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"Es ist richtig, das SWIFT-Abkommen auszusetzen"

Zur Terrorismusbekämpfung dürfen die USA Bankdaten europäischer Bürger auswerten. Nun gebe es Hinweise, dass die Daten auch für andere Zwecke verwendet wurden, sagt der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Im EU-Parlament will er deshalb für eine Aussetzung des SWIFT-Abkommens stimmen.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.10.2013
    Tobias Armbrüster: Es könnte ein herber Dämpfer werden für die Beziehungen zwischen Europa und den USA. Das EU-Parlament wird heute in Straßburg möglicherweise für eine Aussetzung des sogenannten SWIFT-Abkommens stimmen. Dieses Abkommen erlaubt den USA, in großem Stil europäische Bankdaten auszuwerten, um so Terroristen aufzuspüren. Aber seit den Enthüllungen um die Aktivitäten des Geheimdienstes NSA bezweifeln immer mehr EU-Parlamentarier, dass sich die Amerikaner hier an die Spielregeln halten. Deshalb also heute möglicherweise eine Gelbe Karte in Richtung Washington. Am Telefon ist jetzt Alexander Graf Lambsdorff von der FDP, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. Schönen guten Morgen.

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Lambsdorff, wie wollen Sie stimmen heute Mittag?

    Graf Lambsdorff: Das ist ja hier ein umstrittenes Thema. Es ist keineswegs so, dass hier sich alle einig wären. Es gibt eine große Gruppe von Abgeordneten, die für eine zeitweise Aussetzung des Abkommens plädiert, damit erst einmal überhaupt der Sachverhalt aufgeklärt werden kann. Bisher haben wir ja nur die Mitteilung, dass die NSA eingedrungen sein soll in die Datensätze, die an die Amerikaner übermittelt worden sind. Ob das tatsächlich so ist, muss man ermitteln. Und ich glaube, es ist richtig, dass man in der Zeit, bis man das genau weiß, das Abkommen erst einmal aussetzt, um klar zu sehen, sind die Amerikaner eingedrungen, kann Europol das nachweisen, und wenn ja, dann muss man tatsächlich neu verhandeln.

    Armbrüster: Das heißt, Sie werden heute Nachmittag dafür stimmen, dieses Abkommen auszusetzen?

    Graf Lambsdorff: Ja, und zwar zeitweise. Es geht wirklich darum, erst einmal aufzuklären. Es gibt hier keine Zweifel daran, da gibt es auch Einigkeit hier zwischen den Fraktionen, dass man weiterhin den Terrorismus bekämpfen will, auch dadurch, dass man die Finanzströme offenlegt. Das ist überhaupt kein Problem. Nur wenn es darum geht, dass die NSA sozusagen sich an den SWIFT-Daten bereichert und damit Informationen zusammenstellt, die mit der Terrorismusbekämpfung überhaupt nichts zu tun haben – und das hat ja inzwischen der Chef der NSA auch quasi zugegeben -, dann ist das eine Anwendung dieses Abkommens, die mit der ursprünglichen Absicht nichts zu tun hat. Da werden Daten von europäischen Bürgern dann für völlig andere Zwecke der amerikanischen Regierung gebraucht, und das ist etwas, dem wir nie zugestimmt haben. Insofern ist es dann auch richtig, das Abkommen auszusetzen.

    Armbrüster: Aber nun gibt es daran ja erhebliche Zweifel, ob das tatsächlich so geschehen ist. Sollte man im Europaparlament nicht auch erst mal abwarten, ob die Belege tatsächlich stimmen, und erst dann für eine Aussetzung stimmen?

    Graf Lambsdorff: Na ja, ich meine, der Chef der NSA, Clapper, hat ja gesagt, dass die Daten durchaus gesammelt werden, um auch zum Beispiel Wirtschaftskrisen vorherzusagen oder Unregelmäßigkeiten im Finanzsektor, die wirtschaftliche Verwerfungen erzeugen könnten. Das ist ja schon ein sehr starkes Indiz dafür, dass hier mit den Daten Dinge getan werden, die ursprünglich nie vorgesehen waren. Und dann ist es auch richtig, erst einmal auszusetzen, die Lage zu untersuchen. Wir haben in Europa bei Europol ein sogenanntes Cyber-Crime-Center. Das sind Leute, die sind darauf spezialisiert, Einbrüche in Datenbanken zu ermitteln. Und ich glaube, man sollte diese Leute arbeiten lassen, um zu schauen, was kann man tun, um den Schutz dieser Daten in der Zukunft besser zu gewährleisten.

    Armbrüster: Aber dann können wir schon mal festhalten: Sie, Herr Lambsdorff, sagen, die USA haben dieses Abkommen missbraucht?

    Graf Lambsdorff: Ja. Nach dieser uns vorliegenden Information ist das der Fall. Wir haben ein Abkommen damals geschlossen, 2010, das ja sehr stark Datenschutzaspekte berücksichtigt. Das ursprüngliche Abkommen, das hat das Europaparlament ja sogar abgelehnt, weil genau das nicht der Fall war. Dann haben wir zugestimmt mit dem ganz klaren Zweck, dass das wirklich der Terrorismusbekämpfung dient. Wenn dieser Zweck nicht mehr erfüllt wird, oder aber der Zweck erweitert wird, ohne dass das Parlament erneut darüber abstimmt, dann ist das eine Situation, in der die Aussetzung des Abkommens jedenfalls für die Zeit, die man braucht, um es wirklich zu untersuchen, in meinen Augen die richtige Maßnahme.

    Armbrüster: So eine Aufkündigung eines internationalen Abkommens ist ja nicht gerade ohne. Erleben wir da gerade eine Kehrtwende, ein neues Kapitel in den europäisch-amerikanischen Beziehungen?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass die Aktivitäten der NSA gegen verbündete Regierungen – wir sehen ja die Diskussion, die gerade in Frankreich läuft, aber zum Beispiel auch in Mexiko – doch bei einigen anderen Regierungen, bei einigen anderen Parlamenten dazu geführt haben, dass man kritischer auf das blickt, was da passiert. Und für uns als Europäisches Parlament – wir verhandeln hier gerade eine große Datenschutzverordnung für ganz Europa – ist es vollkommen klar: Wir müssen und wir haben die Verantwortung dafür, die Daten der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu schützen, was die Zweckverwendung angeht, was den sparsamen Umgang mit Daten angeht, was die Information über diese Daten angeht, den Zugang dazu und so weiter und so weiter. Wir haben das Gefühl aus den vorliegenden Daten, dass das beim SWIFT-Abkommen nicht mehr der Fall ist. Das heißt, für dieses Abkommen – und ich würde jetzt nicht darüber hinausgehen –, für dieses Abkommen, wo die NSA ganz offensichtlich unerlaubt Zugang zu den Datenbanken genommen hat, für dieses Abkommen sollten wir eine Pause machen, und ich glaube, dass wir dann verhandeln müssen darüber mit den Amerikanern, wie mit solchen Daten in der Zukunft umgegangen wird.

    Armbrüster: Wie groß sehen Sie denn da die Unterstützung bei den EU-Mitgliedsstaaten? Die müssen ja bei dieser Aussetzung letztendlich dann auch noch ein Wörtchen mitreden. Und gerade die Bundesregierung hat sich ja auch in den Wochen vor der Bundestagswahl, können wir mal sagen, relativ zahm gezeigt gegenüber den USA.

    Graf Lambsdorff: Ja, das muss man aber auch kritisieren. Ich glaube, dass die Bundesregierung auch in der Lage ist zu beurteilen, ob die Datenschutzbestimmungen eingehalten worden sind, ob Ihre, ob meine Banküberweisungen, ob die Banküberweisungen der Zuhörerinnen und Zuhörer in Amerika von Behörden eingesehen werden, die dazu keinen Zugang haben dürfen. Ich glaube, wir haben hier eine Verantwortung gegenüber der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, und die müssen wir wahrnehmen, diese Verantwortung. Insofern bin ich der Meinung, obwohl ich ein Atlantiker sowohl mit dem Herzen als auch mit dem Kopf bin, dass es richtig ist, mit den Amerikanern hier in neue Gespräche einzutreten, und dazu wäre es richtig, das Abkommen zeitweise auszusetzen, um sicherzustellen, dass es in der Zukunft nicht mehr missbraucht werden kann.

    Armbrüster: Was ist denn Ihr Eindruck, kriegen die Amerikaner jetzt endlich Respekt vor dem Europaparlament?

    Graf Lambsdorff: Oh, den Respekt, den haben sie durchaus, Herr Armbrüster. Vergessen wir bitte nicht, dass die ursprüngliche Fassung des SWIFT-Abkommens von den Amerikanern und den Regierungen ja ausgehandelt worden war. Die ist dann hier vorgelegt worden und die Datenschutzbestimmungen reichten dem Parlament nicht aus. Es hat die erste Version abgelehnt und hat dann darauf geachtet, dass eine Version mit ausreichendem Datenschutzstandard vorgelegt wurde, und erst der haben wir dann zugestimmt. Also der Respekt ist schon da.

    Armbrüster: Ich will noch mal zurückkommen auf die Haltung der EU-Mitgliedsländer. Wir haben das in den vergangenen Tagen erlebt in Frankreich. Da war die Reaktion auf neue Enthüllungen über Spähaktivitäten ja doch etwas deutlicher als bei uns in Deutschland. Da wurde auch der Botschafter einbestellt. Könnte Frankreich da europaweit als Vorbild dienen, wie man mit den USA in dieser Affäre umgehen sollte?

    Graf Lambsdorff: Die Diskussion in Frankreich zeigt ja eines: Es gibt Einigkeit darüber, dass auch Nachrichtendienste notwendig sind, um Terrorismus zu bekämpfen, aber dass es vollkommen inakzeptabel ist, wenn innerhalb der Allianz Nachrichtendienste verbündete Regierungen ausspähen, die Daten, die Telefonate, die E-Mails von Politikern, von Wirtschaftsführern einsammeln in der westlichen Allianz, um daraus eigene Vorteile zu ziehen. Und ich glaube, das, was da in Paris passiert ist, das kann hier die europäische Debatte auch befördern und vielleicht auch deutlich machen, in Berlin, in Warschau, in London, in anderen Hauptstädten, dass das, was wir hier jetzt im Europäischen Parlament besprechen, etwas ist, was auch die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betrifft, denn unsere Daten, das sind die, um die es hier geht.

    Armbrüster: Alexander Graf Lambsdorff von der FDP, Außenpolitiker im Europaparlament, heute Morgen live hier bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Lambsdorff, für das Gespräch.

    Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.