gespräche mehr über die amerikanische Stationierung geben wird. Was für die polnische Seite, glaube ich, wichtig war, ist, dass die Amerikaner es nicht zugelassen haben, dass die Russen ein formelles Veto oder ein schriftlich in den Vertrag eingeschriebenes Veto gegen solch ein System in Mitteleuropa durchgesetzt haben. Das war für die polnische Seite ziemlich wichtig, dass die Amerikaner sich darauf nicht eingelassen haben. Ich denke, letztes Jahr gab es ein gewisses Unbehagen nach der Obama-Entscheidung, aber sie war in Polen viel mehr erwartet als in anderen mitteleuropäischen Ländern, vor allem als in Tschechien.

    Klein: Lässt sich denn genauer beschreiben, worin die Ängste konkret bestehen? Wie könnte denn Russland ein mögliches Machtvakuum zum eigenen Vorteil in Mittel-Osteuropa nutzen?

    Smoczynski: Mittel-Osteuropa ist natürlich, denke ich, momentan ein sehr sicherer Ort. Ich glaube, die polnische Sicherheitsperspektive geht viel mehr und viel länger voran. Wir haben gewisse historische Erfahrungen, die uns dazu gebracht haben, bewusst zu sein, dass wir am Rande Westeuropas sitzen und aus diesem Grund potenziell mehr gewissen militärischen Gefahren ausgesetzt sind. Deswegen haben wir eine andere Mentalität in Sachen Sicherheit als meinetwegen Holland, das inmitten Europas ist. Das sagt nicht, dass Polen irgendwie jetzt Ängste hat, dass es eine militärische Intervention in Polen seitens Russlands irgendwann geben wird. Aber wir beobachten ziemlich genau, was in Georgien passiert ist. Wir beobachten den politischen Einfluss, den Russland hat in Weißrussland und in der Ukraine. Wir beobachten den ökonomischen und politischen Einfluss, den es in manchen auch mittlerweile EU-Mitgliedern in Mitteleuropa hat, im südlichen Teil der Region, und gewisse Schritte, die meinetwegen entgegen Lettland oder Litauen in Sachen Sicherheit gemacht werden.

    Klein: Aber Sie sagen, das sind eigentlich eher diffuse Ängste, die sich jetzt nicht sozusagen auf eine konkrete Folge stützen?

    Smoczynski: Ja, aber ich würde nicht sagen, das sind diffuse Ängste. Ich würde sagen, seitens Polens gibt es die Überzeugung, solange Polen keine klare Basis für die Sicherheit hat, sowohl im formellen Sinne, im Sinne der NATO-Sicherheit, die wir bereits haben, als auch in einer Installation, einer militärischen Installation in Polen, die physisch vorhanden wäre, und einer starken polnischen Armee, solange wird Polen auch in Russland nicht als ein starkes Land in Sachen militärischer Sicherheit behandelt.

    Klein: Der polnische Publizist Wawrzyniec Smoczynski von der Zeitschrift "Polityka". Ich bedanke mich für das Gespräch und Gruß nach Warschau.

    Smoczynski: Danke schön.