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"Es verstopft die Netze!"

Nicht allein die manchmal sogenannten üblichen Verdächtigen, also Greenpeace-Aktivisten oder Grüne, sind gegen die Verlängerung von AKW-Laufzeiten; Widerstand kommt auch aus vielen deutschen Kommunen, denn auch Stadtwerke produzieren elektrischen Strom und sie haben viel Geld in Kraftwerke gesteckt.

Michael Feist im Gespräch mit Gerwald Herter | 26.08.2010
    Gerwald Herter: Guten Morgen, Herr Feist.

    Michael Feist: Guten Morgen!

    Herter: Herr Feist, waren Sie schon immer Atomkraftgegner?

    Feist: Nein, ich war nicht schon immer Atomkraftgegner. Wir haben uns verlassen im Unternehmen auf den gesetzlich geplanten Ausstieg aus der Atomkraft und wir waren von der Kehrtwendung und den neuen Plänen anfangs sehr überrascht.

    Herter: Das heißt, die Laufzeitverlängerung?

    Feist: Ja. Wir waren von der Laufzeitverlängerung sehr überrascht und wir haben, wie ja auch viele andere Stadtwerke, Pläne gemacht, unsere Wettbewerbsposition zu verbessern, auch gegen die großen Verbundunternehmen, E.ON, RWE zum Beispiel, indem wir eigene, sehr effiziente, umweltschonende Kraftwerke gebaut haben.

    Herter: Das heißt, wenn die Stadtwerke Hannover ein Atomkraftwerk hätten, wären Sie Atomkraftbefürworter?

    Feist: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich glaube, dass Atomkraft von der Struktur der Erzeugung nicht mehr zukunftsfähig ist zum heutigen Zeitpunkt. Atomkraftwerke sind schlechter regelbar, die Entsorgungsfragen sind weitestgehend noch nicht gelöst und es gibt heute mit neuen Technologien im Bereich der Erneuerbaren und im Bereich der Kraftwärmekopplung bessere Möglichkeiten, klimaschonend Strom zu erzeugen.

    Herter: Geht es Ihnen nicht einfach darum, die Atomkonkurrenz auszuschalten, damit sich das Angebot an Strom verknappt und Sie mehr Kasse machen?

    Feist: Nein, das ist nicht so. Die Behauptung, die vielfach getätigt wird, wenn die Atommeiler länger laufen, sinken die Preise für unsere Stromkunden, ist so nicht richtig. Viele Untersuchungen sagen, dass es bestenfalls zu ganz geringen Preissenkungen von unter einem Cent pro Kilowattstunde kommen wird auf der Großhandelsebene. Das wird aber die Preise im Endkundensektor zunächst überhaupt nicht beeinflussen. Das können Sie heute auch daran sehen, wenn Atommeiler in Revision gehen, wie jetzt zum Beispiel Krümmel und andere Meiler, dass dann die Preise im Markt darauf auch gar nicht reagieren.

    Herter: Die Stadtwerke Hannover gehören zum 8KU-Verbund, und der hat eine Studie erstellen lassen. Laufzeitverlängerung um acht Jahre würde Zusatzgewinne für AKW-Betreiber von bis zu 57 Milliarden Euro brutto ausmachen. Was sollte mit diesem Gewinn aus Ihrer Sicht geschehen?

    Feist: Wenn es zu einer Laufzeitverlängerung kommen würde, von der wir abraten würden auch der Politik, diese zu entscheiden, dann sind wir aber der Meinung, dass diese Zusatzgewinne weitestgehend abgeschöpft werden müssen und sie müssen eingesetzt werden zur Förderung der erneuerbaren Energien und auch zur Stärkung des Wettbewerbs. Das heißt speziell für Stadtwerke, dass diese Mittel eingesetzt werden sollen und auch zugänglich gemacht werden sollen für alle Marktteilnehmer für den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien, und dann speziell auch im Stadtwerkesektor für den Bau von sogenannten Kraft-Wärme-gekoppelten Kraftwerken. Das sind Kraftwerke, die mit sehr, sehr hoher Effizienz und sehr klimaschonend gleichzeitig Strom und Wärme für den Fernwärmesektor erzeugen.

    Herter: Das sind interessante Konzepte mit Sicherheit, aber grenzt das nicht an Enteignung, was Sie da fordern?

    Feist: Nein! Ich glaube nicht, dass das an Enteignung grenzt. Hier hat der Bund, wie es, glaube ich, auch die Bundesregierung immer sagt, die gesetzgeberische Hoheit. Beschlossen ist nach der Gesetzeslage ein Ausstieg aus der Atomkraft. Wenn diese Beschlusslage geändert werden sollte, denke ich, dass die Politik eine weitgehende Gestaltungsfreiheit hat im Rahmen ihrer demokratischen Optionen.

    Herter: Warum würden Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke denn nun die Marktmacht der großen Energieversorger zementieren?

    Feist: Das müssen Sie sich so vorstellen, dass Atomkraftwerke eine exklusive Technologie ist, die heute ausschließlich von den großen vier Verbundunternehmen betrieben wird, und aufgrund der Größe und der Komplexität ist dieses eine Technologie, ein Technologiesektor, der für kleinere Unternehmen nicht zugänglich ist. Wenn diese billigen Erzeugungsmaschinen weiter betrieben werden, dann verhindert das, dass Stadtwerke wie wir neue effiziente Kraftwerke bauen können, und es behindert auch den Ausbau von Erneuerbaren. Es verstopft die Netze!

    Herter: Warum verstopft das die Netze? Das kann man sich so schwer vorstellen. Die Netze sind ja da und Strom fließt da durch.

    Feist: Ja, das ist richtig. Es verstopft die Netze insofern, als wir schon heute Zeitpunkte haben, wo so viel erneuerbarer Strom ins Netz eingespeist wird, dass der Strom im Netz nicht mehr abgesetzt werden kann, und wir haben Zeiten, da sind in einzelnen Stunden die Strompreise negativ. Da wird den Abnehmern von Strom Geld gezahlt. Der Grund dafür ist, dass die Kernkraftwerke nicht ausreichend zurückgefahren werden können, um Raum zu machen für die Aufnahme von Strom aus erneuerbaren Energien.

    Herter: Die laufen Tag und Nacht und das hat eben Nachteile. Glauben Sie nicht, dass es zu Stromausfällen kommen könnte, wenn die Laufzeiten nicht verlängert werden?

    Feist: Nein. Ich glaube, die Versorgungssicherheit ist auch ohne Laufzeitverlängerung vollständig gewährleistet. Wir haben hohe Kapazitäten, stark steigend im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir haben einen ausreichend großen Park an anderen, Kohle gefeuerten Kraftwerken und an Gaskraftwerken, und ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen. Wenn die Atommeiler vom Netz gehen, wird Deutschland weiterhin eine sichere Versorgung haben.

    Herter: Weil auch Atomkraft dann aus Osteuropa zugekauft wird?

    Feist: Nein, weil im Wesentlichen die deutschen Erzeugungskapazitäten ausreichen, um den deutschen Markt zu versorgen. Wir merken das auch heute. Wenn einzelne Atommeiler vom Netz gehen, gibt es keine Knappheit im Markt. Der Markt kann das kompensieren.

    Herter: Ende September soll das Energiekonzept der Bundesregierung stehen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit. Sind Sie zu spät tätig und laut geworden, um Ihre Interessen deutlich zu machen?

    Feist: Nein. Wir, die Stadtwerke, auch die 8KU-Gruppe, sind seit vielen Monaten im Dialog mit der Politik. Wir sind nicht so eingebunden, wie wir uns das wünschen, weil die Spitzenpolitik in Berlin manchmal eine Präferenz hat, nur mit den großen Vieren zu sprechen. Aber wir nutzen jede Möglichkeit, unsere Standpunkte vorzutragen und in die Diskussion einzubringen.

    Herter: Das heißt, bisher haben Sie keinen Fuß in der Tür?

    Feist: Bisher sind wir in der politischen Diskussion nicht so direkt eingebunden, wie wir uns das wünschen würden.

    Herter: Herr Feist, in den 70er-Jahren gab es eine sehr lebhafte Diskussion über die Frage, ob man Energie in vielen kleinen Einheiten, dezentral erzeugen sollte, oder in großen Anlagen, wie das derzeit zum großen Teil der Fall ist. Auf welchen Weg setzen Sie?

    Feist: Wir setzen auf den dezentralen Weg. Die Zukunft der Energieerzeugung ist erneuerbar und dezentral, und wenn wir heute sagen, dass die Verlängerung der Laufzeiten eine Brücke ist, dann ist das aus meiner Sicht eine Brücke in die Vergangenheit, aber keine Brücke in die Zukunft.

    Herter: Das war Michael Feist, Vorstandsvorsitzender und auch kaufmännischer Direktor der Stadtwerke Hannover, im Deutschlandfunk-Interview. Herr Feist, vielen Dank!

    Feist: Vielen Dank! Erfolgreichen Tag.