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Es sterbe der König!

Einen König zu töten ist keine einfache Angelegenheit, wenn man damit nicht nur einen einzelnen Repräsentanten der Monarchie, sondern die Monarchie selbst vernichten will. In den ersten Jahren nach der Französischen Revolution, in denen die bloße Anwesenheit des Königs immer noch eine Bedrohung war, stellte sich die drängende Frage, was mit Ludwig XVI. und seiner Frau Marie-Antoinette geschehen sollte.

Von Leander Scholz | 07.02.2007
    Zwar hatte die Nationalversammlung längst den Platz des Königs eingenommen, aber die Zuneigung der Untertanen zu ihrem Monarchen hatte deswegen keineswegs aufgehört zu existieren. Auch wenn in der neuen Ordnung des Bürgertums kein Raum mehr war für die prachtvolle Symbolik der Monarchie, ging von der Majestät immer noch eine unheimliche Faszination aus.

    Um den Konterrevolutionären dieses symbolische Kapital zu nehmen, gab es keine andere Alternative, als den König zu töten, und zwar so, dass sich kein anderer mehr an seine Stelle setzen konnte. Die Untertanen sollten begreifen, dass der König nicht nur ein illegitimer Herrscher, sondern ein Monstrum war, dem nicht einmal mehr das Recht auf einen Prozess zustand. Weil der König dem Bürgertum gegenüber ein Fremdkörper war, sollte er wie ein Fremder erschlagen werden, zufällig, nebenbei und vor allem ohne Gerichtsprozess. Wer außerhalb des Rechts steht, kann nicht mit den Mitteln dieses Rechts verurteilt werden. Selbst dem Akt der Königstötung sollte jede Würde genommen werden. Vom Ruhm der Majestät durfte nicht das geringste übrig bleiben. Schließlich wurde Ludwig XVI., aller seiner Machtinsignien entkleidet und erniedrigt, am 21. Januar 1793 nach einem Schauprozess öffentlich hingerichtet. Ein paar Monate später ereilte die Königin das gleiche Schicksal. Und trotzdem endete mit dem Tod des Königs nicht dessen Erzählung, die noch lange den Gesellschaftskörper beherrschen sollte.

    In seinem Buch "Das Porträt des Königs" analysiert der französische Philosoph Louis Marin die ästhetischen und narrativen Elemente, mit denen die große Erzählung vom König über Jahrhunderte hinweg in Szene gesetzt wurde. Maler, Historiker, Dichter und Gelehrte, sie alle arbeiteten daran, den Glanz und die Würde des souveränen Königskörpers entstehen zu lassen. Jede Produktion von Sichtbarkeit und Sagbarkeit mündete in das Porträt einer Gesellschaft, in dessen Zentrum der König stand. Denn nicht erst seit der Erfindung moderner Massenmedien gilt, dass jede Macht, unabhängig davon, ob es sich um eine Monarchie, eine Diktatur oder eine Demokratie handelt, auf ästhetische Prozesse angewiesen ist, um ihre Herrschaft zu legitimieren.

    Am Porträt des Königs zu arbeiten, bedeutete deshalb im Zeitalter des Absolutismus, dass alle Zeichen auf nur einen Urheber verweisen durften. Jedes öffentliche Bild musste seinen Ursprung in einem Urbild haben, auf dem die Macht der Krone zu sehen war. Und jede historische Erzählung kannte nur ein einziges handelndes Subjekt, das den Fortgang der Geschichte verbürgte. Alles, was geschah, geschah ausschließlich aufgrund der Tatsache, dass es durch den Willen des Königs sanktioniert worden war. Der berühmte Ausspruch Der Staat bin ich, der dem Sonnenkönig Ludwig XIV. zugeschrieben wird, meint daher kein Individuum, das den Staat in Besitz genommen hat, sondern die Instanz des Königskörpers, in dem die Körperschaft des Staates zusammengefasst ist. Die Körper der Untertanen gibt es nur, weil der Königskörper diesen das Leben schenkt.

    So wie jedes geglückte Unternehmen dieser Untertanen daher ein Lob des Königs darstellt, bedeutet umgekehrt jedes Verbrechen immer ein Vergehen an der unumschränkten Macht des Monarchen, deren Geheimnis einzig in ihrer Repräsentation begründet ist. Denn im Zentrum dieser Repräsentation steht das aus einer langen religiösen und juridischen Tradition des Reichs und der Kirche überkommene theologische Modell des eucharistischen Körpers. Ohne den Satz "Dies ist mein Leib" könnte der Satz "Der Staat bin ich" seine Wirkung nicht entfalten. Für Marin dient die ästhetische Inszenierung der Macht daher nicht nur der Beschönigung und Verschleierung ihrer Taten. Denn wenn der König einzig in repräsentativer Form real präsent ist, findet er das Absolute seiner Macht nur, indem er zu seinem eigenen Bild wird. Die absolutistische Macht verdankt ihre Macht ausschließlich der Absolutheit ihrer Darstellung.

    Louis Marins medienphilosophische Analyse des Absolutismus gehört zu einer für die Kulturwissenschaften immer wichtiger werdenden Forschungsrichtung, die das Geheimnis politischer Macht nicht in der Potenz zu herrschen sieht, sondern in der Konstruktion des Ästhetischen, die es erlaubt, eine imaginäre Ordnung zu erzeugen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der Absolutismus in nichts von der heutigen Mediengesellschaft. Mit dem Buch "Das Porträt des Königs" liegt deshalb ein kulturwissenschaftliches Standardwerk vor.