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"Es kommt auf die Windbedingungen an"

Region Tschernobyl: Der Wind könnte radioaktive Partikel verteilen - aber das ist nicht das einzige Problem. Die Feuer in Russland dauern voraussichtlich noch mehrere Wochen an. Und zerstören vor allem junge Baumbestände.

Nina Grießhammer im Gespräch mit Theo Geers | 11.08.2010
    Theo Geers: Eigentlich wollte ich mit der Gesprächspartnerin, die jetzt am Telefon ist, über die ökologischen Folgen der Waldbrände in Russland sprechen. Nina Grießhammer ist Forstwirtin und weiß als Waldexpertin, welche Katastrophe sich gerade in Russlands Wäldern tatsächlich abspielt. Aber dann kam heute Morgen noch eine zusätzliche Horrormeldung. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl holt uns wieder ein, denn seit heute Vormittag brennen in Russland Wälder, die damals beim Supergau vor 24 Jahren radioaktiv verseucht wurden. Frau Grießhammer, was heißt das denn?

    Nina Grießhammer: Das heißt ganz einfach, dass die Partikel, die brennen, sprich der Boden und auch die Pflanzenpartikel und die Bäume, die Radioaktivität noch in sich tragen, auch in die Atmosphäre freigesetzt werden. Man geht momentan davon aus, dass die Auswirkungen sozusagen auf die unmittelbare Region Bestand haben wird, und wie es wirklich ausgehen wird, weiß man nicht, weil das sehr stark vom Brandgeschehen und auch vom Wetter, also auch vom Wind und Regen abhängen kann.

    Geers: Könnte denn die Radioaktivität auch wieder zu uns herüberkommen wie damals vor 24 Jahren?

    Grießhammer: Die Aussagen stehen da noch nicht fest. Man weiß auch noch nicht, wie intensiv es brennen wird, und es kommt dann wirklich ganz, ganz stark auf die Wetter-, also auf die Windbedingungen an. Momentan geht man davon aus, dass es sich nur auf die unmittelbare Region auswirken wird.

    Geers: Auch das wäre ja schon schlimm und generell sind ja auch die Waldbrände in Russland ein ökologisches Disaster. Wie groß ist das Disaster eigentlich?

    Grießhammer: Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Es kommt wirklich darauf an, welche Flächen sind betroffen. Ganz dramatisch jetzt hier im Fall Russland ist einfach, dass die Wälder brennen, also die Bäume, die oberirdische Masse, und eben im Unterschied zu Bränden, die wir aus dem Mittelmeer-Raum kennen, eben auch der Torf, die ganzen ehemaligen Torfgebiete auch mit brennen. Das ist einfach: Der Torf ist energetischer Grundstoff, das brennt wie Zunder und schwelt eben auch noch Wochen, gar bis Winter weiter.

    Geers: Nun habe ich gelesen und es heißt auch immer wieder, es brenne regelmäßig, um nicht zu sagen jedes Jahr in Russlands Wäldern. Ist es denn diesmal schlimmer?

    Grießhammer: Schlimmer ist es einfach dadurch, durch die gigantische Hitzeperiode, die Russland heimgesucht hat oder auch immer noch heimsucht und die Brände dann wirklich auch in die nicht wiedervernässten Torfgebiete vordringen. Das heißt, die oberirdische Masse brennt und zusätzlich halt wirklich auch noch der Torf, und das potenziert sich einfach plus die Hitzewelle.

    Geers: Wenn es denn gebrannt hat, Frau Grießhammer, wie erholt sich die Natur hinterher? Fangen wir mal an mit alten Baumbeständen. Man sieht im Fernsehen die Bilder von den verbrennenden Baumkronen. Können sich diese Bäume hinterher noch wieder erholen?

    Grießhammer: Die alten Bestände haben oft Glück, wenn nicht die Kronen betroffen werden. Wenn wir in die alten Kiefernwälder schauen, die haben eine dicke Borke, die sind da viel feuerresistenter. Die sind "das gewöhnt", oder haben durch ihre Borke eine Art Feuerschutzmäntelchen an. Die können sich erholen.
    Erholen können sich die aber nicht, wenn das Feuer durch die Kronen jagt, wenn das wirklich im oberen Bereich ist und die ganzen Kronen, wo auch die Zapfen hängen, betroffen sind und komplett vernichtet werden, weil dann habe ich keine Zapfen mehr, die sind verbrannt, und auch die Samen, sprich der Nachwuchs, ist verbrannt. Dann schafft der Wald auch nicht mehr die eigene Regeneration.

    Geers: Wie sieht es denn aus mit jüngeren Beständen?

    Grießhammer: Die jüngeren, die genutzt worden sind oder gar übernutzt worden sind durch die Forstwirtschaft, denen geht es ganz, ganz schlecht. Die werden meist komplett vernichtet und dann muss man da künstlich eingreifen und die auch durch menschliche Hand wiederbewalden.

    Geers: Was bleibt denn da übrig, eine Steppe, oder eine Wüste, oder kann man das wirklich alles problemlos dann wieder aufforsten?

    Grießhammer: Aufforstung ist grundsätzlich immer sehr, sehr kostenintensiv und auch mit hohen Ausfallquoten behaftet, weil die Flächen sind… also eine Versteppung habe ich noch nicht. Das kommt erst im schlimmsten Falle, wenn es regelmäßig brennt. Dann kommt eine Verbuschung und eine Vergrasung. Davor muss man natürlich eingreifen und aufforsten. Das ist aber immer sehr, sehr schwierig, weil man dann große Flächen hat. Die sind von Wetterextremen heimgesucht, sprich von extremer Hitze und Trockenheit im Sommer und im Winter eben ganz schnell von Frost.

    Geers: Danke schön! – Das war Nina Grießhammer vom WWF über die ökologischen Folgen der Waldbrände in Russland.