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"Es ist ganz klar, dass der mit Sicherheit gewählt wird"

Für den Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge steht fest, dass der nächste Bundespräsident Joachim Gauck heißen wird. Dennoch hält er es für mehr als wichtig, dass die Linkspartei mit Beate Klarsfeld eine Alternative präsentiert. Der Bundespräsident müsse das soziale Gewissen der Regierenden sein, sagt Butterwegge. Gleichzeitig bezweifelt er, dass Gauck das erfüllen kann.

Christoph Butterwegge im Gespräch mit Gerd Breker | 27.02.2012
    Gerd Breker: Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler an der Universität Köln und war einer der drei genannten Kandidaten der Linkspartei für das Präsidentenamt. Inzwischen ist nur noch eine Kandidatin übrig geblieben: die Journalistin Beate Klarsfeld soll es heute werden. Die andere - das war die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen – hat heute verzichtet. – Am Telefon begrüße ich nun Christoph Butterwegge. Guten Tag, Herr Butterwegge.

    Christoph Butterwegge: Ja guten Tag, Herr Breker.

    Breker: "Ich stehe nicht zur Verfügung, weil ich nicht in eine Kampfabstimmung gegen zwei so honorige Persönlichkeiten reingehen will." Das, Herr Butterwegge, war Ihre Erklärung für den Rückzug Ihrer Kandidatur. Ist das auch heute noch Ihre Position?

    Butterwegge: Ja, das ist meine Position insofern, als ich mich zwar bereit erklärt habe, für Die Linke, der ich nicht angehöre, zu kandidieren als möglicher Vertreter in der Bundesversammlung, als Gegenkandidat zu Joachim Gauck, denn es ist ganz klar, dass der mit Sicherheit gewählt wird. Aber das heißt ja nicht, dass Die Linke, die ausgegrenzt worden ist aus der Suche nach einem Konsenskandidaten, der deshalb auch keiner ist, nicht einen eigenen Kandidaten präsentiert. Ich bin gefragt worden und habe ja gesagt in der Annahme, dass niemand diese Kandidatur auch anstrebt und insbesondere nicht eine Frau und eine so anerkannte Antifaschistin, wie Beate Klarsfeld das ist. Diese falsche Annahme hat mich dann dazu veranlasst, als mir das bekannt wurde und natürlich auch viele Gespräche geführt worden sind mit diesen zwei Kandidatinnen und mit mir, zu sagen, ich stehe jetzt nicht für eine Kampfabstimmung zur Verfügung, wer sich von diesen dreien jetzt behauptet. Denn das ganze ist natürlich, wenn man so will, ohne das jetzt abzuwerten, sondern ich halte es sogar für sehr wichtig, dass Die Linke dort präsentiert wird mit einem Kandidaten, insofern eine Zählkandidatur, als klar ist, dass es nicht darum geht, Joachim Gauck aus dem Felde zu schlagen. Für eine solche Kandidatur bereitzustehen, das dann aber nur zu können, indem man andere praktisch verdrängt, das schien mir unangemessen zu sein und das ist der Grund dafür, dass ich mich zurückgezogen und verzichtet habe.

    Breker: Dass die Parteiführung da unglücklich agiert hat, das findet ja auch Bodo Ramelow. Er meinte, es wäre besser gewesen, man hätte am Donnerstag, dem Tag der Gedenkveranstaltung für die Neonazi-Morde, Beate Klarsfeld vorschlagen sollen. Heute, so Bodo Ramelow, könne man eigentlich ganz auf einen Kandidaten verzichten.

    Butterwegge: Ich bin nicht ganz seiner Meinung, denn einen eigenen Kandidaten, oder jetzt in diesem Falle eine eigene Kandidatin zu präsentieren, ermöglicht natürlich während der Zeit bis zum 18. März, bis die Bundesversammlung entscheidet, auch alternative Inhalte zu Joachim Gauck in die Öffentlichkeit zu tragen. Bei mir wäre das ganz klar gewesen die soziale Spaltung der Gesellschaft, mit der ich mich beschäftige und die ich sehr, sehr problematisch finde. Das Auseinanderfallen in arm und reich, auch sozialräumlich scheint unsere Gesellschaft auseinanderzudriften. Die Städte spalten sich in Luxusquartiere auf der einen Seite, zum Teil gibt es sogar schon gated communities, wo die ganz reichen wohnen und sich von privaten Sicherheitsdiensten bewachen lassen und abschirmen, und auf der anderen Seite soziale Brennpunkte, oder, wie sie beschönigend genannt werden, Stadtteile mit besonderem Erneuerungs- oder Entwicklungsbedarf, wo dann die armen gewissermaßen mit der Tendenz zu einer Ghettoisierung auch der Armut leben. Das ist eine Zukunftsvision, die für mich Horror auslebt, und dieser Horror, der da ausgelöst wird, der hätte mich jetzt motiviert, dieses Kardinalproblem unserer Gesellschaftsentwicklung zum Thema zu machen, denn für mich ist auch klar, ein solches Auseinanderfallen im Sozialen bedeutet auch eine Gefahr für die Demokratie, und ich finde eben, dass bisher in der Auseinandersetzung um das Präsidentenamt diese Frage überhaupt nicht in der Öffentlichkeit gestellt wird, und ich habe auch meine Zweifel, dass Joachim Gauck dieses Problem in seiner Schärfe erkannt hat und in Zukunft noch thematisiert.

    Breker: Allerdings ist es so: Wir hatten Horst Köhler, den Banker, wir hatten Christian Wulff, den Berufspolitiker, nun soll es Joachim Gauck machen, er ist Pastor. Ist das nicht eine Entwicklung, die Sie begrüßen müssten?

    Butterwegge: Ja, ganz klar. Moralische ethische Fragen spielen eine große Rolle. Ich erwarte eigentlich auch von einem Theologen, dass er Partei ergreift für die Armen, und er kann nur ein guter Bundespräsident werden, wenn er aus den ideologischen Schützengräben des Kalten Krieges heraussteigt, nicht so stark die Vergangenheit der DDR thematisiert, die sicher aufgearbeitet werden muss, mit der man sich auch kritisch und selbstkritisch zum Teil auseinandersetzen muss, aber es geht eigentlich um die entscheidende Frage, in welcher Gesellschaft wollen wir leben, soll das eine Konkurrenzgesellschaft sein, die Minderheiten an den Rand drängt, die Schwache verachtet – ich erinnere an die Sarrazin-Diskussion -, oder soll es eine soziale Bürgergesellschaft sein, in der alle Menschen mitentscheiden können, denn Demokratie ist für mich eben auch – und das wäre ein Thema für diese Bundespräsidentschaft - Demokratie ist mehr, als alle vier oder fünf Jahre zu einer Wahlurne zu gehen, Demokratie bedeutet, dass alle Menschen, die in einem Land leben, politisch mitentscheiden können über dessen Zukunft, und das wird viel zu wenig thematisiert und die Affäre um Christian Wulff hat, glaube ich, gezeigt, dass eine große Entfremdung eingetreten ist zwischen demjenigen an der Spitze des Staates einerseits und der großen Mehrheit der Bevölkerung, die eben nicht sich repräsentiert sieht von einem Präsidenten, der deutlich macht, dass er doch es eher mit den reichen und schönen hält. Insofern finde ich, dass das Verhältnis von Ökonomie und Politik in unserem Land auf die Tagesordnung gehört und dass es Sinn machen würde, Gesellschaftskritik auch äußern zu lassen von einem Kandidaten für die Bundespräsidentschaft, und wenn er denn Bundespräsident wird, muss er, Joachim Gauck, finde ich, das soziale Gewissen der Regierenden sein, und ich habe meine Zweifel, dass er das sein wird.

    Breker: Kann denn das Beate Klarsfeld sein? Ist sie die richtige für soziale Themen? Sie wohnt in Paris!

    Butterwegge: Ja, nun gut, sie hat einen Wohnsitz in Berlin und sie ist Deutsche und ich denke, sie hat natürlich die Entwicklung des Landes verfolgt. Andererseits ist das ja auch eine Stärke, dass sie gleichzeitig in Paris lebt und vor allen Dingen international anerkannt, reputiert ist, höchste Orden nicht nur in Frankreich, sondern auch in den USA bekommen hat, allerdings nicht das Bundesverdienstkreuz, das muss man deutlich sagen, und insofern finde ich, sie ist schon eine Repräsentantin für ein anderes Deutschland, was sich vor allen Dingen konsequent natürlich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, und da hat dann Bodo Ramelow natürlich recht. Der letzte Donnerstag, der Tag der Gedenkstunde für die Opfer der Neonazi-Morde, das wäre schon ein symbolischer Akt gewesen, sie da zu nominieren. Allerdings standen eben auch andere Überlegungen im Raum und ich glaube, dass ich eigentlich mit meinen Themen, zu denen ich ja geforscht und viele Bücher geschrieben habe, durchaus auch ein geeigneter Repräsentant gewesen wäre, um eben die Kritiker einer Kandidatur von Joachim Gauck dort zu vertreten.

    Breker: Im Deutschlandfunk die Position von Christoph Butterwegge. Er war genannter Kandidat der Linkspartei für die Präsidentschaft. Herr Butterwegge, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Butterwegge: Bitte schön!

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