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"Es sind nicht unbedingt Tausende"

Sibylle Laurischk bewertet die Stärkung des Sorgerechts von unverheirateten Väter durch den Europäischen Gerichtshof als positiv. Einen Ansturm auf die Familiengerichte in Deutschland befürchtet die FDP-Familienpolitikerin jedoch nicht.

Sibylle Laurischk im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.12.2009
    Christoph Heinemann: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat heute die Mitspracherechte eines von seiner Familie getrennt lebenden ledigen Vaters bei der Sorge für sein Kind gestärkt. Nach geltender Rechtslage können in Deutschland unverheiratete Väter das Sorgerecht für ihre Kinder nur mit dem Einverständnis der Mutter bekommen.
    Am Telefon ist Sibylle Laurischk (FDP), die Vorsitzende des Jugend- und Familienausschusses des Bundestages. Guten Tag.

    Sibylle Laurischk: Guten Tag.

    Heinemann: Frau Laurischk, eine Entscheidung in die richtige Richtung?

    Laurischk: Für mich nicht wirklich überraschend und das Thema wird ja schon lange diskutiert, inwieweit eine Änderung der Gesetzeslage notwendig ist, sodass Väter, auch wenn sie nicht mit der Mutter verheiratet sind, das Sorgerecht fürs Kind bekommen können.

    Heinemann: Noch mal die Frage: eine richtige Entscheidung?

    Laurischk: Ich denke, dass diese Entscheidung umzusetzen sein wird und insofern dann auch richtig ist. Aber sie muss natürlich mit Augenmaß erst mal gelesen werden und dann auch bewertet werden.

    Heinemann: Müssen die Familiengerichte in Deutschland jetzt mit einem Ansturm rechnen?

    Laurischk: Das glaube ich nicht. Es gibt sicherlich ganz krasse Fälle, in denen Väter begründet das Sorgerecht gern hätten, auch Kontakt zu ihren Kindern haben und sich um sie kümmern wollen und dann keine Möglichkeit haben, das rechtlich durchzusetzen. Die werden absehbar, denke ich, eine Möglichkeit bekommen. Aber es sind nach meiner Wahrnehmung nicht unbedingt Tausende, aber es sind sicherlich eine ganze Reihe. Vielleicht ist die Entscheidung dann aber auch Anlass, dass die Eltern, sprich die Mutter, die das Sorgerecht hat, und der Vater, der es noch nicht hat, noch mal neu ins Gespräch kommen und sich dann schon die Lösung ergibt, die jetzt bereits besteht, nämlich dass eine entsprechende Erklärung von der Mutter abgegeben wird, sodass beide Eltern dann auch sorgeberechtigt sind.

    Heinemann: Frau Laurischk, wir haben die Äußerung von Franzjörg Krieg von der Organisation "Väteraufbruch" eben im Beitrag von Martin Durm gehört: Seine Hoffnung, die Koalition werde jetzt eine entsprechende Gesetzgebung auf den Weg bringen. Was muss sich in der Gesetzgebung konkret ändern?

    Laurischk: Ich kenne jetzt das Urteil noch nicht im Wortlaut und das ist natürlich eine Voraussetzung, dass man so eine Frage beantworten kann. Aber es geht ganz konkret um die Frage, soll es in Zukunft weiterhin nur vom Wunsch der Mutter abhängen, oder ist der Wunsch des Vaters, das Sorgerecht zu haben, auch dann automatisch zu berücksichtigen. Da, meine ich, wird es auch um die Frage gehen, inwieweit die Eltern tatsächlich zusammenleben, auch eine soziale Beziehung besteht. Es ist meiner Ansicht nach schwierig in Fällen, in denen praktisch keine Beziehung familiärer Natur zwischen den Eltern besteht und sozusagen völlig fremde plötzlich rechtlich verbunden sind. Sie sind es natürlich durch die Tatsache des gemeinsamen Kindes, und um dessen Interessen wird es auch gehen. Also ich bin sicher, dass wir eine differenzierte und ausgewogene Diskussion dieses Themas auch im Bundestag haben werden, und ich kann mir gut vorstellen, dass hier auch die Bundesregierung bald aktiv wird, und natürlich wird diese Entscheidung genau geprüft werden.

    Heinemann: Wie bekommt man denn rechtlich beides unter einen Hut, beides in ein Gesetz, nämlich die Rechte oder die Interessen von Vätern, die sich um ihre Kinder kümmern möchten, und die Versäumnisse jener, die sich um nichts kümmern?

    Laurischk: Es wird wahrscheinlich doch darum gehen, dass eine soziale Verbindung darstellbar ist, die dann auch Sinn macht für das gemeinsame Sorgerecht. Wenn völlig fremde, die aufgrund einer kurzen Begegnung ein gemeinsames Kind haben, in einer solchen Situation zusammengespannt sind, dann ist das unter Umständen schwierig. Aber auch das muss man diskutieren. Ich möchte mich da jetzt im Moment auch nicht abschließend äußern, denn ich kenne wie gesagt das Urteil nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir dort sehr ausgewogene Lösungen finden. Die Richtung ist für mich jedenfalls schon klar, dass auch Väter in ihrem Wunsch, fürs Kind zu sorgen, entsprechende Rechte eingeräumt bekommen sollten. Ich denke, die Rechte haben dann aber auch Pflichten, und ich glaube, darauf werden wir auch achten müssen. Wenn sich jemand überhaupt nicht ums Kind kümmert, aber ein Recht beansprucht, das ist unter Umständen vielleicht dann doch zu wenig. Das ist meiner Ansicht nach die Kehrseite der Medaille. Rechte bedingen auch Pflichten und das wird sicherlich auch in der Diskussion der Gesetzeslage dann zu berücksichtigen sein.

    Heinemann: Frau Laurischk, die Richter berufen sich auf die Achtung des Familienlebens. Das steht in der Begründung wohl offenbar drin.

    Laurischk: Genau.

    Heinemann: Wieso muss ein Bundesbürger dafür erst in Straßburg klagen?

    Laurischk: Die Rechtslage in Deutschland war bislang und ist auch noch eben so, wie sie ist, dass nur die Mutter eines nichtehelichen Kindes die alleinige Sorge hat, es sei denn – und das ist eben auch schon Rechtslage -, die Eltern verständigen sich darüber, dann können sie in einer gemeinsamen Erklärung die gemeinsame Sorge auch jetzt schon haben. Da ist eine Rechtsentwicklung von Straßburg sehr wahrscheinlich ja jetzt eben angestoßen und ich denke, im Interesse der Väter, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, das auch tatsächlich tun, ist das auch eine richtige Entwicklung.

    Heinemann: Sibylle Laurischk (FDP), die Vorsitzende des Jugend- und Familienausschusses des Deutschen Bundestages, in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Laurischk: Auf Wiederhören! Ich danke auch.