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"Es wird eine tatsächliche nationale Versöhnung nötig sein"

Vieles unter Präsident Mursi sei nicht besser als bei seinem Vorgänger Mubarak gewesen, sagt Stefan Liebich von der Linkspartei. Doch 51 Prozent der Ägypter hätten Mursi gewählt. Diesen großen Teil der Bevölkerung müsse man berücksichtigen, man könne nicht allein mit der Opposition zusammenarbeiten.

Stefan Liebich im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.07.2013
    Tobias Armbrüster: Mitgehört hat Stefan Liebich, Außenpolitiker der Linkspartei. Guten Tag, Herr Liebich!

    Stefan Liebich: Schönen guten Tag!

    Armbrüster: Herr Liebich, steht Ägypten jetzt vor dem Bürgerkrieg?

    Liebich: Wie es weitergeht mit Ägypten, ist tatsächlich offen. Es ist nach der ersten Revolution der ja tatsächlich vergleichsweise frei gewählten Regierung unter Präsident Mursi nicht gelungen, wie versprochen die Spaltung der Gesellschaft aufzuheben – im Gegenteil, die Spaltung ist noch forciert worden mit der islamistisch geprägten Verfassung. Und es ist vor allem nicht gelungen – und das ist in Ihrem Beitrag ja deutlich geworden –, den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und der Bekämpfung der Armut zu erfüllen. Und wenn so etwas nicht passiert, dann muss man sich nicht wundern, dass sich die Spannungen auf den Straßen so entladen, wie es jetzt passiert.

    Armbrüster: Was ist denn Ihre Erwartung, wie geht es jetzt weiter im Land?

    Liebich: Na, was ich mir wünschen würde, ist, dass man tatsächlich eine nationale Versöhnung hinbekommt, die ja auch die Generäle versprochen haben, die jetzt mit ihrem Putsch zu der Veränderung der Situation beigetragen haben. Was ich mir auch wünsche, ist, dass man eine neue Verfassung erarbeitet, bei der alle Kräfte miteinander zusammenarbeiten. Und dabei muss man natürlich auch die Muslimbrüder mit einbeziehen, denn was wir nicht vergessen sollten bei allem, was Mursi und seine Leute in den letzten Monaten falsch gemacht haben: Hinter ihnen stehen viele, viele Menschen in Ägypten. Und deshalb kommt man nicht umhin, dass alle miteinander an einer gemeinsamen Verfassung arbeiten, und damit auch die Grundlage legen, dass man von außen positive Beiträge leisten kann.

    Armbrüster: Aber haben sich nicht die Muslimbrüder durch das, was sie in den letzten Monaten und gerade auch durch das, was sie in der vergangenen Nacht getan haben, völlig disqualifiziert?

    Liebich: Ja, aus meiner Sicht schon, aber ich habe das nicht zu entscheiden. In Ägypten haben 51 Prozent Herrn Mursi gewählt, und es ist nach wie vor so, dass große Teile der Bevölkerung hinter den Muslimbrüdern oder sogar noch islamistischeren Gruppen stehen. Was ich natürlich ganz schlecht finde, ist, dass Frauen aus dem öffentlichen Leben verdrängt wurden, dass es Ausgangssperren gab, Demonstrationsverbote, Todesurteile. Vieles war nicht besser als bei Mubarak. Aber wir müssen damit umgehen, dass wir einen großen Teil der Bevölkerung brauchen und nicht auf die inzwischen sehr zerstrittene Opposition allein setzen können. Das heißt, es wird eine tatsächliche nationale Versöhnung nötig sein.

    Armbrüster: Herr Liebich, Ihr CDU-Kollege im Auswärtigen Ausschuss, Ruprecht Polenz, der hat heute in einem Interview gesagt, die Bundesrepublik habe kaum Einfluss in Ägypten. Wir Deutsche seien nicht mal Beifahrer, allenfalls eine Stimme aus dem Navi. Stimmen Sie zu?

    Liebich: Ja, das ist traurig, aber Ruprecht Polenz hat da nicht ganz unrecht. Es ist ja so, dass Deutschland versucht hat, in der Phase nach den Wahlen von Herrn Mursi einen Beitrag zu leisten, und zwar auf eine Weise, die ich ganz okay finde, nämlich, dass wir mit politischen Stiftungen im Land aktiv sind. Und was dort passiert ist, das war wirklich absurd: Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist aus dem Land vertrieben worden, der Leiter des Büros ist unter absurden Vorwürfen verurteilt worden. Das haben alle Parteien im Deutschen Bundestag zurückgewiesen. Also wenn selbst solche Angebote – da tut man ja nichts Böses – ausgeschlagen und zurückgewiesen werden, dann ist es sehr schwer.

    Armbrüster: Aber sind nicht gerade wir Deutsche doch sehr nachsichtig immer mit Mursi und den Muslimbrüdern umgegangen? Ich erinnere mich da an den Besuch von Präsident Mursi im Januar in Berlin, da gab es lange Termine mit Angela Merkel, auch mit dem Außenminister, auch mit vielen Bundestagsabgeordneten. Hätte man da nicht anders agieren müssen?

    Liebich: Doch, hätte man. Also ich war ja auch dabei, als Herr Mursi mit dem Auswärtigen Ausschuss gesprochen hat, und ich hätte mir schon gewünscht, dass die Kritik an dem, was er in seiner Regierungszeit tut und vorhat, deutlicher ausgefallen wäre. Man hat wahrscheinlich versucht, mit Nachsichtigkeit einen guten und engen Draht aufzubauen. Das war falsch. Ich finde, man musste respektieren, dass er gewählt ist und man musste auch mit ihm zusammenarbeiten. Aber wenn sie das Beispiel sehen, dass die Europäische Union und damit ja auch Deutschland wirtschaftlich versucht hat, dem Ägypten unter Mursi zu helfen, und es völlig intransparent geblieben ist, was mit den Geldern eigentlich passiert ist, dann kann man nur sagen: So kann man nicht zusammenarbeiten. Aber sei es, wie es sei, Sie können die Augen nicht davor verschließen, Sie können die Türen nicht zuschlagen. Ägypten ist weniger als 1000 Kilometer von der Europäischen Union entfernt, und wenn es dort knallt, dann wird es auch Auswirkungen auf uns haben. Das heißt, wir müssen weiter etwas tun.

    Armbrüster: Sie haben die Hilfszahlungen an Ägypten angesprochen. Deutschland unterhält ja eine sogenannte Transformationspartnerschaft mit dem Land. Ein Großteil von einem Betrag von 100 Millionen Euro fließt nach Ägypten, Geld, das insgesamt den Regionen des sogenannten Arabischen Frühlings zugutekommen soll, also große Geldbeträge. Sollte man daran schrauben und möglicherweise Geld zurückhalten und sagen, Leute, bringt erst mal euer Haus in Ordnung, dann könnt ihr wieder mit deutscher finanzieller Unterstützung rechnen?

    Liebich: Das würde ich jetzt nicht vorschlagen, sondern ich würde sagen, wir sollten die Kräfte in Ägypten, die gegenwärtig miteinander ringen, dazu ermuntern, dass man möglichst schnell von der Militärregierung wegkommt, die es ja jetzt ist – ich halte überhaupt nichts davon, dass Generäle darüber entscheiden, wer in einem Land regiert, und schon gar nicht diese Generäle, die in den vergangenen Jahrzehnten sich selber die Taschen gefüllt haben und mit Mubarak zusammengearbeitet haben –, sondern wir müssen sagen: Wir unterstützen Ägypten künftig sehr gerne, politisch und auch wirtschaftlich und auch finanziell, wenn es tatsächlich eine nationale Versöhnung gibt, wenn es eine neue Verfassung gibt. Und da wäre es jetzt aus meiner Sicht ein falsches Signal, den Hahn zuzudrehen. Übrigens: Natürlich sind 100 Millionen viel Geld, aber gemessen an dem, was wir im Moment in der Europäischen Union tun, ist das eher übersichtlich. Und ich sage es noch mal: So weit weg ist Ägypten nicht.

    Armbrüster: Ja, Herr Liebich, nur, dass wir uns da richtig verstehen: Also das Geld soll fließen, obwohl das Militär das Sagen hat?

    Liebich: Ich halte nichts davon, jetzt einen Cut zu machen, sondern ich würde sagen, dass man jetzt Bedingungen formulieren muss, die erfüllt werden müssen. Wenn allerdings die Botschaft die ist, dass das Militär auf seine Weise weitermacht – und man muss ja sagen, das ist schon ein echter Putsch, auch wenn sich viele freuen, also Radiosender sind geschlossen worden, es sind Oppositionelle eingesperrt worden und die Gewalt ist übrigens auch nicht eingedämmt –, dann stellt sich die Frage anders. Aber in dieser sehr kurzfristigen Übergangsphase jetzt die Tür zuzuschlagen, hielte ich für ein falsches Signal.

    Armbrüster: Sollten wir deutsche Berater, deutsche Politikberater nach Ägypten schicken? Auch das ist eine Forderung, die jetzt wieder laut wird.

    Liebich: Na ja, letztlich ist es immer so: Wir können nur das machen, was auch gewollt ist. Und was, glaube ich, ganz schlecht kommt, ist, wenn wir ungefragt unsere politischen Modelle dorthin exportieren wollen, ohne dass darum gebeten wird. Also es gab ja das Angebot der Bundesregierung, über die politischen Stiftungen zu helfen, und ich glaube, wenn die dann künftig demokratisch gewählt ist, neue Regierung unter Einschluss aller Kräfte sagt, wir hätten gerne Unterstützung, dann sollte Deutschland nicht nein sagen. Aber wir sollten nicht ungefragt Hilfe aufdrängen, nach der nicht gerufen wurde.

    Armbrüster: Stefan Liebich war das, Abgeordneter der Linkspartei, er sitzt für seine Partei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Vielen Dank, Herr Liebich, für Ihre Zeit an diesem Samstagmittag!

    Liebich: Danke schön!

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