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"Es kommt darauf an"

Recht. - Patienten und potentielle Spender für die Forschung haben inzwischen gewisse Rechte. Wie weit diese gehen und ob sie gegebenenfalls sogar ein Recht auf Teile der späteren Erlöse umfassen, erläutert Jochen Taupitz, Professor für Medizinrecht an der Universität Mannheim, im Gespräch mit Monika Seynsche.

01.10.2010
    Seynsche: Herr Taupitz, wäre so etwas heute noch möglich?

    Taupitz: Also, in der Wissenschaft findet Gott sei Dank mittlerweile eine andere Praxis als damals Einzug. Heute werden die betroffenen Patienten, die Spender, in der Regel gefragt, ob sie bereit sind, Körpermaterial, das aus medizinischen Gründen aus ihrem Körper entfernt wird, ob das für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden darf. Aber rechtlich gesehen ist das nicht in allen Fällen notwendig.

    Seynsche: Aber wieso ist das nicht notwendig? Wenn es doch Material aus meinem Körper ist?

    Taupitz: Wir sprechen ja nur von Material, das schon von Ihrem Körper getrennt wurde, aus therapeutischen Gründen beispielsweise. Nun ist es so, dass an dem bereits getrennten Körpermaterial sich zwar das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, des Patienten fortsetzt. Aber ob eine rechtswidrige Verletzung dieses Persönlichkeitsrechts durch eine Verwendung dieser Zellen in der Forschung gegeben ist, das hängt von einer umfassenden Güter-und Interessenabwägung ab. Wenn beispielsweise entnommenes Körpermaterial völlig anonymisiert für die Lehre in einem Labor verwendet wird, dann wird man darin keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Betroffenen sehen können. Wenn es aber personenbezogen verwendet wird, und jeder weiß, das ist Material von Taupitz, das hier benutzt wird, dann ist das sehr wohl eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Mit anderen Worten: Es kommt darauf an!

    Seynsche: Diese HeLa-Zellen haben ja zu wirklich großen wissenschaftlichen Fortschritt geführt. Gibt es denn bei solchen und ähnlichen Fällen die Möglichkeit, dass der Spender später an den Gewinnen, die es gibt, beteiligt werden könnte?

    Taupitz: Also, selbstverständlich kann man, bevor man die Zellen für die wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung stellt, mit den Forschern vereinbaren, inwiefern man beteiligt wird. Aber hier ist der Fall ja so, dass die Spenderin nichts davon erfahren hat. Dann wird man sie auch nicht an den finanziellen Gewinnen im großen Umfang beteiligen können. Sie bekäme allenfalls das, was sie bei vernünftiger Betrachtungsweise damals gefordert hätte, als Gegenleistung gewissermaßen für ihre Zustimmung. Und angesichts der Tatsache, dass man im allgemeinen bei solchem Körpermaterial im Vorhinein ja nicht weiß, was damit später einmal gemacht werden wird, wird man nicht mehr als die heute üblichen 20 oder 30 Euro für eine Blutspende zahlen können. Selbst wenn das Material unberechtigterweise verwendet wurde, also wenn man sie damals hätte fragen müssen, wird sie nicht an den immensen Gewinnen beteiligt werden. Stellen Sie sich vor: Ein berühmter Maler hat ein Bild mit gestohlenen und Farben gemalt. Dann kann der ursprüngliche Eigentümer der Farben ja auch nicht verlangen, dass er den Wert des Bildes herausbekommen. Das ist eben die Leistung des Malers, dass er eben dieses Bild gemalt hat.

    Seynsche: Sie hatten erwähnt, dass es in Deutschland in der Regel eine Einverständniserklärung des Patienten gibt, oder geben sollte. Wie ist es denn, wenn sich dann später das Forschungsziel ändert. Also ich Zellen für die Krebsforschung spende, dann aber etwas ganz anderes damit erforscht wird?

    Taupitz: Ja, es ist umstritten, wie pauschal, global eine Einwilligung des Spenders sein kann, oder wie eng begrenzt sie sein muss. Es gibt einige, die verlangen eine ganz konkrete Einwilligung. Also für dieses konkrete Forschungsprojekt, oder jedenfalls für eine bestimmte Forschungsrichtung, also Krebsforschung. Ich halte das für nicht richtig, denn wenn ein Betroffener weiß, in welche Unsicherheit hinein er seine Einwilligung erteilt, warum soll es mir dann beispielsweise verboten sein, zu sagen, Ihr in der medizinischen Forschung dürfte mit meinem Material machen, was Ihr wollt. Das ist doch ein unerträglicher Paternalismus, wenn man den Menschen verbietet, ihr Material für beliebige Forschung zur Verfügung zu stellen. Umgekehrt hat natürlich jeder Betroffene das Recht zu sagen, meine Zellen aber bitte nur für die Krebsforschung, oder nur für die Alzheimerforschung. Dieses Recht hat jeder, selbstverständlich, und dann ist es Sache des Forschers, ob er sich darauf einlässt, oder ob er sagt, na ja, da kann ich mit diesen Zellen nicht richtig forschen und deswegen will ich sie lieber gar nicht haben.