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"Es ist für jeden und jede im Volke was dabei"

Das Wahlprogramm der CDU/CSU ist wie ein Wohlfühlprogramm, sagt Politologe Bernhard Weßels. Die Zielsetzung sei ganz klar: "Wählerstimmen zu gewinnen". Über die Finanzierung werde nichts gesagt.

Bernhard Weßels im Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.06.2013
    Bundeskanzlerin Merkel soll mit dem Programm hinreichend Stimmen bringen, sagt Weßels.
    Bundeskanzlerin Merkel soll mit dem Programm hinreichend Stimmen bringen, sagt Weßels. (picture alliance / dpa / Jochen Lübke)
    Mario Dobovisek: Geschlossenheit demonstrieren CDU und CSU in Berlin. Gemeinsam wollen sie die Wahlen gewinnen, daran lassen sie keinen Zweifel aufkommen. Vergessen scheinen die Querschüsse aus Bayern und die Querelen, die der Bundeskanzlerin so manches Mal Kopfzerbrechen bereitet haben, Stichwort Herdprämie, um nur einen Zankapfel zu nennen. In Berlin stellen Horst Seehofer und Angela Merkel in diesen Minuten ihr Wahlprogramm vor.
    Am Telefon begrüße ich den Politikwissenschaftler Bernhard Wessels vom Wissenschaftszentrum Berlin. Guten Tag, Herr Wessels!

    Bernhard Wessels: Guten Tag, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Die Union fischt nach Stimmen, macht teuere Wahlversprechen. Wird sie ihre Versprechen angesichts der Haushaltslage halten können?

    Weßels: Das ist sicherlich eine ganz schwierig zu beantwortende Frage. Es sieht alles danach aus, als ob es in der Tat so was wie ein Wohlfühlprogramm ist. Es gibt für jeden und jede was dabei, ob man nun an Forschung denkt, ob man an Wohngeld denkt, ob man an Lehrerbildung denkt, an Gründungsfinanzierung, ans Kindergeld, an die Steuern. Es ist für jeden und jede was dabei. Und ob das in dem Umfang finanzierbar ist, wenn man keine konkreten Gegenfinanzierungsvorstellungen entwickelt, nicht mal beziffert, was das Ganze kostet, was man da versprochen hat, dann habe ich den Eindruck, da wird, wenn das denn alles unternommen werden soll, sicherlich einiges an Schwierigkeiten finanzieller Art auftauchen.

    Dobovisek: Was will die Union mit ihrem, Sie nennen es, Wohlfühlprogramm erreichen, mit dieser breiten Gießkanne durch alle Bereiche der Gesellschaft? Zurück zur Volkspartei?

    Weßels: Ich könnte mich ja jetzt darauf zurückziehen und einfach den Präsidenten des CDU-Wirtschaftsflügels zitieren, Herrn Lauck, der sagt, Wahlversprechen sind das, was die Parteien versprechen, um gewählt zu werden. Es hat also erst mal gar nichts damit zu tun, und jetzt er fort: Es war noch nie der Fall, dass Wahlversprechen eins zu eins in ein Regierungsprogramm übernommen werden. Das heißt, die Zielstellung des Programms ist ganz klar, Wählerstimmen zu gewinnen, Angebote zu machen mehr oder minder an alle, die in irgendeiner Form von so einer Regierung profitieren könnten, und so wie es aussieht, ist das in der Tat ein Flächenprogramm. Das heißt, wenn Sie sagen Volkspartei, dann kann man sicherlich sagen, es ist für jeden und jede im Volke was dabei, und das scheint die Strategie zu sein, und zusammen mit dem Beitrag, der gerade gesendet worden ist, sieht man ja auch, wie stark die Union auf die Kanzlerin setzt. Die Person Angela Merkel zusammen mit einem Programm, was für jeden was bietet, soll der CDU/CSU hinreichend Stimmen bringen, damit sie möglicherweise mit der FDP dann wieder regieren kann.

    Dobovisek: Nun ist der Wähler ja gemeinhin nicht dumm und kann sich sehr wohl denken, dass nicht alle Versprechen finanzierbar sind. SPD und Grüne machen da keinen Hehl aus ihren Steuerplänen. Ist Rot-Grün damit ehrlicher?

    Weßels: Das würde ich schon so sagen, wenn ganz klar formuliert wird, dass es auch was kosten wird, wenn man irgendwo etwas hingeben will. Vor allen Dingen dann, wenn man nach wie vor an der Haushaltskonsolidierung als generelle Zielstellung festhalten will, dann ist es natürlich ehrlicher, wenn man auch hineinschreibt, wem es denn dann irgendwann irgendetwas kosten wird. Das ist in dem Regierungsprogramm, was ja auch interessant ist – es ist ein Regierungsprogramm und kein Parteiprogramm, kein Parteiwahlprogramm, sondern abgestellt auf Regierung -, da findet Derartiges nicht statt. Da wird über Finanzierung nichts gesagt.

    Dobovisek: Wollen denn Wähler per se so ein bisschen beschwindelt werden vor der Wahl?

    Weßels: Das glaube ich nicht. Wie Sie schon sagen, die Wählerinnen und Wähler sind sicherlich nicht dumm und wollen eigentlich Versprechungen bekommen, von denen sie davon ausgehen, dass die dann auch realisiert werden können. Wenn sie den Eindruck haben müssen, dass da viel versprochen, aber nicht gehalten wird, dann ist das sicherlich nicht unbedingt ein Anreiz.

    Dobovisek: Nun würden ja die Steuererhöhungen, die SPD und Grüne planen, auch einen nicht unwesentlichen Teil der Unions-Wähler hart treffen, nämlich Besserverdienende. Haben es CDU und CSU angesichts dieser Konkurrenz überhaupt nötig, mit derart kostspieligen Wahlversprechen ins Rennen zu gehen?

    Weßels: Die Frage ist ja, wie viel man von den Wählerinnen- und Wählerstimmen bekommen will, und dann ist immer die Frage, wie sehen eigentlich die letzten Wochen der Mobilisierung im Wahlkampf aus. Da hat es schon Überraschungen gegeben. Wenn Sie an die Aussagen Anfang 1994 denken, die da gemacht worden sind, die CDU wird die Wahl auf jeden Fall verlieren, das ist nicht passiert, 2002 die SPD wird auf jeden Fall die Wahlen verlieren, es ist nicht passiert. Man kann also vonseiten der Parteien angesichts der hohen Beweglichkeit, die in der Wählerschaft inzwischen sich breitgemacht hat, ein sehr hoher Wechselwähleranteil, sehr viele, die sich erst sehr spät entscheiden, kann man als Partei, auch wenn man eine große Partei ist, nicht vollkommen sicher sein, dass es so ausgeht, wie man sich das gerne wünscht.

    Dobovisek: Nun geriert sich ja die FDP als großes Bollwerk gegen teuere neue Ausgabenpläne. Wir haben es auch vorhin in dem Bericht hören können. Entfernen sich Union und FDP voneinander?

    Weßels: Wenn man jetzt die generelle Zielsetzung, nämlich Einhaltung strikter Haushaltsregeln, die ja auch in dem Programm von Maß und Mitte der Angela Merkel enthalten ist, nimmt, das stößt sicherlich auf positive Resonanz bei der FDP. Die Ausgabenversprechungen, da ist ganz klar, dass die FDP da nicht mitgehen wird, und Rösler hat ja zum Beispiel vom süßen Gift des Geldausgebens gesprochen und ganz klar gesagt, die Anhebung der Mütterrente ist nicht finanzierbar. Wenn es dann zu dieser Koalition kommt, dann wird es an der Ecke sicherlich relativ kräftige Verhandlungen geben. Es ist wahrscheinlich auch für die FDP einfach auch aus dem Willen, doch wieder an der Regierung beteiligt zu sein, wenn es denn über die Fünf-Prozent-Hürde geht, sicherlich nicht eine Situation, in der sie sagt, machen wir nicht, wir gehen nicht mit der CDU. So nicht, weil die generelle Regel Einhaltung strikter Haushaltsregeln ist, ja erst mal vorne vor alles gestellt.

    Dobovisek: Die Union gibt sich großzügig mit angekündigten Wahlgeschenken – der Politikwissenschaftler Bernhard Wessels war das. Vielen Dank für das Gespräch!

    Weßels: Gerne. Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.