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"Es ist mehr autobiografisch, als ich dachte"

Seine Kinoerfolge heißen "Sonnenallee", "NVA" und "Herr Lehmann". Nun hat der Film- und Theaterregisseur Leander Haußmann eine Autobiografie vorgelegt: "Buh – mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück".

Leander Haußmann im Gespräch mit Oliver Kranz | 14.10.2013
    Oliver Kranz: Das Buch hat einen schönen Titel "Buh". Wem gilt denn das?

    Leander Haußmann: "Buh", das kann man fast philosophisch betrachten - Ausdruck von Missfallen, aber auch oft von Nichtverstehen. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass dieses "Buh" von uns Künstlern sehr zwiespältig betrachtet wird. Auf der einen Seite wollen wir nicht nur gefallen, sondern wir wollen in erster Linie uns selbst gefallen. Wir müssen Dinge tun, mit denen wir unseren Frieden machen und dann hoffen wir irgendwie, dass den Leuten das auch gefällt. Aber in der Regel ist das Neue immer sehr schwer durchzusetzen. Dann wird es oft mit einem Buh goutiert.

    Kranz: Das Buch erzählt einerseits Ihre Biografie, das ist klar, aber der Leander Hausmann, der da schreibt, ist ein so guter Entertainer und der schreibt über sein Leben so unterhaltsam, dass ich irgendwie die ganze Zeit die Frage im Kopf hatte: Wie autobiografisch ist das denn?

    Haußmann: Es ist mehr autobiografisch, als ich dachte. Bei manchen Geschichten habe ich das Gefühl gehabt, die denk ich mir gerade aus. Gestern hatte ich eine Lesung und da ist tatsächlich jemand erschienen, den habe ich nicht gleich erkannt. Die stellte sich mir als die Sekretärin aus Parchim vor, die ich als pinke Fluse bezeichnet habe. Und die sagte mir, es ist viel verschärfter gewesen, als ich es in Erinnerung hatte, weil ich in meiner Jugend viel ignoranter war - den Gefahren auch gegenüber. Die sagt, damals in Parchim, als ich da raus flog, da sind schon vorne die Stasi-Leute rein gekommen mit dem Haftbefehl. Da war ich erstaunt. Ich dachte, ich hätte mir das alles ausgedacht.

    Kranz: Einerseits sind es die vielen Anekdoten, die sich lesen wie ein Filmdrehbuch, andererseits sind es aber auch Sachen, wo Sie sehr kritisch mit sich umgehen. Was mich am meisten gewundert hat, ist, dass auf der Reklame des Buches ein Stadelmaier-Zitat steht: "Deutschlands größte Regie-Null". Warum tut sich jemand so was an?

    Haußmann: Das Erste ist, es ist die eigene Einschätzung, die hier zählt und nicht die des Kritikers, nicht die von außen. Auf der anderen Seite muss man sagen, der Stadelmaier hat ja - ich weiß nicht, ob er noch so gut ist wie damals - aber er hat sich schon ganz gut an mir abgearbeitet. Da sind ein paar Sachen hängen geblieben, die waren brillant, unter anderem eben auch, dass ich Deutschlands fröhlichste Regie-Null bin. Das ist ein Supersatz. Der ist sehr lustig. Der wäre mir bei einem Kollegen lieber gewesen, aber nun hat es mich getroffen. Auch gut. Deswegen verwende ich ihn als Zitat, drehe ihn für mich ins positive – das ist dann mein Schalk, den ich im Nacken habe, dass ich ihn für Werbezwecke benutze.

    Kranz: Sie sind Sohn eines Schauspielers und einer Kostümbildnerin. War es zwangsläufig, dass Sie am Theater landen?

    Haußmann: Das scheint, so zu sein. Wobei meine Schwester nicht in einem künstlerischen Beruf arbeitet. Ich habe mich auch lange gesträubt dagegen, Schauspieler zu werden, zum Theater zu gehen. Ich wollte eigentlich Maler bzw. Grafiker oder eigentlich Comiczeichner werden. Ich habe aber schnell gemerkt, dass mir die Arbeit im Zeichnerischen nicht so viel Spaß gemacht hat. Es hat mir schon Spaß gemacht, aber ich war nicht geduldig damit, also ich wollte nichts lernen. Ich habe sehr schnell festgestellt, dass ich im Theater geduldiger bin. Und deswegen bin ich dann doch Schauspieler geworden. Ich war auch gar nicht so schlecht, glaube ich, als junger Schauspieler – ein bisschen oberflächlich, ein bisschen schlaksig, ein bisschen rampengeil, aber deswegen habe ich dann auch den Beruf gewechselt, als ich merkte, dass es niemanden gibt, der mich erzieht als Schauspieler. Das können eben nur gute Regisseure. Die guten Regisseure machen die guten Schauspieler.

    Kranz: Studiert haben Sie an der Ostberliner Schauspielschule "Ernst Busch". Die war auch damals schon ziemlich elitär, also da kam man nicht ohne Weiteres hin. Was war denn damals Ihr Talent, als Sie sich beworben haben?

    Haußmann: Ich frage mich heute wirklich, warum die mich genommen haben. Das ist sicherlich ein Zusammenspiel von vielen Faktoren. Wir hatten ja damals eine Straßentheatergruppe, die war observiert von der Stasi, und in meiner Stasi-Akte habe ich auch einsehen können, dass die Stasi mich nicht empfohlen hat. Irgendwie muss der Hans-Peter Minetti, der der Direktor war und Volkskammerabgeordneter, sich für mich starkgemacht haben. Das muss aber nicht unbedingt an ihm gelegen haben, sondern an seiner Frau, die mich mochte, Irmgard Münch, die mit mir auch gearbeitet hat. Dann kann ich mir vorstellen, dass sie mich auch unter Kontrolle bringen wollten. Wir waren ja sehr rührig mit unserer Gruppe. Die Gruppe wurde fast vollständig an Schauspielschulen angenommen. Das war eine uns angenehme Methode, uns von der Straße weg zu kriegen.

    Kranz: Ihr erstes Engagement führte Sie nach Gera, ein mittelgroßes Theater, wo Sie auch gleich in einer Inszenierung von Frank Castorf mitspielen durften, der ja damals der große Theaterrebell der DDR war. Wie kam es dazu?

    Haußmann: Der Castorf hatte ein Jahr lang nichts zu tun gehabt. Der hatte Arbeitsverbot. Die hatten sich ja in Anklam aufgeführt wie politische Vandalen, Anarchisten. Da ist ja kaum eine Aufführung zur Premiere gekommen. Und dann hatte der halt ein Jahr lang Berufsverbot und hatte da sein Comeback. Da kamen wir eben auch zu diesem Zeitpunkt hin. Das lag wahrscheinlich am damaligen Oberspielleiter, Klaus Erfurt und Dietrich Kunze, die uns geholt hatten, wahrscheinlich auch um das Theater zu zerstören. Wir waren ihre Geheimwaffe. Denn Uwe und ich, wir waren im Prinzip unerträglich gnadenlose, anarchische Menschen, die irgendwie was ganz besonders zerstörerisches in sich hatten, weil wir etwas Neues tun wollten. Das war dann ein großer Glücksfall, dass wir mit Castorf zusammenkamen. Also für mich und mein Leben sowieso. Deswegen erscheint der in meinem Buch, wie ich finde, ein bisschen zu oft. Aber ich konnte es irgendwie nicht verhindern.

    Kranz: Was in dem Buch immer wieder auftaucht, sind Gespräche, die Sie mit einem Psychologen geführt haben. Sie haben sich vor ein paar Jahren ja freiwillig in eine psychiatrische Klinik begeben. Warum haben Sie das gemacht?

    Haußmann: Eines Morgens konnte ich nicht mehr aufstehen. Ich bin ja eigentlich ein ganz lustiger, ziemlich realistischer, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stehender Mensch, der immer davon ausgeht, dass man selber für sich verantwortlich ist usw. aber plötzlich kam ich nicht mehr aus dem Bett. Und da kam eine Frau, unsere Hausärztin, um genauer zu sein, leuchtete mir in die Pupille und sagte: Ich kenne da eine gute Klinik. Da hat mich dann mein Vater hingefahren. Das war eine Klinik tatsächlich im Wald. Es gab keinen Wegweiser dahin. Und dort werden vor allem Führungskräfte, privat versicherte Leute innerhalb kürzerer Zeit wieder fit gemacht und ins Rennen geschoben, wie so einen Boxenstopp. Es war nicht ganz klar, was ich habe – ob es Burn-out ist oder nur mangelnder Schlaf oder kein Urlaub oder zu viel Alkohol oder andere Substanzen. Es war nicht klar. Und da fühlte ich mich von Anfang an nicht wohl. Ich merkte, dieses Machtverhältnis zwischen Patient und Arzt, das war sehr unausgewogen.

    Kranz: Die Szenen, die da beschrieben werden, die könnten aus "Einer flog über das Kuckucksnest" sein.

    Haußmann: Also "Einer flog über das Kuckucksnest", da sind noch rigidere Methoden drin. Aber es ist diese freiwillige Abhängigkeit – darum geht es ja auch im "Kuckucksnest", dass die Patienten sich ganz wohl fühlen in diesem Kreis. Jeden Tag ist ein Gesprächskreis und das bringt aber gar nichts, weil man ja gar keine Verantwortung mehr für sich selber hat. Ich habe das zeitlich nicht beschrieben, wann das ist, sondern es ist für mich ein roter Faden gewesen, an dem ich die Geschichten auffädeln konnte.

    Kranz: Eine der witzigsten Szenen im Buch ist, wo Sie Ihre gute Freundin Steffi Kühnert einen Nachruf auf Leander Hausmann verlesen lassen, den Sie selbst geschrieben haben. In diesem Nachruf wird das Jahr des Todes auf das Alter 63 datiert. Jetzt sind Sie 54, als es bleiben noch neun Jahre. Was soll in den neun Jahren noch passieren?

    Haußmann: Das ist gewagt und es wäre geil, wenn es plötzlich so wäre. Ich glaube ja, dass es völlig egal ist, wann wir sterben, weil unser Leben wird immer zu kurz gewesen sein. Und wenn man tot ist, ist es einem sowieso egal. Also sollte ich mit 63 sterben, hätte ich noch neun Jahre Zeit, würde ich gern noch ein Buch schreiben. Ich würde gern einen Roman schreiben und ich würde gern noch ein paar Theaterstücke machen, die mich noch interessieren, aber mein größter Traum, den ich mir gern erfüllen würde, wäre eine Fernsehserie. "Der kleine Bruder" von Sven Regener, der "Herr Lehmann", sind sehr geeignet für eine Comedyserie - mit dem Witz, den Sven hat, sowieso. Aber es gibt noch eine andere Idee: Ich würde gern eine Serie machen über … das sage ich jetzt nicht. Mir ist schon mal eine Idee geklaut worden, die dann am Ende sehr erfolgreich war.