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"Es wäre nötig, aber der Gesetzgeber zögert"

Der Bundesgerichtshof verhandelt heute über die sogenannte Präimplantationsdiagnostik. Die Richter sollen klären, ob die Untersuchung von Embryonen auf genetische Defekte außerhalb des Mutterleibs strafbar ist. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Edzard Schmidt-Jortzig, ist für eine Überarbeitung des Embryonenschutzgesetzes.

Edzard Schmidt-Jortzig im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.07.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Tausende Paare in Deutschland setzen Jahr für Jahr auf künstliche Befruchtung, um ihren Kinderwunsch in die Tat umzusetzen. Um zu verhindern, dass ein Kind mit schweren Behinderungen zur Welt kommt, liegt es nahe, die befruchtete Eizelle nach etwaigen Gendefekten zu untersuchen, bevor sie in den Mutterbauch eingepflanzt wird. Doch das ist im Gegensatz zu anderen Ländern wie Großbritannien in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz verboten, so jedenfalls die verbreitete Auffassung. Der Bundesgerichtshof in Leipzig beschäftigt sich seit heute mit der sogenannten Präimplantationsdiagnostik, konkret mit dem Fall eines Berliner Arztes, der sich selbst angezeigt hatte, um die Rechtslage zu klären. Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Professor Edzard Schmidt-Jorzig von der FDP, ehemals Bundesjustizminister, nun Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Schönen guten Tag, Herr Professor Schmidt-Jorzig.

    Edzard Schmidt-Jorzig: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Das geltende Embryonenschutzgesetz stammt von Anfang der 90er-Jahre, als die heutigen Möglichkeiten der PID noch gar nicht existierten. Brauchen wir also entsprechende Änderungen?

    Schmidt-Jorzig: Man sieht ja oder wird sehen, dass die Rechtsprechung im Grunde mit solchen Lücken im gesetzten Recht fertig wird und dann Entscheidungen trifft, die von da ab dann gelten. Aber Sinn ist es natürlich, dass ein Gesetz die Zweifel behebt und dann der demokratisch legitimierte Gesetzgeber solche grundsätzlichen Regelungen trifft. Deswegen ist es schon erforderlich und wünschenswert, dass jenseits von dem jetzigen Fall, der im Bundesgerichtshof nun geklärt wird, dieses ziemlich alte Embryonenschutzgesetz novelliert wird. Das hat ja an vielen Ecken und Enden seine Lücken oder Unklarheiten oder auch schlicht und ergreifend Überholtheiten, denn vieles hat sich seit 1990 natürlich verändert.

    Heckmann: Das heißt, Sie sprechen sich dafür aus, das Verbot der PID, der Präimplantationsdiagnostik zu lockern?

    Schmidt-Jorzig: Ich habe immer die Meinung vertreten, dass das Embryonenschutzgesetz in seiner geltenden Fassung die PID, also diese Präimplantationsdiagnostik, nicht verbietet. Das war aber immer streitig und deswegen müsste man nach meiner Auffassung hier nichts lockern. Ich würde aber, wenn der Gesetzgeber nun dem Urteil folgend sagt – ich gehe mal davon aus, dass das Urteil das eben auch sagen wird -, es ist nicht strafbar, da eine Klarstellung bringt, dass das dann schon günstig wäre, weil nur so auch die Möglichkeit gegeben ist, Missbräuche beziehungsweise Fehlentwicklungen an dieser Stelle zu verhindern. Es müssten dann also wirklich flankierende Bedingungen geschaffen werden in dem Gesetz, und dafür sähe ich schon Bedarf.

    Heckmann: Welche Bedingungen meinen Sie damit?

    Schmidt-Jorzig: Beispielsweise ist ja jetzt schon festgelegt, dass man nicht die Gameten danach aussucht, dass man ein ganz bestimmtes Geschlecht für ein künftiges Kind, ein künstlich gezeugtes Kind vorbestimmt. Man könnte also durchaus auch festlegen – und das wäre durchaus auch in meiner ethischen Vorstellung richtig -, dass man solche Präimplantationsdiagnostik nicht danach vornehmen dürfe, dass man ein bestimmtes Geschlecht aussucht und dann eliminiert oder eben speziell dann das gesuchte Geschlecht, das Embryo mit dem gesuchten Geschlecht implantiert.

    Heckmann: Also sozusagen eine Lockerung mit Grenzen. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, der sprach heute Früh von einem Dammbruch, falls die PID zugelassen würde. Die Folge wäre nämlich dann doch Selektion, was ist lebenswert, was ist nicht lebenswert. Sehen Sie nicht die Gefahr eines solchen Dammbruchs?

    Schmidt-Jorzig: Nein. Noch einmal: Wenn denn der Bundesgerichtshof der jetzt wohl im Vordringen befindlichen Meinung folgt, es sei gar nicht verboten, dann können wir nicht von einem Dammbruch sprechen, denn dann war es nicht verboten, und bisher haben Präimplantationsdiagnostiken ja auch stattgefunden, wenn auch wahrscheinlich nicht in Deutschland. Also es ist dann eher umgekehrt die Blickrichtung richtig: Sollen wir uns damit zufrieden geben, dass es dann grenzenlos möglich ist, oder sollten wir nicht wirklich versuchen, da jedenfalls einige Korsettstangen einzuziehen.

    Heckmann: Sollte die PID zugelassen werden, wird es möglicherweise in Zukunft weniger Menschen mit Behinderungen geben. Würde das das Bild von Behinderten in Deutschland ändern? In was für einer Welt würden wir dann leben?

    Schmidt-Jorzig: Nein, überhaupt nicht. Schon jetzt ist im Übrigen bei der verbotenen Geschlechtswahl nach dem Embryonenschutzgesetz ausdrücklich ausgenommen, dass man so etwas dann doch tun dürfe, wenn – das heißt dann dort – schwerwiegende Erbkrankheiten zu erwarten sind, und davor will man den Menschen schon bewahren. Es geht ja nicht darum, dass man Behinderungen, Behinderte diskriminiert, sondern es würde dann darum gehen, überhaupt erst Behinderungen entstehen zu lassen.

    Heckmann: Sollte das also, diese Möglichkeit, beschränkt werden auf schwere Behinderungen wie das Down-Syndrom beispielsweise?

    Schmidt-Jorzig: Ja, so ähnlich würde ich das durchaus sehen, und da gibt es ja in dem geltenden Paragrafen 3 auch durchaus ein Formulierungsvorbild schon.

    Heckmann: Herr Schmidt-Jorzig, schon heute fühlen sich Frauen unter Druck gesetzt abzutreiben, wenn bei der Schwangerschaft eine Behinderung vorliegt. Besteht nicht die Gefahr, dass sich diese Tendenz verstärken wird, je mehr man diese Möglichkeiten, die es derzeit gibt, schafft?

    Schmidt-Jorzig: Nein, im Gegenteil. Vielleicht habe ich Sie da auch falsch verstanden. Wenn man in der Tat sagen würde, die PID ist verboten, steht unter Strafe, dann wäre eigentlich eine Frau gezwungen, erst mal mit vollem Risiko eine solche Schwangerschaft einzugehen und dann hinterher eben abzutreiben. Umgekehrt: wenn man ihr schon vorweg, weil sie eben entsprechend genetisch belastet ist, die Angst davor nimmt, dass die Embryonen entsprechend oder ebenso genetisch belastet sind, dann entfällt jedenfalls dieser Anlass eines Schwangerschaftsabbruches.

    Heckmann: Gehen Sie denn davon aus, gesetzt den Fall, dass der BGH jetzt eine entsprechende Entscheidung trifft, dass es im politischen Raum entsprechende Mehrheiten dann auch geben wird für Änderungen am derzeitigen Gesetz?

    Schmidt-Jorzig: Ich befürchte fast nein, denn dass das Embryonenschutzgesetz von 1990 wirklich an vielen Ecken und Enden ergänzungsbedürftig ist, klärungsbedürftig, in manchen Dingen wirklich auch veränderungsbedürftig, weil einfach die wissenschaftlichen Erkenntnisse andere sind als vor 20 Jahren auf diesem Feld, das weiß man seit langem, aber der Gesetzgeber scheut sich offenbar davor, hier eine grundsätzliche Novellierung anzugehen, weil dann natürlich auch grundsätzliche Einstellungen zur Würde des Menschen, zu der Frage des Status von Embryonen und Ähnlichem aufeinander treffen. Da geht es ja wirklich um Grundlagen unserer ganzen Einstellung zu dieser Welt und ich habe den Eindruck, dass man das nicht unbedingt gerne macht im Deutschen Bundestag. Das waren ja jeweils große Klimmzüge seinerzeit. Es wäre nötig, aber der Gesetzgeber zögert.

    Heckmann: Der Bundesgerichtshof entscheidet heute über die Zulässigkeit der sogenannten Präimplantationsdiagnostik. Wir haben gesprochen mit Professor Edzard Schmidt-Jorzig von der FDP, dem ehemaligen Bundesjustizminister und dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats. Besten Dank für das Gespräch.

    Schmidt-Jorzig: Danke!