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"Es ist von keinem Land so viel verlangt worden wie von Griechenland"

Das Sparprogramm mache den Griechen das Leben schwer, und dennoch habe das griechische Parlament es beschlossen. Dafür fehlt der ehemaligen griechischen Außenministerin Dora Bakoyannis die Anerkennung in Europa - auch wenn noch Reformen nötig seien.

Dora Bakoyannis im Gespräch mit Anne Raith | 16.02.2012
    Anne Raith: In Europa wachsen die Zweifel, die Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit Griechenlands. Ein ums andere Mal haben die europäischen Finanzminister ihr Treffen verschoben, auf dem sie eigentlich die für Athen so wichtigen Hilfsgelder beschließen wollten. Nun soll am kommenden Montag eine Entscheidung fallen, das haben die Euro-Finanzminister gestern Abend in einer Telefonkonferenz beschlossen. Darüber und über die wachsenden Zweifel an der Zuverlässigkeit möchten wir in den kommenden Minuten sprechen mit Dora Bakoyannis. Sie war griechische Außenministerin, Mitglied der konservativen Nea Dimokratia, bis sie 2010 ausgeschlossen wurde, weil sie für das Sparpaket der Sozialisten stimmte. Daraufhin gründete sie die liberale Partei Demokratische Allianz. Einen schönen guten Morgen nach Athen!

    Dora Bakoyannis: Guten Morgen, guten Morgen nach Deutschland!

    Raith: Frau Bakoyannis, die Entscheidung über das Hilfspaket für Griechenland wurde erneut verschoben, das Misstrauen der Minister wächst. Zu Recht?

    Bakoyannis: Nein. Ich glaube, die Minister haben nicht Recht und ich glaube, man erkennt den griechischen Politikern nicht an, dass sie am Sonntag eine sehr schwere Entscheidung getroffen haben, eine Entscheidung für ein neues Sparprogramm. Ein Sparprogramm, das praktisch den Mindestlohn auf 400 Euro bringt. Ein Sparprogramm, das wirklich für Griechenland, das mit sieben Prozent in Rezession sitzt, irrsinnig, irrsinnig das Leben schwer macht, noch schwerer als jetzt. Und das haben die, hat die große Mehrheit des griechischen Parlaments, praktisch 200 von den 300, gewählt. Und ich verstehe, dass ein Misstrauen von unseren Partnern existiert gegenüber der griechischen politischen Klasse, aber die Wahrheit ist, dass die zwei großen Parteien, obwohl sie jede eine, also, jede von ihnen fast 20 Parteimitglieder verloren hat, also Abgeordnete, dennoch dafür gestimmt hat.

    Raith: Aber Pardon, Frau Bakoyannis, die Vereinbarungen wurden aber immer nur auf den allerallerletzen Drücker eingehalten.

    Bakoyannis: Ja, ich glaube, ich selber habe von Anfang an diese Sparprogramme gewählt. Aber schauen Sie: Es ist nicht leicht. Es ist irrsinnig schwer, das Volk leidet sehr. Wir haben eine Million Arbeitslose. Zum ersten Mal sehen Sie wirklich in Athen Menschen, die kein Heim mehr haben. Es ist eine sehr, sehr schwere Aufgabe. Und ehrlich gesagt, und ich glaube, das wissen unsere deutschen Partner: Es ist von keinem Land so viel verlangt worden wie von Griechenland in einer so kurzen Zeit! Gut, ich sehe ein, es wurde nicht alles eingehalten von der Regierung Papandreou, aber jetzt ist eine neue Regierung da, also Herr Papademos, er versucht wenigstens sein Bestes, wird von den zwei großen Parteien unterstützt. Es hilft nicht, es hilft uns Griechen nicht, wenn Herr Schäuble uns sagt, was für eine Regierung wir haben sollen. Es hilft wirklich nicht unter Partnern.

    Raith: Wie sehr vertrauen Sie denn den Reformzusagen der Regierungskoalition, Ihrer Regierung, Frau Bakoyannis?

    Bakoyannis: Bitte schön, ich habe es nicht gehört?

    Raith: Wie sehr vertrauen Sie denn auf die Reformzusagen, denen ja die Europäer so misstrauen?

    Bakoyannis: Schauen Sie, ich habe von Anfang an gesagt, dass der große Fehler der sogenannten Troika in Griechenland war, dass sie von der Regierung Papandreou akzeptiert hat, dass man nur Steuer, Steuer, Steuer und noch mehr Steuer auf die Griechen, also, auf die Köpfe der Griechen schickt, aber die Reformen nicht macht. Und das wollte damals die Regierung Papandreou einfach nicht, weil, sie wollte diesen größeren Staat, so wie er war, erhalten. Das war ein Fehler. Aber es war ein Fehler, ein riesiger Fehler der Regierung Papandreou, es war aber auch ein riesiger Fehler der Troika, die das einfach mit angesehen hat. Jetzt sind wir so weit, jetzt sind wir uns alle einig, diese Reformen müssen stattfinden. Und sie müssen stattfinden, weil ohne diese Reformen kann die griechische Wirtschaft nicht wieder in Schwung kommen. Aber es hilft uns wirklich nicht, wenn jemand Aussagen macht, indem er ständig, jeden Tag das Misstrauen gegen Griechenland, gegen die griechischen Politiker oder gegen das griechische Volk macht. Ich verstehe, dass man den griechischen Politikern nicht traut, man traut denen auch in Griechenland nicht. Aber es gibt nun nichts anderes in der Demokratie als Politiker. Und wir sind ein demokratisches Land. Also, wir müssen einfach damit arbeiten, mit dem, was wir haben, und erwarten von unseren Partnern ...

    Raith: Aber müssen wir wirklich damit arbeiten?

    Bakoyannis: ... wenigstens Respekt!

    Raith: Aber müssen wir damit arbeiten? Es gibt ja zum Beispiel auch das Beispiel Italien, wo eine technokratische Regierung gerade die Geschicke leitet. Müssen wir uns auf Leute wie Antonis Samaras stützen, der ja dafür bekannt ist, für seine Nea Dimokratia immer wieder nachverhandeln zu wollen?

    Bakoyannis: Ja, schauen Sie, aber das ist eine Entscheidung, die wir Griechen treffen werden. Denn die Entscheidung werden nicht die Deutschen für uns treffen, das muss ja ganz klar sein! Glauben Sie, es gibt ein Land in der Welt, in dem man sich sagen lässt, was für eine Regierung man haben will? Und ich frage jetzt wirklich alle Zuhörer, die mir zuhören zurzeit: Könnte sich ein Land in Europa vorstellen, den Deutschen zu diktieren, was für eine Regierung sie haben werden in einem demokratischen Land? So weit geht es ja nicht! Ich glaube, ich kann meine Meinung haben, was in der Regierung Monti gut wäre, aber das kann ich mir leisten als griechische Politikerin, nicht die deutschen Politiker für mich.

    Raith: Das heißt, Sie vertrauen gewisser Weise auf die Reformzusagen der Regierungskoalition. Wie kann denn dieses Vertrauen nun auch für die EU wiederhergestellt werden, damit diese nun dringend benötigten Hilfsgelder freigesetzt werden?

    Bakoyannis: Ja, indem wir doch alles gemacht haben, was von uns verlangt wurde!

    Raith: Aber offenbar sind die Europäer damit ja nicht zufrieden.

    Bakoyannis: Beispielsweise, das griechische Parlament hat gewählt, die zwei Führer der Parteien haben sich schriftlich festgelegt, die 325 Millionen, wo wir noch mehr sparen müssen, haben wir das gemacht. Ja, was will man jetzt von Griechenland noch? Man kann doch nicht einem Land sagen von Anfang an, ja, wir trauen euch nicht, wir trauen euch zu gar nichts. Wir verlangen a), wir geben es b), wir machen es c), wir machen es. Ja, die Regierung, die aber in Griechenland existieren wird, ja, das ist unsere Arbeit, das ist nicht ...

    Raith: Der Druck und der Unmut, Frau Bakoyannis, sind ja nur gewachsen, eben weil so wenig passierte. Was passiert denn, wenn die beiden Parteien, die sich nun schriftlich zu dem Sparkurs bekannt haben, nach den Wahlen einfach nicht mehr an der Macht sind?

    Bakoyannis: Es ist sehr viel passiert in Griechenland. Man kann ja nicht alles zu Null bringen. Es ist sehr viel passiert, und das, was passiert ist mit diesem wunderbaren Rezept, ist auch, dass wir jetzt mit einer Million Arbeitslosen dasitzen und mit einer Rezession von sieben Prozent. Und wir haben sehr viel gespart und wir sind viel weiter unten in unseren Ausgaben als zuvor. Aber wir haben die Reformen - und das ist wahr - noch nicht gemacht und darüber schimpfen wir Griechen viel mehr als die übrigen. Aber was passiert, wenn die zwei Parteien nicht da sind: Ja, schauen Sie, in einer Demokratie können Sie doch nicht den anderen sagen, was Sie, wenn Sie einen anderen Kurs haben wollen, einen anderen Kurs einlegen wollen! Aber es gibt in Griechenland diese europäischen Parteien, also pro-europäischen Parteien, die wirklich sehr dafür kämpfen zurzeit. Und uns, ehrlich gesagt, ist nicht geholfen, wenn unsere Partner dastehen, als wenn sie diktieren wollen, auch was für eine Regierung es in Griechenland geben wird. Und es ist nun mal so, das sind die zwei größten Parteien. Meine Partei ist noch eine Partei, die dazukommt zu dieser Logik. Es gibt natürlich auch die Linke und es wird wahrscheinlich auch die ultrarechte Partei geben. Aber Aussagen, die wirklich Griechenland beleidigen, glauben Sie mir, die helfen nur den Kommunisten und den Ultrarechten und bestimmt nicht uns.

    Raith: Das heißt, wenn die alten Kräfte nach den Wahlen möglicherweise nicht mehr an der Macht sind, trägt Europa eine Mitschuld?

    Bakoyannis: Ehrlich gesagt, wir brauchten jetzt eine positive Botschaft, eine sehr positive Botschaft von unseren Partnern. Und die wissen auch, wie schwer es für uns ist, und die wissen auch, wie schwer es für ein Parlament ist, auf einmal den Leuten zu sagen, sie müssen mit 400 Euro leben. Und kein Politiker, der mir jetzt zuhört, kann wirklich sagen, er würde so was nicht verstehen. Und dennoch hat das griechische Parlament mit einer sehr großen Mehrheit dafür gewählt. Und ich würde wirklich erwarten, dass man uns mit allen unseren Fehlern - und glauben Sie mir, ich mache viel mehr Selbstkritik an uns als jemand anders, aber ich würde jetzt wirklich von unseren deutschen Partnern erwarten, dass man sagt, ja, okay, ihr habt das jetzt alles gemacht, jetzt macht mal weiter.

    Raith: Aber das genau sagen sie: Macht mal weiter! Warum sollte Griechenland eine positive Botschaft verdient haben?

    Bakoyannis: Weil wir ein Partnerland sind, weil wir Europa zugehören, weil wir unsere eigenen Fehler gemacht haben, aber glauben Sie mir, Europa hat zugeguckt all diese Jahre. Weil ich ein Außenminister war, der drei Jahre hin und her nach Deutschland kam und mir nie jemand gesagt hat, hör zu, irgendwas ist mit deiner Wirtschaft nicht in Ordnung. Weil wir dieses Europa, das wir wirklich zusammen, zusammen die gleiche Vision hatten, dieses Europa hat Pluspunkte, es hat auch Probleme, aber in diesem Europa müssen wir weiterhalten. Und glauben Sie mir: Ein Europa ohne Griechenland ist ein Europa, das viel ärmer sein wird. Und außerdem weiß jeder in Deutschland: Was wird passieren, wenn Griechenland morgen pleite macht? Wird Italien sicher sein? Werden die Banken in Italien, in Frankreich, in Spanien sicher sein? Wird jemand dem Euro mehr glauben? Es hat keinen Sinn. Wir müssen jetzt zueinander halten und wir müssen, wir Griechen müssen unsere Hausaufgaben machen, aber auf der anderen Seite sind wir ein stolzes Volk und wir fühlen wirklich heute, dass man uns zugrunde macht. Und das können wir nicht mehr akzeptieren ...

    Raith: ... sagt die griechisch ... Pardon!

    Bakoyannis: ... wir wollen mindestens den Respekt unserer Partner haben, auch wenn wir Fehler gemacht haben. Und es gibt kein Volk, das keine Fehler gemacht hat.

    Raith: Sagt die ehemalige griechische Außenministerin Dora Bakoyannis. Haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Bakoyannis: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.