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"Es sind die Wenigsten, die den Weg schaffen"

Ursula Caberta, Scientology-Beautragte des Hamburger Senats, sieht in der totalen Kontrolle durch die Organisation das Hauptmotiv für Ausstiegsversuche von Mitgliedern. Das "System Scientology" baue allerdings ein extremes Feindbild der Außenwelt auf, so dass sich viele Aussteiger nicht bei den Behörden meldeten.

31.07.2007
    Ursula Caberta: Spätestens nach dem Beginn der Dreharbeiten zum Stauffenberg-Film von Tom Cruise steht Scientology wieder in den Schlagzeilen. Bei allem Hin und her, ob ein bekennender Scientologe wie Cruise einen solchen Film in Deutschland ohne Behinderung in Deutschland drehen darf oder nicht, ist ein Randaspekt dieser Diskussion über die Gefahren, die von dieser Organisation ausgehen. Interessanter eine Entwicklung in der vergangenen Woche: Stiefkinder der Scientology-Direktorin in Berlin, 14 und 25 Jahre alt, sind nach Hamburg gefahren - einige sagen geflüchtet. Die 14-Jährige hat sich dort der Obhut des Jugendamtes unterstellt. Am Telefon ist nun Ursula Caberta, Scientology-Beautragte des Hamburger Senats. Ich grüße Sie.

    Klaus Remme: Frau Caberta, ist das Wort Flucht allzu reißerisch?

    Caberta: Ja, Flucht … für Flucht hat man ja andere Begriffe eigentlich. Von Berlin nach Hamburg kommt man ja ganz bequem im Zug auch.

    Remme: Was ist der Hintergrund dieser Entwicklung?

    Caberta: Der Sohn, also der 25-Jährige, hatte wohl schon länger damit, ja, geliebäugelt oder sich klargemacht, dass er die Organisation verlassen wollte. Er ist schon als Kind durch seine Eltern hineingekommen und hat dann seine Stiefschwester, da gibt es wohl – so wie die Schilderungen der beiden auch sind – eine enge Beziehung zwischen diesen Stiefgeschwistern, und die hat sich dann entschlossen, mitzugehen, und insofern sind sie dann nach Hamburg gefahren, um Hilfe und Beistand bei uns zu bekommen.

    Remme: Und, Frau Caberta, wo sind die beiden Aussteiger jetzt?

    Caberta: Die sind nach wie vor in Hamburg. Die 14-Jährige ist, wie sich das gehört, wird vom Jugendamt begleitet und der 25-Jährige von uns.

    Remme: Das heißt, wenn Sie sagen, von uns?

    Caberta: Ja, von unserer Dienststelle als Arbeitsgruppe Scientology. Es gibt ja nach jedem Ausstieg, egal wie alt und wie lange man da war, immer so ein paar Sachen zu regeln, und das besprechen wir jetzt mit ihm, was so jetzt die Zukunft bringen kann.

    Remme: Können Sie uns das noch mal konkreter erläutern, wie Sie mit solchen Fällen – es sind ja nicht die ersten – umgehen. Sie haben gerade unterschieden, Hilfe für Aussteigerkinder ist ja durch die Behörden staatlicherseits vermutlich leichter und auch vor allen Dingen pflichtgemäß zu organisieren. Wie viel Unterstützung bekommen Erwachsene?

    Caberta: … Also, das Erste ist, erst mal festzustellen, was ist denn während der Scientology-Mitgliedschaft eigentlich passiert, denn der Regelfall ist so, dass die Menschen ja ihren, wenn sie erwachsen sind, ihren Arbeitsplatz, häufig auf die Kontakte zu ihrer Familie aufgegeben haben, sich für ein Leben in der Organisation entschieden haben beziehungsweise entscheiden mussten und dann praktisch Abbruch vom … Man hat sich in eine andere Welt begeben, in die Parallelwelt Scientology, und der Weg in die reale Welt ist dann doch mit ein paar Holpersteinen gepflastert. Das ist immer unterschiedlich, aber der Regelfall ist, dass Schulden da sind, dass erst mal wieder aufgebaut werden muss ein Kontakt in die Arbeitswelt, wenn noch was möglich ist und ähnliches. Also, da sind verschiedene Probleme zu bewältigen und vor allen Dingen auch sich lösen von dem Gedankengut der Organisation, was ja über die Zeit sich in die Gehirne eingeschlichen hat durch die ganzen Kurse und Seminare, die scientologyinterne Sprache sich wieder abzugewöhnen, die ja ein Hindernis ist in der normalen Welt und ähnliches, und da muss man dann genaue Gespräche führen, um einzuschätzen, welche Möglichkeiten gibt es und dabei unterstützen wir dann diese Personen.

    Remme: Frau Caberta, bei Minderjährigen mögen die Eltern Scientologen sein, aber sie sind ja nicht aus der Welt. Reden sie mit ihnen?

    Caberta: Also, ich würde mit ihnen reden, nur die reden nicht mit mir. Das ist mir, also, ich habe keine Probleme, mit Eltern oder überhaupt mit Mitgliedern der Organisation zu reden, wenn es denn möglich wäre, mit ihnen zu reden, nur, die Eltern wollen nicht mit mir reden. Aber das müssen sie auch nicht, weil für die Belange der Kinder sind die Jugendämter zuständig und da müssen sie sich einlassen, weil sie schlicht und einfach gefragt werden.

    Remme: Das heißt, in diesem Falle gibt es durchaus Kontakt der Jugendbehörde mit den Eltern?

    Caberta: Ja, natürlich. Die sind auch sofort natürlich informiert worden, das ist ja auch gesetzlich vorgeschrieben und das ist ja auch richtig so, dass die Eltern auch mit der Situation der Kinder oder Jugendlichen konfrontiert werden, um vielleicht ja auch die Chance, auch den Eltern die Chance zu bieten, zu sagen, wir entscheiden uns jetzt für unser Kind und gegen die Organisation. Das ist zwar eher selten, aber man soll ja niemanden verloren geben.

    Remme: Sie haben seit Jahren mit diesem Thema zu tun, Frau Caberta. Wovor flüchten Scientology-Aussteiger?

    Caberta: Sie gehen in der Regel raus, weil ihnen das Leben in Scientology irgendwann zu viel wird, die Gründe sind sehr unterschiedlich. Für viele ist der Druck innerhalb der Organisation – also, Scientology hat ja innerhalb der Organisation ein totales Kontrollsystem, jeder kontrolliert jeden, wer von den Regeln innerhalb der Organisation abweicht, muss damit rechnen, dass so genannte Wissensberichte über ihn geschrieben werden und so – und innerhalb dieses … Also, für mich erscheint nach all den Jahren ein Punkt: Je stärker die Kontrolle wird, und je mehr das empfunden wird, also je mehr so genannte Ethikmaßnahmen eingreifen, desto eher ist jemand in der Lage, die Unfreiheit, die in dem System existiert, zu erkennen. Und dann haben die meisten Chancen, sich zu lösen, die Menschen, die in irgendeiner Art noch Kontakt in die Außenwelt haben.

    Remme: Ist die Zahl der Aussteiger in den letzten Jahren gestiegen, gesunken, gleich geblieben?

    Caberta: Ach, es ist ja immer eine Minderheit, also, das darf man nicht vergessen, es sind die Wenigsten, die den Weg schaffen. Nicht alle, die den Versuch machen, sich zu lösen, kennen wir, weil nicht alle sich an Beratungsstellen wenden, weil zum System Scientology auch ganz extrem gehört das Aufbau des Feindbildes der Außenwelt, also, Behörden gelten per se als Feindesland, und insofern ist das schwierig, insofern würde ich ungern über Zahlen reden, aber ich gehe davon aus, dass wesentlich mehr Leute den Ausbruch versuchen und dann vielleicht auch scheitern, als wir wissen.

    Remme: Warum haben die beiden gerade in Hamburg nach Schutz gesucht?

    Caberta: Ja, Hamburg ist unsere Dienststelle in der Form die einzige bundesweit, und ist auch durchaus bekannt als Stelle. Außerdem wissen auch viele, dass wir andere Aussteiger kennen und manchmal wird auch der Kontakt erst mal zu einem anderen Aussteiger gesucht und der dann mit uns, an uns weiterleitet, sozusagen, wenn sie Hilfe brauchen, …

    Remme: Aber warum gibt es so was wie Ihre Stelle nicht in Berlin, wo doch Scientology dort gerade so prominent auftritt?

    Caberta: Ja, das ist jetzt nicht nur Berlin, sondern auch in anderen Bundesländern, also, Hamburg hat ja damals schon, also vor 15, 16 Jahren, die Entscheidung getroffen, so eine Stelle zu installieren. Es sind politische Entscheidungen, ich sage jetzt mal, also, ohne denen da alle zu nahe zu treten, aber von der, ja, vom Ernsthaftigkeit des politischen Willens dann auch Hilfe anzubieten für Menschen, das war wohl in Hamburg etwas ausgeprägter als woanders.

    Remme: Ursula Caberta war das, die Scientology-Beauftragte des Hamburger Senats, Frau Caberta, vielen Dank.

    Caberta: Ja, gerne.