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"Es war kein guter Tag für Murdoch, aber es war auch kein Desaster"

Frank Esser, Medienwissenschaftler an der Universität Zürich, hat den Eindruck, dass Rupert Murdoch bei seinen Aussagen vor dem britischen Parlamentsausschuss "stark durch seinen Rechtsbeistand gesteuert war". Zugleich habe man ihn fast schon als "etwas senil" wahrgenommen.

Frank Esser im Gespräch mit Peter Kapern | 20.07.2011
    Peter Kapern: So ahnungslos können Journalisten also sein. Von all den Bestechungen und Abhöraktionen hätten sie rein gar nichts gewusst, das beteuerten gestern Rupert Murdoch und sein Sohn James bei der spektakulären Anhörung im britischen Parlament. Die Verantwortung liege bei denen, denen sie vertraut hätten, so versuchten sie sich rein zu waschen im größten Medienskandal seit den Hitler-Tagebüchern. Mitgehört hat Frank Esser, Medienwissenschaftler an der Universität in Zürich. Guten Morgen!

    Frank Esser: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Esser, hat Sie der Auftritt Murdochs gestern überzeugt?

    Esser: Man konnte merken, dass er stark durch seinen Rechtsbeistand gesteuert war. Er machte einen sehr zurückhaltenden Eindruck, man hat ihn fast schon als etwas senil wahrgenommen. Aber Murdoch ist schon häufiger unterschätzt worden. Gleich links hinter ihm saß sein amerikanischer Rechtsbeistand, der früher schon die Clinton-Regierung beraten hat, ein absoluter Profi, und man darf schon annehmen, dass die ganze Sache System hatte. Es war kein guter Tag für Murdoch, aber es war auch kein Desaster. Es war ein besserer Tag für Murdoch als für seinen Sohn, dessen Standing in Großbritannien stark gelitten und vermutlich auch im Unternehmen geschwächt worden ist.

    Kapern: Herr Esser, lassen Sie uns noch mal einen Blick auf das Medienimperium des Rupert Murdoch werfen. In einem Kommentar der "Süddeutschen Zeitung" fand ich neulich den Satz, der wahre Medienmogul, also Rupert Murdoch, hält sich Politiker, er wird aber keiner. Trifft das zu? Verfolgt Murdoch politische Ziele, ohne Politiker zu sein und sein zu wollen?

    Esser: Er ist auf jeden Fall ein Zeitungszar der alten Schule, auch jemand, der sich selber noch ganz stark als Zeitungsmann versteht. Anders wäre gar nicht zu erklären, warum er noch so stark daran hängt. Er durfte relativ weit wachsen in England, weil er immer ruinöse Zeitungen, mit denen keiner mehr Geld machen konnte, aufgekauft hat. Da war er dann zwar ein nicht gern gesehener, aber doch geduldeter Käufer dieser Blätter. Er versteht sich allerdings als Kampagnen-Publizist, der die breite Masse für sich gewinnen will. Er hat sich immer lustig gemacht über elitären Journalismus, wie ihn die BBC gemacht hat.

    Und ja, er hat seine Blätter auch als politischen Akteur auf einer öffentlichen Bühne gesehen, der sich einmischt, der einen proaktiven Journalismus, Kampagnen-Journalismus verfolgt, und das hat aber aufgrund der britischen Tradition, wo Boulevard ein eher positives Zeitungskonzept ist – man muss wissen, dass sämtliche Boulevard-Zeitungen Englands nahezu im Boulevard-Stil erscheinen -, das war ein sehr fruchtbarer Boden für diese Art von Konzept und hat dann auch aufgrund der Wettbewerbsbedingungen eine Rüstungsspirale in Gang gesetzt. Nirgendwo auf der Welt erscheinen auf so wenigen Quadratkilometern so viele nationale Zeitungen wie in England. Das hat einen Wettbewerb, der bis an die Gurgel geht, zum Ergebnis gehabt.

    Kapern: Herr Esser, nun ist es ja so, dass zum Imperium des Rupert Murdoch ein erzreaktionärer, manche sagen rechtsradikaler Fernsehsender in den USA gehört, Fox News. Andererseits wissen wir aber auch, dass eine seiner Zeitungen den linksliberalen Politiker Tony Blair unterstützt hat in England. Könnten Sie noch mal beschreiben: Lässt sich eine politische Mission Rupert Murdochs überhaupt auf den Punkt bringen? Hat er eine bestimmte politische Überzeugung, die er verfolgt, oder macht er es mal so, mal so, gerade so, wie es am meisten Geld in die Kasse spült?

    Esser: Insgesamt ist Rupert Murdoch ein politisch konservativer Mensch. Das ist ohne Zweifel. Die Frage ist, inwieweit das zu einer dirigistischen Vorgabe für seine Medien wird. Da ist für ihn als Zweites fast noch wichtiger der Markt und die öffentliche Meinung. Das heißt, wenn er in einem Markt eine Nische entdeckt, die nicht besetzt ist, wie zum Beispiel im amerikanischen Markt, dann setzt er gnadenlos darauf.

    Er hat aber auch ein Gespür für Öffentlichkeit, wenn er sieht, dass zum Beispiel ein Politiker wie Blair aufsteigend ist. Er hat immer bei den Siegern sein wollen, was auch dann im Endeffekt seine Stärke, seine politische Macht konstituiert. Jeder Politiker in England wollte Murdoch nicht unbedingt zum Freund haben, aber was er unter allen Umständen vermeiden wollte, war, diesen sehr stark gewachsenen Konzern als Feind zu haben. Das zwang sie, mit ihm engstens zusammenzuarbeiten.

    Kapern: Nun haben wir, Herr Esser, in den letzten Jahren erlebt, wie kalte Investmentfonds in den USA, aber auch hier in Deutschland - ich werfe den Namen Montgomery ins Gespräch - Zeitungen übernommen haben und eigentlich nur Geld verdienen wollten und keine journalistische Überzeugung mehr hatten. Das war ein Verlegermodell, das stark kritisiert worden ist. Auf der anderen Seite lernen wir jetzt, wie verwerflich die Methoden auch eines politisch ambitionierten Verlegertums, eines Verlegers der alten Schule sein kann. Was ist denn nun schlimmer, das eine Modell oder das andere?

    Esser: Das ist eine gute Frage. Der Zeitungsjournalismus in vielen Ländern ist im Moment darauf angewiesen, dass Leute mit sehr großen Taschen kommen und diese Blätter finanzieren. Ohne einen mexikanischen Milliardär wäre die "New York Times" tot. Ohne Murdoch wäre die Times aus London schon lange tot. Russische Oligarchen haben mehrere Zeitungen in England in der letzten Zeit kaufen können.

    Das heißt, das untergrabene Geschäftsmodell hat in manch anderen Ländern zu größeren Verwerfungen geführt, als dies zum Beispiel bislang in Deutschland der Fall ist. Es wird von daher – und das merken wir in England auch schon – zu einer sehr viel grundsätzlicheren Hinterfragung von Medien und Demokratie kommen, und Ansätze davon sehen wir jetzt auch in England, wo das Land aufwacht und sich auch die Politiker emanzipieren von einem Konzern, in dessen starkem Arm sie lange warm, aber im Endeffekt dann doch sehr schlecht geschlafen haben.

    Kapern: Über die Arbeitsweise der "Bild"-Zeitung, Herr Esser, hat ja schon mal ein Namensvetter von Ihnen, nämlich Hans Esser Alias Günter Wallraff, die Deutschen aufgeklärt. Was unterscheidet eigentlich Murdoch von der "Bild"-Zeitung?

    Esser: Die "Bild"-Zeitung hat eine Monopolstellung in Deutschland und hat es immer geschafft, von wenigen regionalen Ablegern abgesehen jede Art von Wettbewerb auf diesem Markt zu untergraben. Das hat die "Bild"-Zeitung stark, aber auch nicht so brutal, nicht so aggressiv gemacht, als wenn es einen ernsthaften Mitbewerber in diesem Bereich gäbe. Von daher sind die insgesamt doch gemächlicheren Methoden, auch wenn sie für uns schon häufig in den Graubereich gehen, der "Bild"-Zeitung auch damit zu erklären, dass der Hauptwettbewerber der "Bild"-Zeitung das Fernsehen und nicht zwei, drei andere Zeitungen mit ähnlichem Konzept sind.

    Kapern: Frank Esser war das, Medienwissenschaftler an der Universität in Zürich. Herr Esser, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Esser: Auf Wiederhören.

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