Donnerstag, 25. April 2024

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"Es ist eine Katastrophe"

Der ärztliche Direkor der Freiburger Universitätsklinik, Mathias Brandis, hat das vorläufige Scheitern der Tarifverhandlungen für die Krankenhausärzte als Katastrophe bezeichnet. Er hoffe, dass die Tarifgemeinschaft der Länder, die als Arbeitgeber mit der Gewerkschaft verhandelt, die Tragweite der Situation jetzt endlich erfasse. Wenn seine Klinik selbst die Gespräche führen dürfte, wäre sie sich wahrscheinlich längst mit dem Marburger Bund einig geworden, betonte Brandis. Die Forderungen der Ärzte nach steigenden Gehältern nannte er nachvollziehbar.

08.05.2006
    Klaus Remme: Seit Wochen wird in den Universitätskliniken dieses Landes gestreikt und Ende vergangener Woche schien Bewegung in diesen verhärteten Tarifkonflikt zu kommen. Die Ärzte, sie wollen eine Lohnsteigerung in Höhe von 30 Prozent und vor allem bessere Arbeitsbedingungen. Lange Zeit standen diese beiden sich unversöhnlich gegenüber. Dann hat man Freitag und Samstag in einer Art Marathonsitzung 26 Stunden lang mit kurzer Pause verhandelt und schien kurz vor einem Ergebnis zu sein. Dann doch der Abbruch der Verhandlungen mit einer Vertagung auf Dienstag und gleichzeitig eine massive Ausweitung in einigen Universitätskrankenhäusern, darunter die Uniklinik Freiburg.

    Am Telefon ist jetzt der ärztliche Direktor der Uniklinik, Mathias Brandis. Ich grüße Sie Herr Brandis!

    Mathias Brandis: Guten Morgen Herr Remme!

    Remme: Herr Brandis wie ist denn die Situation in Ihrem Haus heute Morgen?

    Brandis: Wir erwarten die Ausweitung des Streiks, die noch deutlich über das hinaus geht, was wir in den letzten acht Wochen schon erlebt haben, dass gesamte OP-Programme nicht durchgeführt werden können, dass auch nichtoperative Fächer massiv bestreikt werden, dass die Ambulanzen nicht bedient werden, so dass wir noch mehr als vorher geplante Operationen auf der einen Seite, aber auch Ambulanztermine absagen müssen und die Leute zum Teil nach Hause schicken müssen.

    Das hat nicht nur ganz erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen, sondern führt auch, wie man verstehen kann, zu Vertrauensverlust bei der Bevölkerung, die es gar nicht mehr versteht, worum es geht. Sie hat meines Erachtens auch Verständnis für die durchaus nicht unberechtigten Forderungen der Ärzte, eine Anpassung der Gehälter zu erwirken. Auf der anderen Seite versteht sie die Zusammenhänge sehr wenig. Wir sind ja in einer Situation als Klinikumsvorstände, dass wir gar nicht verhandeln. Wir sind nicht zuständig. Zuständig sind die Länder, vertreten durch den Verbund deutscher Länder, die mit dem Marburger Bund verhandeln. Was immer die aushandeln und was an zusätzlichem Geld herauskommt, müssen die Kliniken bezahlen, aber die verantwortlichen Leitungen der Kliniken verhandeln nicht selber.

    Remme: Ich sagte es: Am Samstag war man einer Einigung offenbar sehr nah. Wie bewerten Sie diesen Abbruch, die Vertagung der Gespräche?

    Brandis: Es ist eigentlich eine Katastrophe. Wir warten seit vielen Wochen darauf, dass die TDL sensibel genug erfasst, wie groß die Problematik ist, wie das Pulverfass auch zum Platzen kommt. Dass man tatsächlich zum Schluss das doch noch scheitern lässt, war gegen unsere Erwartungen. Wir hatten alle die große Hoffnung, dass diese Streiks zu Ende sind, und nun geht es heute umso heftiger weiter. Wir können es nicht mehr verstehen. Von Baden-Württemberg aus, in dem Land, in dem die Universitätskliniken verglichen mit anderen Bundesländern besonders stark betroffen sind, haben wir lange eine Initiative bei der Landesregierung angemahnt, aus dem Tarifverbund der Deutschen Länder auszutreten und für dieses Land eigene Verhandlungen zu erwirken, was die vier Kliniken alle wollen. Bisher ist die Landesregierung aber noch nicht dazu bereit, diesen Schritt zu gehen.

    Remme: Was wären denn die Folgen dieses Ausscherens?

    Brandis: Die Folgen: Wir könnten vor Ort mit den Vertretern des Marburger Bundes einen Tarif für Baden-Württemberg aushandeln. Wahrscheinlich wären wir längst seit Wochen schon einig mit denen.

    Remme: Herr Brandis was hat dieser Streik die Uniklinik jenseits des Vertrauensverlustes bisher gekostet?

    Brandis: Wir können keine genauen Ziffern benennen, aber wir gehen davon aus, dass das mehrere Millionen jetzt schon sind. Wir können es deswegen nicht genau sagen, weil die nicht erreichten Leistungen, die die Kassen bezahlen, erst Monate danach wirklich im Konto erfassbar sind. Aber wir gehen ungefähr von vier bis sechs Millionen jetzt schon aus.

    Remme: Wenn es eine Einigung gibt, geht man dann zum Arbeitsalltag über, oder hat dieser Arbeitskampf langfristige Folgen für die Klinik?

    Brandis: Bei der Tatsache, dass die Ärzte, die streiken, durchaus ihre Argumente haben, die wir nachvollziehen können, sollten wir eins versuchen, auch wir als Vorstände, dass hinterher nicht irgendwelche Missempfindungen auftreten. Wir müssen akzeptieren, dass das Recht der Ärzte zu streiken vorhanden ist. Wenn sie einen solchen Arbeitskampf nun einmal lostreten, dann ist er unangenehm. Er führt auch beidseitig zu Verletzungen. Auch das Verhältnis von ärztlicher Leitung und Assistenten kann darunter leiden. Wenn es aber zu einer Einigung kommt werden wir versuchen, möglichst schnell wieder zum normalen Alltag zurückzukehren.

    Remme: Herr Brandis wie ist das eigentlich für Sie persönlich? Sie werden sich ja als ärztlicher Direktor vermutlich nicht als unterbezahlt ansehen. Sie sind einerseits Arzt, andererseits Klinikumsvorstand, vertreten das Haus nach außen. Auf welcher Seite stehen Sie in diesem Konflikt?

    Brandis: Wir vertreten das Klinikum so weit, dass wir versuchen, mit den Finanzen auszukommen und am Ende des Jahres schwarze Zahlen zu schreiben. Das ist ein Prinzip, was wir in den letzten Jahren auch sehr erfolgreich haben leisten können. Viele Universitätskliniken in Deutschland haben das schon nicht mehr. Wie eben gesagt: Wir haben die Argumente der streikenden Ärzte respektiert und verstehen auch viele derer Motive. Auf der anderen Seite müssen wir für die Zukunft dieses Klinikums Verantwortung tragen, dass es auch nach einer solchen Einigung noch bezahlbar ist. Insofern ist man logischerweise in einem Konflikt, den man auch nicht so ohne weiteres lösen kann.

    Remme: Es streiken ja bei Ihnen nicht nur die Ärzte. Auch ver.di streikt seit Monaten. Welcher Konflikt belastet die Klinik und damit die Patienten stärker?

    Brandis: Bei uns streikt ver.di nicht. Mit ver.di haben wir uns ja schon vor einem halben Jahr geeinigt. Das ist in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern. Bei uns haben die nichtärztlichen Mitarbeiter einen Vertrag unterschrieben. Da wird nicht gestreikt.

    Remme: Und dieser Zustand, den Sie beschrieben haben, die Streiks, die jetzt massiv ausgeweitet werden, wie lange werden Sie diesen Zustand in der Klinik noch aufrechterhalten können?

    Brandis: Die Frage kann ich eigentlich nicht beantworten. Eigentlich können wir ihn nur wenige Tage durchhalten, weil erstens die Patientenversorgung leidet. Die anderen Kliniken um uns herum, die konfessionellen, die kommunalen Häuser, sind voll. Irgendwann leidet mal das ganze System. Es ist so, dass die Notfälle immer betreut werden und dass keinem Patienten wirklich geschadet wird, aber die große Menge der planbaren Eingriffe und der bestellten Ambulanztermine sind bei Patienten durchzuführen, die vielleicht etwas warten können, aber das kann man auf die Dauer nicht durchhalten. Ich kann Ihnen das nicht sagen, aber im Grunde wenige Tage und mehr nicht.

    Remme: Mathias Brandis, ärztlicher Direktor der Uniklinik Freiburg. Herr Brandis vielen Dank für das Gespräch!

    Brandis: Bitte schön!