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"Es lebe die Deutsche Republik"

Deutschland hat lange gebraucht, um eine parlamentarische Demokratie zu werden. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wurde der Kaiser gestürzt, bald gab es die ersten freien Wahlen, und am 6. Februar 1919, trat die Nationalversammlung zusammen, die den Auftrag hatte, eine Verfassung zu verabschieden. Doch die Umstände, unter denen dies geschah, waren ungünstig.

Von Winfried Sträter | 06.02.2009
    Zehn Grad minus: Es ist bitterkalt, als sich die Delegierten der Nationalversammlung auf den Weg nach Weimar machen. Sie reisen in ungeheizten Zügen. Frierend erreichen sie die Stadt, in der sie die Verfassung für die erste deutsche Republik erarbeiten und verabschieden sollen.

    "Ich hoffe, dass, während wir in Weimar ein Werk vollenden wollen, das zum Segen des ganzen deutschen Volkes gereichen wird, Ihr fernerhin sorgen werdet, dass Ruhe und Ordnung in Berlin erhalten bleiben."

    Das sagt Friedrich Ebert, der Chef der provisorischen Regierung, seinen Soldaten beim Abschied aus Berlin. Knapp zwei Monate ist es her, da hatten demonstrierende Arbeiter den Kaiser gestürzt, und der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann hatte spontan von einem Fenster des Reichstags aus die Republik ausgerufen:

    "Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die Deutsche Republik."

    Eine deutsche Republik: Es ist der zweite Versuch nach 1848. Aber im kalten Februar 1919 ist die Stimmung gedrückt. Die Volksvertreter entweichen ins abgelegene Weimar, weil die Hauptstadt Berlin zu unsicher ist. Der Spartakusaufstand, dessen blutige Niederschlagung, das Wüten der rechtsradikalen Freikorps, die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg: Deutschland erlebt Wellen der Gewalt, die das politische Klima vergiften.

    Trotzdem haben die demokratischen Parteien bei der Wahl zur Nationalversammlung eine große Mehrheit erhalten: die SPD knapp 38 Prozent der Stimmen, das Zentrum knapp 20 Prozent und die liberale Demokratische Partei knapp 19 Prozent. Zusammen ist das eine solide Zweidrittel-Mehrheit für die Demokratie.

    "Meine Damen und Herren! Die Reichsregierung begrüßt durch mich die verfassungsgebende Versammlung der deutschen Nation."

    Mit diesen Worten eröffnet Friedrich Ebert am 6. Februar 1919 um 15.15 Uhr im Nationaltheater von Weimar die konstituierende Sitzung der Nationalversammlung. Fünf Tage später wird Ebert mit 277 von 379 Stimmen zum Reichspräsidenten gewählt. Die Republik, die die Bezeichnung "Deutsches Reich" beibehält, hat ein Oberhaupt - und zwei Tage später die erste Koalitionsregierung mit Philipp Scheidemann als Reichskanzler.

    Die Nationalversammlung arbeitet intensiv an dem Verfassungsentwurf, den der linksliberale Staatsrechtler Hugo Preuß vorgelegt hat. Sie erledigt die Arbeit innerhalb von nur sechs Monaten und verabschiedet die Verfassung Ende Juli mit großer Mehrheit. Reichspräsident Ebert erklärt:

    "Das Wesen unserer Verfassung soll vor allem Freiheit sein. Freiheit für alle Volksgenossen. Aber jede Freiheit, an der mehrere teilnehmen, muss ihre Satzung haben. Diese haben Sie geschaffen. Gemeinsam wollen wir sie festhalten."

    Auf der formalen Ebene hat die Republik, die man später "Weimarer Republik" nennen wird, einen guten Start: Die Verfassung markiert - nach den historischen Rückschlägen 1848 und 1871 - einen Durchbruch für Freiheit und Demokratie. Und der Reichspräsident ist der erklärte Hüter der Verfassung:

    "Aus Ihrem Vertrauen bin ich an die erste Stelle im Deutschen Reich gestellt worden. In Ihre Hand habe ich das Gelöbnis abgelegt, die von Ihnen für das deutsche Volk geschaffene Verfassung treu zu wahren."

    Als Ebert dies anlässlich der Unterzeichnung der Verfassung am 11. August 1919 erklärt, steht die Republik jedoch schon vor existenziellen Herausforderungen.

    Die Regierung Scheidemann ist zurückgetreten, weil sie den Versailler Friedensvertrag für unzumutbar hielt. Die radikale Linke kämpft gewaltsam gegen den neuen Staat, die kaisertreuen Reichswehrgeneräle bringen die Demokraten mit der Dolchstoßlegende in Verruf, und mehr und mehr Bürger würden am liebsten ihren alten Kaiser Wilhelm wieder haben. Im ganzen Land herrschen Nachkriegsnot und Depression wegen des unverhofft verlorenen Krieges. In dieser Situation hilft das Weimarer Verfassungswerk wenig.

    Ein Wirtschaftswunder könnte wohl die Gemüter beruhigen. Aber das ist nicht in Sicht.